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Gefängnisarchitektur: Raumnutzung und Alltagserleben einer JVA

16. Dezember 2024

Die Architektur und Gestaltung von Justizvollzugsanstalten und deren Abläufe prägen das Leben der Inhaftierten und des Vollzugspersonals. Die Gefängnisse sind nicht nur Orte der Freiheitsentziehung, sondern komplexe soziale Räume, in denen vielschichtige Interaktionen und Beziehungen entstehen. Sie spielen eine zentrale Rolle im Strafrechtssystem und sind damit entscheidend für die Resozialisierung der Gefangenen. Eine Forscherinnengruppe der Fachhochschule Potsdam (FH;P)hat eine Studie über die Justizvollzugsanstalt Heidering in Berlin veröffentlicht.

Die fundierte Analyse kann Erkenntnisse darüber liefern, wie die Architektur und Gestaltung einer JVA sowie die dadurch ermöglichten sozialen Interaktionen zur Verbesserung des Haft- und Arbeitsalltags und der Resozialisierungsprozesse beitragen können. Die von der Berliner Senatsverwaltung geförderte ethnografische Studie „Gefängnisarchitektur – Raumnutzung und Alltagserleben in einer Berliner Justizvollzugsanstalt“ wurde im Zeitraum vom August 2023 bis Juni 2024 durchgeführt. Das Erkenntnisinteresse der Studie betrifft die Alltagspraktiken, die Raumnutzung und Raumaneignung sowie die sprachlichen Interaktionen, sozialen Beziehungen und Bedarfe von Gefangenen, Mitarbeitenden des Allgemeinen Vollzugsdienstes und Sozialarbeitenden.

Der Andachtsraum in der Justizvollzugsanstalt Heidering. Foto: Imago

In dieser ethnografischen Studie wurde mithilfe von teilnehmenden Beobachtungen, Interviews und Gruppendiskussionen untersucht, welche Bedeutung die Gefängnisarchitektur der JVA Heidering für den Alltag und die Resozialisierung von Gefangenen hat. Dabei wurde betrachtet, wie materielle, soziale und digitale Räume im Kontext der JVA von unterschiedlichen Beteiligten genutzt und mit Bedeutung versehen werden. Darüber hinaus interessierte die Forschenden, welche Belastungen und welche psychosozialen Bedürfnisse sich bei Gefangenen im Kontext des Gefängnisumfelds feststellen lassen und wie diese Bedürfnisse erfüllt werden können. Gleichzeitig wurde untersucht, wie Inhaftierte, Mitarbeitende des Allgemeinen Vollzugsdienstes und Sozialarbeitende ihre sprachlichen und sozialen Beziehungen gestalten. Das Forschungsziel war es, vertiefte Erkenntnisse über das Alltagserleben in einer neu gebauten, modernen Berliner JVA zu gewinnen, um einen Beitrag zur Weiterentwicklung der Gestaltung des Haftalltags und der Resozialisierung der Gefangenen beizutragen und Anhaltspunkte für zukünftige Neubauten oder Renovierungen von Haftanstalten zu bieten. In diesem Kapitel werden die Ergebnisse der Studie zunächst zusammengefasst und die Forschungsfragen beantwortet. Anschließend wird der Forschungsprozess reflektiert und die Limitationen werden aufgezeigt. Schließlich wird ein Ausblick zur möglichen Weiterarbeit mit den Befunden gegeben.

Zusammenfassende Berichtsauszüge

Helle freundliche Architektur

Die Ergebnisse der Studie zeigen, dass die Gefängnisarchitektur sowohl für den Haftalltag der Gefangenen als auch für den Arbeitsalltag der Mitarbeitenden von Bedeutung ist. Für die Gefangenen kann die helle und freundliche Architektur der JVA Heidering das Wohlbefinden verbessern. Die Offenheit und Transparenz, die durch den Einsatz von Glas, bodentiefen Fenstern und den Ausblick ins Grüne geschaffen werden, können eine positive Grundstimmung fördern, indem sie zur Reduktion von Anspannung und Stress beitragen. Jedoch zeigt sich, dass die Architektur allein nicht ausreicht, um die Bedarfe der Inhaftierten zu erfüllen. Mängel in der Verpflegung, eingeschränkte Arbeitsmöglichkeiten und daraus resultierend finanzielle Einschränkungen beim Einkauf führen zu Frustration, die durch die Architektur nicht kompensiert werden kann. Die Nutzung der Räume in der JVA Heidering entspricht meist ihrer vorgesehenen Funktion. Gemeinschaftsräume wie die Wohnküche werden zum gemeinsamen Kochen und Essen genutzt, was den sozialen Austausch fördert. Hafträume dienen den Inhaftierten als Rückzugsort, in denen sie zur Ruhe kommen können.

