So einige Hinweisschilder zur “Baustelle JVA” zeigen den Weg im baden-württembergischen Rottweil zum Gefängnisneubau im Naturschutzgebiet. Dieser liegt zwischen der Autobahnbrücke über dem Neckartal und dem 246 m hohen Aufzug-Testturm, der 2017 erbaut wurde. Der Ort mit dem im Bau befindlichen Gefängnis ist anscheinend nicht so leicht zu finden. Eine Bushaltestelle ist eingerichtet, ebenso die fast 1 Kilometer Zufahrtsstraße zum Objekt. Der Zaun und die Haftmauer sind fast fertig. Ein Aussichtsinfo-Point soll den Überblick geben.
Eine Gruppe von FahrradfahrerInnen macht Halt am Bauzaun. Sie sind unterwegs ins idyllische Neckartal und wundern sich über die Großbaustelle. Im Esch, so heißt das 22 Hektar große Areal zwischen Feldern und Wäldern, entsteht die neue Justizvollzugsanstalt mit 502 Plätzen nahe der ältesten Stadt Baden-Württembergs. Im Jahr 2027 soll die JVA ans Netz gehen. Die Baukosten haben sich bis jetzt schon mehr als verdoppelt. Ein großes Plakat am Info Point weist darauf hin, “ins Team zu kommen. Der schnellste Weg ins Gefängnis. Jetzt hier bewerben…” Nur wen soll man ansprechen? Die Bauarbeiter vorne, die in einer anderen Sprache sprechen? Schnell sind die Radler auf die Aussichtplattform hoch gestiegen. “Die haben sogar einen Wanderparklatz und ein Fledermauskorridor”, witzelt der stämmige Mann mit Radlerhose im tiefsten schwäbisch.
Brücke und Testturm
Der Testturm und die Autobahnbrücke der A 81 könnten für den Justizvollzug Symbolbilder sein. Eine Brücke in die Gesellschaft und der Blick nach oben als Horizonterweiterung. Doch an diese Nachbar-Bauwerke kommt kein Inhaftierter heran. Über die fast 5 Meter hohe Mauer ist der Testturm von innen sicher im Blickfeld. Der Autoverkehr über die Neckartal-Autobahnbrücke hört man bei entsprechenden Windstärken. An diesem Ort werden in Zukunft Menschen re-sozialisiert werden. “In Zeiten, in denen moderne und humane Haftbedingungen immer wichtiger werden, zeigt dieser Bau, wie der Staat auf die Anforderungen von heute reagiert. Die Entwicklung solcher Einrichtungen könnte Vorbilder für andere Regionen schaffen”, meint der Oberbürgermeister von Rottweil. Dieser freut sich an der wirtschaftlichen, sozialen und gesellschaftlichen Auswirkung dieses Projekts. In der Baustelle geht der markant grau gewickelte Testturm unter all den Baukränen fast unter. Dies war das andere umstrittene Bauprojekt Rottweils.
Alte JVA´en werden geschlossen
Die Gruppe der FahrradsportlerInnen sparen nicht mit Kommentaren. “Lass uns doch gleich hierbleiben und wir sehen, wie es im Knast ist”, sagt eine der Frauen, als sie wieder auf ihre Räder steigen. Doch lieber schnell weg von diesem Ort. Irgendwie passt die Baustelle und das Gefängnis nicht in die Landschaft. Jahrelang hat das Land einen geeigneten Platz dafür gesucht. Es gab immer Bürgerproteste bei entsprechendem Landkauf. Jetzt wird gebaut “an hinterster Ecke”, an dem nur Wanderer und FahrradfahrerInnen die JVA zu Gesicht bekommen können. Die neue JVA ist Bestandteil eines umfassenden Haftplatz-Entwicklungsprogramms, mit dem die Struktur und Leistungsfähigkeit des baden-württembergischen Justizvollzugs verbessert werden soll. Mit der Fertigstellung wird der Neubau die alten und kleineren Justizvollzugsanstalten sowie Außenstellen, die aufgrund ihrer Größe und Ausstattung kein Entwicklungspotenzial aufweisen, ablösen. Gemeint sind damit die Justizvollzugsanstalt Rottweil in der Stadtmitte, einschließlich ihrer Außenstellen in Oberndorf, Hechingen und Villingen, sowie die Justizvollzugsanstalt in Waldshut-Tiengen. Die Aussichtsplattform wird bei Inbetriebnahme wieder abgebaut werden. Dann sieht man nur noch die Mauern und den Zaun davor. Was sich dahinter dann abspielt, wird kaum jemanden interessieren.
Michael King