Wie kaum ein anderer konnte der Komiker Loriot allzu menschliche Begegnungen beobachten und mit viel Humor zeigen, wie sie eskalieren können. Da ist das Frühstücksei, welches manchmal hart ist und manchmal weich. Sie kocht es, er will es weich – nun ist es aber hart, und schon geht’s los mit gegenseitigen Vorwürfen. Schließlich murmelt sie: „Mein Gott, sind Männer primitiv“, und er flüstert: „Ich bring sie um, ich bring sie um“.
So entwickelt sich aus einem Frühstücksei ein veritabler Ehekrach inklusive Mordabsicht. Dabei hat dieser Krach mit dem Frühstücksei gar nichts zu tun. Er entsteht vielmehr aus der Gewohnheit, eine Situation sofort persönlich zu nehmen und darüber zu streiten, wer recht hat und wer unrecht. In gegenseitigen Vorhaltungen erhebt sich eine Person urteilend über die andere.
Welches Spiel wird gespielt
So geschieht es auch im Gleichnis Jesu, von dem uns das Lukasevangelium berichtet. Hier ist es ein Pharisäer, der sich beim Beten in der Synagoge voller Selbstgerechtigkeit über einen Zöllner erhebt. Auch die Gleichnisse Jesu nehmen Alltagssituationen aufs Korn, spitzen sie zu, übertreiben sie, um die Zuhörenden zum Innehalten zu bringen: Schaut mal endlich genau hin, welches Spiel ihr da gerade treibt! Sich über den anderen urteilend erheben hat stets dieselbe leidvolle Dynamik in kleinen wie großen Auseinandersetzungen. In ihrem Buch „Beginne, wo du bist – Eine Anleitung zum mitfühlenden Leben“ beschreibt es die buddhistische Lehrerin Pema Chödrön so: „Alles fing damit an, dass jemand uns die Tour vermasselt hat, und endet in einem Kreuzzug um die Frage, wer recht und wer unrecht hat. So entstehen Kriege. Und niemand hat je daran gedacht, sich erst einmal auf das Gefühl des Verletzt-worden-Seins einzulassen und dann herauszufinden, welche Rede und Handlung angewendet werden kann.“
Be- und verurteilen
Besorgnisse, Beschämungen, Bedrohungen und Ängste, auch wenn sie vor langer Zeit geschehen sind, veranlassen uns, sicherheitshalber in Abwehr und Gegenwehr zu gehen, um das Gefühl eines sicheren Standpunktes zu bekommen. Soziale Medien bieten sich geradezu an, mit Daumen hoch oder runter andere zu be- und zu verurteilen, ohne wirklich mit ihnen in Kontakt gehen zu müssen. Manchmal wird so eine Empörungswelle entfacht, statt das Problem konstruktiv und ehrlich anzugehen. Dabei ist der Kampf nach außen eigentlich einer gegen etwas in uns selbst. „Die Menschen, die uns unwissentlich anwidern, geben uns über die Eigenschaften Aufschluss, die wir an uns selbst nicht akzeptieren wollen… Sie halten uns einen Spiegel vor“, sagt Pema Chödrön. Heilung, darin sind sich alle spirituellen Lehren einig, beginnt immer mit der Würdigung dessen, was ist in der Annahme, jeder Mensch trage den Samen des Gutseins in sich. Wenn ich mir selbst und den anderen zutraue, immer auch anders zu können, halte ich den Weg zu Versöhnung und Heilung offen.
Mitfühlendes Reden und Handeln
Im buddhistischen Geistestraining gibt es dazu die Losung „Sei jeder und jedem dankbar“. Was leicht fällt in wertschätzenden und helfenden Begegnungen, aber eine echte Herausforderung ist gegenüber denen, die uns auf die Nerven gehen. Doch gerade dann einander zu begegnen in Offenheit und Wertschätzung, ohne die anderen oder sich selbst abzuwerten, öffnet neue Wege. „Sei jeder und jedem dankbar“ meint nicht, so zu tun, als ob nichts wäre, oder alles stoisch über sich ergehen zu lassen. Diese Losung will vielmehr eine Einladung sein, Auseinandersetzungen als Lehrmeister zu betrachten, um zu mitfühlendem Reden und Handeln zu kommen. Weil unser gegenseitiges Einordnen und Beurteilen so sehr Gewohnheit sind – obwohl es viel Leid schafft – bleibt die Kunst, einander in Dankbarkeit zu begegnen, wohl eine lebenslange Übung. Vielleicht hilft es, den Pharisäer in uns selbst freundlich zu begrüßen und ihn in die Demut einzuladen.
Christoph Kunz | Lukas 18, 9-14





