Als Andreas Sturm Mitte Mai seinen Austritt aus der römisch-katholischen Kirche bekanntgab, wurde das – anders als bei anderen Kirchenaustritten – deutschlandweit diskutiert: Sturm war Generalvikar der Diözese Speyer, ein Mann der Hierarchie. Wenn so einer austritt, weil er nicht mehr an die Reformierbarkeit seiner Kirche glaubt, hat das Gewicht, lautete die Botschaft. Nun ist Sturms angekündigtes Buch erschienen. Was ist davon zu halten?
Es enthält keine Überraschungen. Die Gründe für Sturms Schritt sind dieselben wie jene vieler anderer Menschen, welche diese Kirche verlassen haben: Der Missbrauch und der Umgang damit; die Diskriminierung vor Frauen und homosexuellen/queeren Personen in der Kirche; die falsche Moral; das Braten im eigenen Klerikersaft und Ähnliches mehr. Nichts davon ist neu. Interessant ist eher, wie sich Sturm aus einem Verteidiger des Weltkatechismus zu einem Entfremdeten in der Kirche gewandelt hat. Möglicherweise ist seine Desillusionierung größer als bei Menschen, denen die Mängel des Katechismus von Anfang an klar waren.
Co-Abhängigkeit
Neu erscheint Sturms Argumentation mit der Co-Abhängigkeit. Darunter versteht man ein Schutzverhalten gegenüber Suchtkranken, das ungewollte die Sucht unterstützt. Nur: Was heißt das für die Kirche? Es ist nachvollziehbar, dass sich Sturrn für co-abhängig hält, weil er als Generalvikar für die Kirche arbeitete und damit bis zu einem gewissen Grad das System unterstützte. Aber ist der Übertritt in eine andere Kirche (in Sturms Fall in die altkatholische Kirche) die Einzige Möglichkeit der Reaktion? Das erscheint von außen betrachtet alles andere als zwingend, auch wenn man Sturm seine Empfindungen zugestehen muss: Laut eigenen Aussagen wünscht sich er der römisch-katholischen Kirche, dass sie gesund werde – nur glauben kann er nicht mehr daran.
Kirche kann daraus lernen
Wie passt diese Buchbesprechung in die Kirchenzeitung – wie passt das Buch in den Herder-Verlag, der auch Bücher Benedikts XVI. verlegt? Sturm hat recht, dass viel zu wenig auf die Ausgetretenen und ihre Gründe gehört wird. Daher kann es helfen, wenn jemand zum Abschied laut und nicht leise „Servus” sagt, weil die Kirche daraus lernen kann. Was übrig bleibt ist aber Sturms persönliche Entscheidung. Sie ist keine Handlungsempfehlung für andere. Sturms Buch ist jenes von Stefan Jürgens gegenüberzustellen: ,,Dranbleiben! Glauben mit und trotz der Kirche (Verlag Herder).
Heinz Niederleitner | Quelle: Kirchen-Zeitung der Diözese Linz
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Dass die Missstände der katholischen Kirche in dieser Buchbesprechung als „nichts Neues“ propagiert werden, ist erschreckend. Woche für Woche kommen neue Details ans Licht. Dass manche einen leisen Abschied des ehemaligen Generalvikars ohne Medienauflauf gesehen hätten, ist klar. Spiegelt dies doch das System wieder, in der Andreas Sturm arbeitete. Am besten nichts bekannt machen, nicht darüber reden und am allerbesten schweigen. Gut, dass Andreas Sturm das nicht macht. Ob die Kirche daraus lernen kann? Ich vermute mal nicht. Zu sehr wird der Weggang als persönliche Entscheidung gesehen. Die wahren Gründe liegen aber auf systemischer Ebene.
An und in der Kirche leiden Menschen. Die Ungerechtigkeiten gibt es aufgrund der Lehre und der klerikal-hierarchischen Strukturen. Letztlich werden die Verantwortlichen luvial weiter gehen ohne wesentliche Veränderungen. Dranbleiben? Das kostet viel zu viel Kraft und frustriert. Bereits seit zig Jahren wird partiell über die aufgezählten „Reizthemen“ ohne Konsequenzen lamentiert. Daneben gibt es die stillen Abschiede aus der Katholischen Kirche. Die aktuellen Kirchenaustrittszahlen belegen, dass die Menschen in Scharen davonlaufen. Darunter sind engagierte KatholikInnen und Personen in pastoralen Berufen. Es lohnt sich nicht, „dranzubleiben“. Das Eintreten für Veränderungen einer Kirche, der die Strukturen wichtiger sind als das Leben, ist nicht (mehr) relevant.