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Foltervorwürfe in der bayerischen JVA Augsburg-Gablingen

4. November 2024

In der JVA Gablingen sollen Gefangene menschenunwürdig behandelt worden sein. Die Staatsanwaltschaft ermittelt aufgrund von Foltervorwürfen. Sie richten sich an Bedienstete und an die Leitung. Zahlreiche Medien berichten darüber. Eine Meldung hat es gar in die Tagesschau geschafft. Die Anstaltsleiterin ist bis auf Weiteres freigestellt. Die Vorwürfe gegen die im Jahr 2015 eröffnete JVA Gablingen wiegen schwer. Wo ist die Stimme der Gefängnisseelsorge?

Ein Telefonanruf erreicht mich in Nordrhein-Westfalen. Die Presse will Kontakt aufnehmen zum ehemaligen evangelischen Gefängnisseelsorger der JVA Gablingen. Dieser ist seit einem Jahr nicht mehr im Amt. Er hat den Dienst aufgegeben. Als Gefängnisseelsorger im Jugendvollzug der JVA Herford habe ich keine Informationen zu den örtlichen Vorkommnissen. Es gilt die Unschuldsvermutung. Sich in laufende Ermittlungen einzumischen, ist nicht erlaubt. Doch frage ich mich, wo in diesem Skandal die Stimme der Gefängnisseelsorge ist?

Keiner traut sich etwas zu sagen

Eine Anwältin und die ehemalige Anstaltsärztin sollen eine Strafanzeige aufgrund von Aussagen Gefangener gemacht haben. Jetzt wird ermittelt. Der bayerische Minister der Justiz, Georg Eisenreich, soll nicht informiert gewesen sein. Das Ministerium wusste schon vor einem Jahr, dass etwas in der JVA nicht stimmt. Es geht vor allem um die Unterbringung von Häftlingen in den sogenannten „besonders gesicherten Hafträumen“ (bgH). Die ehemalige Gefängnisärztin berichtet von Schmerzen und Hämatomen der Gefangenen. Ihr zufolge mussten Gefangene im bgH nackt ohne eine Matratze auf dem Betonboden schlafen, und das teilweise über mehrere Tage bis Wochen. Aus ihrer Sicht habe bei den meisten Betroffenen keine Suizidgefahr vorgelegen. Die stellvertretende Leiterin habe etliche nicht nachvollziehbare Anordnungen erlassen. Insgesamt herrsche ein Klima der Angst, katastrophale Stimmung und das Personal sei eingeschüchtert. „Keiner traut sich, etwas zu sagen. Es sind Beamte, die Angst um ihre Jobs haben“, so Baur. Die JVA Gablingen bezeichnet sie als eine Art Blackbox. „Es heißt, was hinter den Mauern geschieht, bleibt hinter den Mauern.“

Gefängnisseelsorge engagiert sich für Ethikkomitees

“Die Würde des Menschen ist unantastbar” steht im Grundgesetz Artikel 1 geschrieben. Dies gilt insbesondere innerhalb eines Gefängnisses, dessen Raum eben nicht rechtsfrei ist. Weder die Straftaten, weshalb jemand inhaftiert ist, noch ein widriges Verhalten im Vollzug ändert daran etwas. Die Gefängnisseelsorge steht für die Würde des Menschen ein. Das heißt nicht, dass sie alles mit sich machen lässt. Gefängnisseelsorge hat einen anderen Blick und stellt den Menschen in den Mittelpunkt. Sie unterliegt der absoluten Schweigepflicht. Seit Jahren engagiert sich die Gefängnisseelsorge für die Einrichtung von Ethikkomitees in den Gefängnissen, die keine Kontrollinstanz sein wollen, aber in interdisziplinären Fallbesprechungen Empfehlungen für einen guten Umgang mit den Menschen bei den Verantwortlichen aussprechen können. Dabei spielt die Würde des Menschen die zentrale Rolle sowie das Einstehen für jemanden, der dies nicht selbst aktiv einfordern kann.

Es muss Kontrollmechanismen geben

Geschehnisse im Vollzugsalltag kommen oft nur bei gravierenden Vorkommnissen an die Öffentlichkeit. Wie sehen die Kontrollmechanismen aus? Die jetzt suspendierte Leiterin der JVA wäre oft im Homeoffice und nicht vor Ort. Ich erinnere mich an eine Videoreihe der Zeitung Augsburger Allgemeine, in der sie “Ihr Gefängnis” als “Ihr Baby” bezeichnet. Sie wurde aufgrund eines früheren Verfahrens, bei dem es um die Fesselung eines Gefangenen in einer Klinik ging, zu einer Geldstrafe verurteilt. Im Video der Augsburger Allgemeine sagt sie ganz offen, dass dies gerechtfertigt gewesen sei. Sind Strafmaßnahmen zu hart ausgeführt worden? Es besteht die Gefahr in einem solchen System, dass Bedienstete aufgrund ihres Ermessensspielraumes überreagieren. Es gibt in jeder Anstalt einen Beirat von Menschen aus der Gesellschaft, die die Anstaltsleitung unterstützen. Bestimmte Vorkommnisse sind gegenüber dem Ministerium der Justiz meldepflichtig. In Nordrhein-Westfalen ist der Justizvollzugsbeauftragte für Beschwerden Bediensteter und Gefangener als sogenannter Ombudsmann unabhängig des Ministeriums der Justiz des Landes zuständig.

