Man könnte es schon eine Tradition nennen, dass sich ein Vertreter oder eine Vertreterin der Bundesvereinigung der AnstaltsleiterInnen im Justizvollzug e.V. (bvaj) mit einem Grußwort bei den Studientagungen der evangelischen und katholischen Gefängnisseelsorge einbringt. Jürgen Frank, Anstaltsleiter der JVA Chemnitz, hat dies gerne getan bei der Tagung in Erfurt 2025 zum Thema Extremismus und Populismus.
Ich freue mich sehr, liebe Kolleginnen und Kollegen der Gefängnisseelsorge, wieder einmal bei Ihnen sein zu dürfen und mich als Vertreter der Bundesvereinigung der Anstaltsleiterinnen und Anstaltsleiter mit Ihnen austauschen zu können. Unser regelmäßiger Austausch hat nicht nur über gegenseitige Grußworte und Referate im Rahmen von Studientagungen, sondern durch einen gemeinsamen Arbeitskreis der jeweiligen Vorstände (AK ALSE) eine langjährige, ertragreiche und freundschaftlich verbundene Tradition.

Sterbeprozess in Haft
Erst vor kurzem haben wir in Hannover ein gemeinsames Positionspapier vor besprochen, das sich mit dem würdevollen Sterben von Menschen in Haft beschäftigt. Unser vorläufiges Fazit ist be1 diesem – sehr konsensual geführten – Diskurs gewesen, dass wir unsere strukturellen, personellen und materiellen Rahmenbedingungen in den Justizvollzugseinrichtungen signifikant verbessern müssen, um Gefangenen beim Sterbeprozess in Haft jederzeit ein letztes menschenwürdiges Dasein ermöglichen zu können. Hier bitte ich die anwesende Ministerialverwaltung, in Thüringen konkret Sie, sehr geehrter Herr Staatssekretär Klein, um tatkräftige Unterstützung, wenn es zum Beispiel um die flächendeckende Einrichtung und angemessene Ausstattung von Pflegezimmern in den JVA’en und die Sicherstellung einer möglichst ganzhe1tlichen palliativen Versorgung sterbender Menschen in Haft geht. Bereits jetzt fordert uns die demografische Entwicklung auf, hier ohne weiteres Zögern aktiv zu werden.
Bohren dicker Bretter
Ihrem Wunschthema „Populismus und Extremismus in Gesellschaft und Justizvollzug“ haben Sie sich sprichwörtlich das „Bohren eines dicken Brettes“ in Ihre diesjährige Studientagung geholt, das absolut am Puls der Zeit anliegt und nicht einfach durchdrungen werden kann. Die Künstliche Intelligenz (KI) sagt definitorisch zu diesem „dicken Brett bohren“ u.a. aus, dass man sich sinnbildlich durchbeißen muss, auch wenn es schwerfällt, anstatt dessen den einfachen Weg zu wählen. Was ist das also für ein „dickes Brett“, das, so denkt man, immer dicker und undurchdringbarer wird? Das Brett, das sogar mehrheitlich gewählte Lenker von großen, einflussreichen Staaten vor dem Kopf zu haben scheinen. Aus welcher Substanz ist dieses Brett, was gehört vielleicht nicht zu diesem Stoff (und will es im Übrigen auch nicht), was sollte einfach nur geschickt abschmirgelt werden und wo müssen und wo können wir den Bohrer so ansetzen, dass ein Durchdringen bis hin zu einem unverbauten, wertschätzenden Blick auf eine solidarische, pluralistische, demokratische Gesellschaft wieder möglich ist?