Weniger überwachte Räume

Das Haftraummediensystem wird hauptsächlich für die Kommunikation mit Angehörigen genutzt und vermittelt ein Gefühl von Normalität und Verbundenheit, obwohl technische Probleme und hohe Kosten als Hindernisse empfunden werden. Einige Räume wie die Bibliothek, der Musikraum, die Kirche oder der Freistundenhof, werden entgegen ihrer ursprünglichen Funktion auch für den Handel mit Drogen oder Handys genutzt. Dabei wird deutlich, dass die Gefangenen gezielt weniger überwachte Orte für solche Aktivitäten nutzen. Allgemein wird das Konzept der Resozialisierung von allen Forschungsteilnehmenden kritisch betrachtet. Obwohl eine bessere Grundstimmung der Gefangenen durch die Architektur die Wirksamkeit von Behandlungsmaßnahmen potenziell erhöhen kann, ist dies vorsichtig zu interpretieren. Die Aussage vom Personal „Eine Bauweise bereitet ihn nicht auf das Leben vor“ unterstreicht die Limitierungen architektonischer Maßnahmen im Kontext der Resozialisierung.

Der Besucherbereich der Justizvollzugsanstalt Heidering. Foto: Imago

Transparenz birgt Sicherheitsrisiken

Für die Mitarbeitenden des Allgemeinen Vollzugsdienstes und die Sozialarbeitenden bietet die Architektur Vor- und Nachteile. Einerseits wird die helle und offene Gestaltung im Vergleich zu anderen Gefängnisbauten wie der JVA Moabit oder der JVA Tegel als angenehm empfunden, da dort oft kein Tageslicht zu sehen ist, andererseits bringt die Transparenz viele Sicherheitsrisiken mit sich. Der Personalmangel wird jedoch als größtes Problem wahrgenommen, da die offenen Strukturen laut den BeamtInnen nur mit ausreichend Personal effektiv funktionieren kann. Gleichzeitig steht die JVA Heidering vor Herausforderungen, die sich aus baulichen und planerischen Entscheidungen ergeben, die aus Sicht der Nutzenden teilweise als ungünstig oder suboptimal wahrgenommen werden. Diese Gegebenheiten beeinflussen sowohl die Sicherheit der Anstalt als auch die Haft- und Arbeitsbedingungen der Gefangenen und Mitarbeitenden.

Es gibt jedoch unterschiedliche Perspektiven auf diese Entscheidungen, und gerade im Justizvollzug kommt es häufig zu abweichenden Ansichten zwischen Praxis und Fachaufsicht. Mitarbeitende bemängeln, dass Inhaftierte das Personal aufgrund der offenen Strukturen bei ihrer Arbeit beobachten und dieses Wissen potenziell für ihre Zwecke nutzen können. Zudem haben bauliche und konzeptionelle Schwächen, wie unpraktisch konzipierte Büros und fehlende Fluchtmöglichkeiten, bereits zu Übergriffen auf das Personal geführt. Die Anstalt verfügt nur über eine Pforte, was im Falle eines Ausfalls die Versorgung gefährden könnte. Darüber hinaus ermöglicht die Positionierung der Gefangenenunterkünfte mit Blick auf den Parkplatz vor der Anstalt den Inhaftierten, Bewegungen von Personal und Sicherheitskommandos zu beobachten. Die Bauweise führte zudem zu Schimmel- und Wasserschäden, die seit Jahren bestehen und gesundheitliche Risiken darstellen können. Zusätzlich beeinträchtigen langwierige Renovierungen und Probleme mit sanitären Anlagen den Betrieb der Anstalt. |…]