bgH nur mit Sitzwache

Vor einigen Jahren ist ein junger rumänischer Inhaftierter in einem bgh der JVA Herford verstorben. Trotz der Kameras hat man nicht bemerkt, dass der Jugendliche, der sich auf seine Arme an den ihm zugeteilten Tisch aufgestützt hatte, verstarb. Damals ermittelte die Staatsanwaltschaft, was bei jedem Tod in einer JVA üblich ist. Man hätte alles richtig gemacht. Es war kein Suizid. Die Ursache wäre “ein natürlicher Tod” gewesen. Nach dieser Erfahrung sind die Hürden in den bgH zu kommen erhöht worden. Nur aus Eigen- oder Fremdgefährdung kann ein Inhaftierter in diesen Raum gebracht werden. Allerdings mit permanenter Sitzwache vor der Tür und einer engen ärztlichen Betreuung. Das Fesselbett darf nicht verwendet werden. Eine JVA kann die Unterbringung in diesem speziellen Haftraum jedoch „nur“ für maximal 72 Stunden anordnen. Die Anwälte der stellvertretenden Leiterin in Gablingen sagen: „Die Anschuldigungen, wonach Inhaftierte durch die Umstände der Unterbringung unter menschenunwürdigen Bedingungen behandelt worden seien, entbehren auf Basis der vorliegenden Informationen jeglicher Grundlage.“ Sie kündigten an, dass ihre Mandantin die vollständige Aufklärung der Sachverhalte unterstützen werde.

Verbesserte Maßnahmen

Wie kann es sein, dass in unserer heutigen Zeit in einem geschlossenen System solche Foltervorwürfe erhoben werden? Grundsätzlich mag eine derartige Gefahr bestehen, die man unter “vollzugsblind” einordnen könnte. Die Sicherheit ist ein Aspekt. Ein anderer ist, den Menschen trotz seiner Straftat und seiner aktuellen Situation nicht aus dem Blick zu verlieren. Wir haben eine Verantwortung für die Menschen hinter den Mauern. Jeder Inhaftierte hat das Recht zu klagen und seine Rechte einzufordern. In einem Vollzugssystem gehen sie manches Mal unter, wenn es keine gegenseitige Kontrolle gibt. In den Berichten ist von einer Atmosphäre der Angst zu lesen. Angst ist ein schlechter Berater, sie könnte aber bewirken, die Umstände zu verändern. Dies wird jetzt in der JVA Gablingen mit den strafrechtlichen Ermittlungen in den eignen Reihen getan. Und sicher wäre es von Vorteil, wenn die Öffentlichkeit über verbesserte Maßnahmen informiert würde, am besten auch in der Tagesschau. Ansonsten bleibt ein zutiefst ungutes Gefühl darüber, dass es in der heutigen Zeit noch derartige menschenrechts- und würde-verletztende Ereignisse gibt. Stellungnahme…

Michael King

 

2 Rückmeldungen

  1. BAGS sagt:

    Die Unterbringung in besonders gesicherten Hafträumen steht aufgrund der Vorwürfe gegen die Behandlung von Gefangenen in der Justizvollzugsanstalt Gablingen besonders im Fokus. Erstmals hat ein Autorenteam die Häufigkeit dieser Maßnahme erhoben.

    In einer gemeinsamen Recherche mit Deutschlandfunk Kultur haben Sabrina Winter, Timo Stuckenberg und Stefan Wehmeyer alle Bundesländer angeschrieben und Daten zur Unterbringung im besonders gesicherten Haftraum (bgH) für die Jahre 2019 bis 2023 erfragt. Die Ergebnisse haben sie nun auf der Plattform FragDenStaat veröffentlicht und nach Bundesländern aufgeschlüsselt. Den Artikel und alle Tabellen finden Sie hier…

  2. Thomas Langer sagt:

    Danke für deine klaren Worte in Bezug auf die „Geschlossenen Systeme“! Ich hab mich in diesem Feld hier und da schon als Einzelkämpfer gefühlt. „Daher sind unabhängige Stimmen, die laut werden, wo Unrecht am Menschen geschieht, notwendig. Genau diesen Part wahrzunehmen wäre die Gefängnisseelsorge aufgefordert und verpflichtet.“ Bei den Osnabrücker Gesprächen hatten wir u.A. das Thema Ethik im Justizvollzug. Auf genau diesen Part unserer Arbeit – die Stimme zu erheben, Umstände und Vorgänge zu hinterfragen – hab ich in der Runde hingewiesen und den Kollegen dazu Mut gemacht! Erwähnenswert fand ich die Worte von Frau Dr. Tebben, Anstaltsleiterin der JVA für Frauen Vechta: Sie sieht in den KollegInnen der Seelsorge in Vechta eine Art „Korrektiv“. Die Osnabrücker Gespräche sind ein gutes Format um in den Austausch zwischen MJ, Anstaltsleitungen und Seelsorgenden zu kommen. Ich war das zweite Mal dabei.

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