Vollzugliche Dimension
Als Leiter einer Justizvollzugsanstalt (aktuell für den Vollzug an weiblichen Inhaftierten, die aus Sachsen und Thüringen stammen in der JVA Chemnitz) werde ich im Rahmen Ihrer Studientagung danach gefragt werden, wie gehen die Anstaltsleitungen mit diesen „dicken Brettern“ „in ihren Läden“ eigentlich um? Im Besonderen, welche individuellen Maßnahmen im Zuge der Behandlung werden als der Resozialisierung (Deradikalisierung) dienlich erachtet und welche präventiven Mechanismen sollten vorgehalten werden, um neue, respektive neuerliche, Radikalisierungen in der Haftanstalt möglichst zu vermeiden? Und nicht zu vergessen der Fokus auf uns selbst, das Personal im Justizvollzug: Wie gehen wir mit einzelnen Bediensteten in den Justizvollzugsanstalten um, die sich mit Blick auf die unverzichtbare Treue zur freiheitlich demokratischen Grundordnung auf gefährlichen Irr- oder gar Abwegen befinden? Zur Einordnung der vollzuglichen Dimension im Rahmen dieses Grußwortes noch folgende Anmerkungen, die ich mit Einverständnis des Sächsischen Staatsministeriums der Justiz oder, weil durch die Medien öffentlich gemacht, referieren darf:
- Die Anzahl extremistischer Gefangener (rechts, links und islamistisch) betrug im Jahr 2024 deutschlandweit über 400 Personen, die höchste Anzahl (über 200) aus dem rechtsextremistischen Milieu, die geringste aus dem linksextremistischen Milieu (unter 20).
- Im Sächsischen Vollzug zählen zu den Gruppierungen islamistische, rechts- und linksextremistische Gefangene und solche, die dem Spektrum der sog. Reichsbürger zuzuordnen sind, insgesamt 32 Personen. Bei den dem rechtsextremistischen Spektrum zuzuordnenden Gefangenen ist 2025 ein neuer Höhepunkt, auch infolge der Inhaftierung der sog. „Sächsischen Separatisten“, zu verzeichnen. Die sogenannten „Sächsischen Separatisten“ sollen sich nach den Ermittlungen des GBA auf einen Tag „X“ vorbereitet haben, an dem sie mit Gewalt ostdeutsche Gebiete unter ihre Kontrolle bringen wollten, um diese dann militärisch zu kontrollieren und darauf ein an dem Nationalsozialismus orientiertes Gemeinwesen zu errichten. Auch ethnische „Säuberungen“ bestimmter Bevölkerungsgruppen sollen in Betracht gezogen worden sein.
- Noch weiter auf die lokale Ebene runtergebrochen, kam unlängst meine eigene JVA (Chemnitz) in die Schlagzeilen durch die sich abzeichnende Inhaftierung der rechtsextremistischen Person Maria Svenja Liebich, die sich noch vor Haftantritt zum personenstandsrechtlichen Geschlechterwechsel (von Mann zur Frau) entschieden hatte und daher mit Wohnsitz in Sachsen in eine Sächsische Frauen-JVA einzuweisen war. Im Jahr 2023 sprach Frau Liebich bei Teilnehmern eines Christopher Street Day (CSD) hingegen noch von „Transfaschismus“. Es steht also der sehr begründete Verdacht im Raum, dass eine wegen Volksverhetzung verurteilte Person (verkaufte im Internet Baseballschläger mit der Aufschrift als „Abschiebehelfer“) unsere Demokratie, unseren Rechtsstaat gezielt und scharf öffentlich angreift und verächtlich macht.
Menschen nicht ins ewige Abseits stellen
Die Zahlen und Beispiele illustrieren im Spiegelbild Vollzug, dass die mittlerweile in beachtlichen Teilen der Bevölkerung zu verzeichnende Ablehnung unserer grundgesetzlich garantierten Staatsordnung allgegenwärtig ist. Nicht nur bisher Unsagbares, krude Reden, Verschwörungsmythen, Fackelumzüge, sondern auch immer mehr psychische und physische Gewalt sollen offensichtlich nach Ansicht der einschlägigen Protagonisten einem anderen Staat das Fundament bereiten. Und dennoch wäre es meines Erachtens nicht der richtige Weg, die Menschen, die dem verfangen, ins ewige Abseits zu stellen. Das wäre der einfache Weg, immer mehr Mauern hochzuziehen, der ja auch nicht zu funktionieren scheint. Dialog, Problemverständnis und lösungsorientierte Angebote, deren seriöse Umsetzung und die Rückgewinnung des Gegenüber für eine demokratische Grundhaltung scheinen mir da geeigneter. Auf diesem originären Ansatz beruht jedenfalls unsere Arbeit mit den extremistischen Gefangenen.
Jürgen Frank | Anstaltsleiter JVA Chemnitz