Aushandlungen von Machtpositionen

Die soziale Interaktion und Kommunikation innerhalb der JVA Heidering ist überwiegend von Respekt geprägt, jedoch sind kontinuierliche Aushandlungen von Machtpositionen erkennbar. Diese Dynamik zeigt sich sowohl unter den Gefangenen als auch zwischen den Gefangenen in der Berliner Justizvollzugsanstalt und Mitarbeitenden des Allgemeinen Vollzugsdienstes sowie den Sozialarbeitenden. Besonders sichtbar wird dies in Situationen, in denen Gefangene nicht den Anweisungen der BeamtInnen folgen, was zu Machtkämpfen führen kann. Unter den Gefangenen existieren ebenfalls Hierarchien und Eigendynamiken, wobei einige Gefangene eine dominante Position einnehmen und andere Gefangene für bestimmte Aufgaben einteilen. Diese internen Hierarchien können wiederum vom Personal strategisch genutzt werden, um die Sicherheit und Ordnung im Gefängnis aufrechtzuerhalten. Dabei fungieren die dominanten Gefangenen teilweise als informelle Führungspersonen, die helfen können, Konflikte zu deeskalieren und Regelverstöße zu minimieren. Allerdings birgt diese Strategie auch Risiken, da sie das Machtgefüge unter den Gefangenen stabilisiert und potenziell festigt, was zu einer Verschärfung der internen Machtkämpfe führen kann. […]

 

Ausblick

Insgesamt lässt sich auf der Grundlage der empirischen Befunde dieser Studie festhalten, dass die Gefängnisarchitektur der JVA Heidering eine atmosphärische Bedeutung für den Haftalltag der Gefangenen und für den Arbeitsalltag der Mitarbeitenden des Allgemeinen Vollzugsdienstes und der Sozialarbeitenden hat. Die offenen und freundlichen Strukturen in Heidering tragen laut der Forschungsteilnehmenden zu einer angenehmen Atmosphäre bei. Diese geteilte Einschätzung von Gefangenen und Mitarbeitenden weist jedoch nicht unmittelbar auf eine bessere Resozialisierung der Inhaftierten hin, da dafür viele unterschiedliche Faktoren entscheidend sind. Der Vollzugsalltag ist komplex und wird von verschiedenen Bedingungen beeinflusst, nicht zuletzt vom Fachkräftemangel und der Gefangenenstruktur.

Um den Zusammenhang zwischen Gefängnisarchitektur, Raumgestaltung und Wohlbefinden genauer zu verstehen, sind weitere vergleichende Untersuchungen innerhalb verschiedener Berliner Anstalten erforderlich. In dieser Studie wurde überwiegend mit Gefangenen mit kürzeren Haftstrafen gesprochen. Bei einer Person mit einer längeren Haftstrafe deutet sich eine andere Form des Sprechens über die Architektur an. Insofern wären vergleichende Erhebungen mit Personen, die eine lange Zeit im Gefängnis verbringen und sich daher anders mit den Räumen verbinden müssen, eine sinnvolle Erweiterung der vorliegenden Daten. Gleichermaßen stellt sich die Frage, ob im Vollzug nicht nur das zukunftsorientierte Ziel der Resozialisierung im Fokus stehen sollte, sondern vielmehr auch die gegenwartsorientierte Bemühung, den Vollzug humaner zu gestalten. Es ist entscheidend, dass die Bedingungen der Haft sowohl die Resozialisierung unterstützen als auch das Wohlergehen der Gefangenen in der Zeit ihrer Inhaftierung fördern. […]

Quelle: Abschlussbericht zur ethnografischen Studie:
Gefängnisarchitektur – Raumnutzung und Alltagserleben in einer Berliner Justizvollzugsanstalt

 

1 Rückmeldung

  1. Peter Kaufmann sagt:

    Spannend zu lesen; ich bin 69, pensionierter Allrounder, und kenne mich aus Erfahrung aus in verschiedenen JVA. Am idealsten fand ich meine U-Haft in Südamerika, wo ich als Beifahrer in einen Unfall verwickelt war und 11 Tage U-Haft absitzen musste. In einem Garage ähnlichen Schuppen lagen wir auf einem Betonboden und wurden nur einmal im Tag zur Toilette rausgelassen. Zu essen gab es nur, wenn jemand etwas durch die Gitterstäbe reichte. Aber die Nachwirkungen waren minimal, weil alle das gleiche Schicksal gemeinsam trugen.

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