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Die Sprache wird rauer und die Argumente flacher

20. Oktober 2025

Der Leiter der Heimvolkshochschule St. Ursula in Erfurt, Dr. Markus-Liborius Hermann, hielt bei der Studientagung in Erfurt zum Thema „Populismus und Extremismus in Gesellschaft und Strafvollzug“ ein Grußwort. Er führt aus: “ Vor mittlerweile sieben Jahren hatte ich schon einmal die Möglichkeit zum Austausch mit Ihnen hatte, bei der Studientagung 2018.

Damals ging es mir darum, Ihren Arbeitsort, das Gefängnis, das die Gesellschaft i.d.R. am Rand, an der Peripherie verortet, in seiner Bedeutung wahrzunehmen, denn, so meine feste Überzeugung: An den Rändern findet die Kirche ihr eigentliches Zentrum, dort findet sie die „Armen und Bedrängten aller Art“ (GS 1). Oder um es biblisch zu sagen: Im Gleichnis vom barmherzigen Samariter verschiebt sich das Zentrum der Gottesgegenwart in eine Herberge auf dem Weg von Jerusalem nach Jericho. Dort begegnet Gott dem Menschen. Der Pastoraltheologe Rainer Bucher hat es einmal so formuliert: Die „Kirche verliert sich nicht im Außen, sondern sie findet sich dort, weil dort ihre Aufgabe, die kreative Konfrontation von Evangelium und heutiger Existenz, wartet.“

Sprache wird rauer, die Argumente flacher

Dort, am Rand, an der Peripherie ist Ihr Arbeitsfeld. In den Justizvollzugsanstalten begegnen Sie täglich Menschen in Krisen. Menschen, die am Rand der Gesellschaft stehen, nicht umsonst trägt Ihre Fachzeitschrift den Namen „AndersOrt“. Am Rand sind die Menschen auch anfällig für einfache Antworten, für Feindbilder, für populistische und extremistische Ideologien. Ihre Arbeit an diesem Ort, an diesem AndersOrt, ist nicht nur ein Dienst an der Versöhnung, sondern auch ein Schutzraum für das Evangelium und die Menschenwürde. Die heutige Existenz, mit der wir uns als Kirche konfrontieren müssen, ist brisant und von Konflikten geprägt. In diesen Tagen erleben wir sehr deutlich, wie gefährdet die demokratische Kultur in unserem Land ist. Wir erleben in unserer Gesellschaft und auch in der Kirche einen spürbaren Anstieg populistischer, nationalistischer und extremistischer Strömungen.

Die Sprache wird rauer, die Argumente flacher, die Abgrenzung gegenüber „den Anderen“ massiver. Es sind oft Menschen in prekären Lagen, die empfänglich sind für Ideologien, die vermeintliche Stärke versprechen – aber in Wahrheit auf Ausgrenzung und Hass bauen. Entwicklungen, die noch vor wenigen Jahren undenkbar schienen, werden plötzlich politisch salonfähig. Radikales Denken verstärkt sich und es wird sogar Hass auf Mitmenschen – vor allem aufgrund ihrer Religion, Herkunft oder Hautfarbe, wegen des Geschlechts oder ihrer sexuellen Identität gesät. Rechtspopulistische Rhetorik dringt in Parlamente, in Rathäuser, in den Alltag ein. Und sie bleibt nicht folgenlos. Wir ahnen: Was im öffentlichen Diskurs sagbar wird, kann irgendwann – so die Befürchtung – auch in die Tat umgesetzt werden.

Unantastbare und unverfügbare Würde

Die politische Situation vor Ort und auf der Weltbühne, die Debatten um demokratische Bündnisse, die Normalisierung extremer Positionen – all das zeigt, wie wichtig eine klare, menschenfreundliche und auch – das ist mir wichtig – theologisch fundierte Haltung ist. Dafür haben die deutschen Bischöfe u.a. mit ihrer Erklärung „Völkischer Nationalismus und Christentum sind unvereinbar“ (22. Februar 2024) ein klares Zeichen gesetzt. Rechtsextremistische Gesinnungen und Konzepte zielen fundamental auf Ab- und Ausgrenzung. In diesem radikalisierten Denken wird die gleiche Würde aller Menschen entweder geleugnet oder relativiert und somit zu einem für das politische Handeln irrelevanten Konzept erklärt. Für uns als ChristInnen aber ist klar: Jeder Mensch besitzt eine unantastbare und unverfügbare Würde. Sie gründet in der Gottebenbildlichkeit aller Menschen und ist die Basis der Menschenrechte. Völkischer Nationalismus ist mit dem christlichen Gottes- und Menschenbild unvereinbar.

