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Von Werten erfüllte Menschlichkeit wird schleichend umgedreht

13. Oktober 2025

Mit einem Teil aus dem Hymnus des Laudes-Gebetes begrüßt der Vorsitzende, Andreas Bär von der JVA Nürnberg, die Geschwister der Gefängnisseelsorge bei der Studientagung in Erfurt. Wie nah oder wie weit ist dieser Hymnus an der Phrase „Das wird man wohl noch sagen dürfen!“ dran?, fragt er die mehr als 50 TeilnehmerInnen und die Gäste dieser Tagung zum Thema „Extremismus und Populismus in Gesellschaft und Justizvollzug.“

 

Unzählige Male müssen wir erleben, dass diese Rechtfertigung von Menschen instrumentalisiert wird, die sich als Opfer einer vermeintlichen Zensur oder Bevormundung gerieren. Scheinbar in die Ecke gedrängt und mit letzter Kraft nach Redefreiheit hechelnd, wechseln die Täterinnen und Täter der Demagogie in die vermeintliche Opferrolle, aus der heraus sie dann umso verbitterter und mit Polemik durchsetzt Jagd auf die Personengruppen machen, von denen sie sich in ihrer Existenz bedroht fühlen:

Diejenigen, die hier um Asyl nachfragen.

Diejenigen, die nicht zu Putins Opfern werden wollen (Ukrainer und auch aufrechte Menschen aus Russland).

Diejenigen, die sich bemühen, ausgewogen in den Medien zu berichten und als Lügenpresse diffamiert werden.

Diejenigen, die in der Politik – besonders in der Kommunalpolitik – die Verantwortung für das Gemeinwohl zeitweise unter Lebensgefahr ausüben.

Diejenigen, die als Polizei, als Rettungsdienste und Feuerwehren und nicht zuletzt auch in der Tätigkeit im Justizvollzug direkt an der Front von Brennpunkten und Ausnahmezuständen ihren Dienst verrichten.

Und – ohne damit die Aufzählung als abgeschlossen zu betrachten: Die Frauen und Männer, die in der Seelsorge gewissenhaft tätig sind und die zeigen, dass unsere Kirche jenseits von Missbrauch und einzelner Engstirnigkeit einen reichen Schatz an Werten und Menschfreundlichkeit besitzt, der täglich neu vermittelt werden will und muss.


Schleichende Erosion der Demokratie

Rote Karte“ gegen radikale Haltungen und einer schleichenden Erosion der Demokratie.

„Wenn Sie eine Idee haben, lassen Sie es uns wissen!“, sagte mir letztes Jahr ein Ministerialdirigent auf meine Frage, was denn seitens der Justiz zur Prävention gegen Radikalismus und Populismus im Vollzugspersonal unternommen werde. Und das zeigt mir, wie sehr wir überall auf der Suche sind, Lösungen und angemessene Handlungsoptionen zu finden, mit denen wir den radikalen Haltungen begegnen können, die nach und nach gleich einer schleichenden Erosion unsere Demokratie, unsere Werte eines menschenwürdigen Zusammenlebens und unsere Mitmenschlichkeit abtragen.

Die Räume der Meinungsfreiheit und die Möglichkeiten der freiheitlich-demokratischen Grundordnung nutzend werden diese wertvollen – also wirklich von Werten erfüllten – Instrumente pervertiert umgedreht und gegen sich selbst angewendet. Und wir erleben, wie auch in unseren europäischen Nachbarländern exemplarisch Ungarn, Slowakei und leider wohl auch bald in der Tschechischen Republik Kräfte ans Ruder gelangen, die an einem friedlichen Miteinander nicht interessiert sind und stattdessen ein repressives Klima anstreben, das in seiner finalen Form putinsche und trumpsche Züge tragen könnte.

An ethische Linie halten

In einem anderen religiösen Lied heißt es an einer Stelle: „zum Glaubensgehorsam befreit.“ Das klingt auf den ersten Blick völlig widersprüchlich, denn wie passen Freiheit und Gehorsam zusammen? Für mich erklärt sich in dieser Formulierung: Wenn ich ein Gefühl und eine Wertschätzung für den Wert der Freiheit empfinde, dann verpflichte ich mich selbst, bestimmte Handlungen, zu denen ich qua Freiheit im Stande wäre, nicht auszuüben, weil dadurch eben diese Freiheit von mir zerstört werden könnte. Und ich glaube, dass wir in unseren Familien und in den Bildungseinrichtungen bis hin zum Religionsunterricht bzw. im Fach Ethik genau diese Sensibilität ständig grundlegen müssen, wenn wir nicht später um unser Zusammenleben bangen wollen.

Freiheiten sichern

Solange sich alle am politisch-gesellschaftlichen Prozess Beteiligten an eine unsichtbare ethische Linie halten und eine innere Zustimmung zu ethischen Werten besteht, hat eine Gesellschaft einen vitalen Verlauf von Meinungsbildung und Entscheidungsfindung. Wie aber können diese Freiheiten gesichert werden vor denjenigen, die sich einen Teufel darum scheren? Diese Frage habt Ihr – liebe MitgliederInnen der Katholischen Gefängnisseelsorge in Deutschland e.V. – uns vom Vorstand letztes Jahr in Fulda als Hausaufgabe mitgegeben und dieser Frage wollen wir intensiv nachgehen. Dazu haben wir uns auf die Suche nach Expertinnen und Experten gemacht, die uns ihre Überlegungen und Erfahrungen anbieten und aus deren Fundus wir für unsere Arbeit in den Vollzugsanstalten aber auch im informellen Kontakt schöpfen können. Mit einem spirituellen Lied habe ich meine Gedanken begonnen – mit einem spirituellen Lied wollen wir jetzt unsere Tagung eröffnen und bitten dazu um Inspiration – um den „Spiritus Sanctus“ für unser Suchen und Arbeiten.

Andreas Bär

 

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