Wer also bestimmte Menschen aufgrund ihrer Herkunft, Religion oder Kultur ausgrenzt, stellt sich gegen das Evangelium. Die Diagnose scheint klar zu sein: Extremismus und Populismus ist keine Meinung unter vielen. Sie sind ein Angriff auf die Grundwerte unserer Demokratie – und auf das christliche Menschenbild. Und somit ist der Rechtspopulismus nicht bloß eine politische Strömung unter vielen – er ist eine Gefahr für das friedliche Zusammenleben in einer offenen Gesellschaft. Dies alles trifft ins Herz unseres Bildungs- und Seelsorgeauftrags. Denn christliche Erwachsenenbildung ist niemals neutral. Sie hat eine klare Option: die Option für die Würde jedes Menschen, unabhängig von Herkunft, Religion, Hautfarbe oder auch Straftat.

Thesen müssen entlarvt werden

Dies sollte nicht nur theologischer Wegweiser, sondern auch ein Prüfstein für unsere Praxis sein. In der Gefängnisseelsorge und auch der Bildungsarbeit: in den Gesprächen mit Inhaftierten, mit Kolleginnen und Kollegen, mit Ehrenamtlichen, wir in unseren Bildungsangeboten. So weit so gut, aber wie geht man mit dieser Situation um? Wie agiert man mit Menschen, die einem solchen Denken anhängen, im Gefängnis, im Bildungsbereich, im Arbeitsumfeld, in den kirchlichen Gemeinden? Hier scheint die mühsame Kärrnerarbeit des Dialogs anzustehen, denn das klare Votum gegen jede Form des Rechtsextremismus bedeutet in keiner Weise, sich dem Dialog mit jenen Menschen zu entziehen, die für diese Ideologie empfänglich sind. Auch radikale Thesen sollen diskutiert, sie müssen aber auch entlarvt werden. Voraussetzung dafür ist sicher, die beiderseitige Bereitschaft zum Gespräch. Hier ist ein sicher nicht unwichtiger Punkt erreicht: Wie redet man miteinander in politisch unruhigen Zeiten? Es bleibt eine Herausforderung! Eine Herausforderung die Engagierten zu stärken, Dialog zu ermöglichen, die Geister zu unterscheiden und auch mit negativen Emotionen umgehen zu lernen.

Sensibilisieren ohne moralisieren

Sie als GefängnisseelsorgerInnen leisten an dieser Stelle wertvolle Arbeit. Sie hören zu, wo andere verurteilen. Sie öffnen Räume des Gesprächs, wo sonst Mauern stehen – nicht nur aus Beton, sondern auch in den Köpfen. Sie begegnen Menschen, die verloren scheinen – und erinnern sie daran, dass sie Kinder Gottes sind. Gerade diese Begegnungen können zu Orten, AndersOrten der Selbstreflexion werden: Woher kommt mein Denken? Wer beeinflusst meine Sicht auf die Welt? Und: Welche Rolle spielt dabei der Glaube? Es ist eine große Herausforderung, Menschen in Haft für die Gefahren von Populismus und Extremismus zu sensibilisieren – ohne zu moralisieren. Vor dieser Herausforderung steht unter anderen Bedingungen auch kirchliche Bildungsarbeit. Aber genau das ist Ihre und unsere Stärke: Sie verbinden Bildung mit Beziehung. Und nur dort, wo Vertrauen wächst, kann auch Veränderung geschehen.

Für den Bereich der Erwachsenenbildung kann ich sagen: Wir wollen, können und sollten die Menschen nicht mit Argumenten zu überrollen versuchen. Bildung meint viel mehr: Fragen mitgeben. Es bedeutet, Räume zu schaffen, in denen das Evangelium als befreiende Botschaft hörbar wird – auch und gerade gegenüber ideologischen Verengungen. Denn das Evangelium Jesu Christi ist kein Nationalprogramm. Es ist kein Identitätsangebot für eine bestimmte Kultur oder ein Volk. Es ist – in den Worten des Apostels Paulus – „eine Kraft Gottes zur Rettung für alle, die glauben – zuerst für die Juden, dann auch für die Griechen“ (Röm 1, 16). Diese Universalität ist unsere Antwort auf alle Formen von Ausgrenzung, Abwertung und Menschenverachtung. Deshalb ist es gut, dass Sie sich in dieser Tagung mit den Herausforderungen von Populismus und Extremismus auseinandersetzen. Auch im Bildungshaus St. Ursula ist dies ein Thema, das wir in der Sache aber in allen unseren Seminaren und Kursen bearbeiten. Denn Bildung ist ein Schlüssel zur Freiheit. Bildung befähigt zur Unterscheidung. Und Bildung kann immunisieren – gegen die Verlockungen der einfachen Parolen.

In diesem Sinne danke ich Ihnen für Ihren Dienst, für Ihre Geduld, – und für Ihren Mut, auch unbequeme Themen anzusprechen. Die Gefängnisseelsorge ist kein Rückzugsort, sondern ein Vorposten der Kirche in einer Welt, ein AndersOrt, an dem Kirche sich und ihren Dienst neu finden kann, weil sie dort ihren Herrn, weil sie dort Christus findet. Kleine Herbergen auf dem Weg nach Jericho.

Dr. Markus-Liborius Hermann

 

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