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Gefängnisnovelle „Alles abwegig“ mit wahren Zwischentönen

1. Februar 2024

Eine Novelle schreiben und als Buch herausgeben? Dies hat der pensionierte Gefängnisseelsorger der JVA Stuttgart-Stammheim, Hans-Ulrich Agster, realisiert. Die Namen und Handlungen des Romans sind frei erfunden, doch die Gegebenheiten und Abläufe eines Knastes beschreibt der Autor ins kleinste Detail realitätsnah. Denn davon handelt das Buch: Von einem Bediensteten und einem Inhaftierten, die in die Anstalt kommend und die Wirklichkeiten unterschiedlich wahrnehmen.

Nicht spektakuläre Ausbrüche, katastrophale Haftbedingungen oder sonstige aufsehenerregenden Erlebnisse sind die Themen, wenn der ehemalige Stammheimer Gefängnisseelsorger Hans-Ulrich Agster vom Knast schreibt. Er lenkt das Augenmerk auf den vermeintlich weniger spannenden Alltag. Dass es da davon viel zu erzählen gibt, fasst er in diesem Buch zusammen. Zwei Männer, deren Wege sich in Freiheit nie kreuzen würden, begegnen sich im Knast: Der Justizvollzugsbedienstete Brehmer und der Untersuchungshäftling Storr. „Die Menschen schlagen in der Untersuchungshaft sehr, sehr hart auf“, gab der evangelische Pfarrer in einem Zeitungsbericht zu seiner aktiven Zeit in der JVA Stammheim wieder. Vom Alltag in einer Welt hinter den Mauern von den Menschen, die dort arbeiten und leben müssen, beinhaltet Dramen, die das Leben schreibt.

Wechsel-Geschichten

Der Autor lässt nicht nur in Abgründe schauen, sondern sie zeigen ihm, dass die Menschen darin ihre je eigene Würde nicht verlieren. Verarbeitet der ehemalige Gefängnisseelsorger seine gemachten Erfahrungen hinter Gittern? Auf dies deuten die feinen Zwischentöne hin. Er erzählt von dem Bediensteten, der früher Rettungssanitäter war und der mit dem Motorrad zum Dienst in die Anstalt fährt. Am Schlüsselfach holt der Beamte seinen Schlüsselbund heraus. Agster führt seine Gedanken in diesem Moment aus: „Es gibt Ordnungen hier drin, aber auch Abweichungen. Es gab Regeln, aber auch Abweichungen davon. Es gab klare Anweisungen, die dann aber unklar ausgeführt wurden. Alles war gut organisiert. Alles funktionierte“, so wird das Denken des Bediensteten Brehmer geschildert. Im Wechsel mit dem Straftäter und seiner Geschichte, der von Kriminalbeamten im Dienstfahrzeug durch die Schleuse gebracht wird, erlebt der Roman eine enorme Spannung. In der Kammer muss sich der U-Häftling Storr den Kontrollen der Bediensteten unterziehen. „Wieder warten. Er war jetzt im Knast. Und da, er hatte sich das selbst zuzuschreiben, konnte niemanden einen Vorwurf machen. Es war wieder der Versuch gewesen, durchzukommen, etwas schlauer zu sein als beim letzten Mal“, so schildert Agster den Menschen, der inhaftiert wird.

Neben-Wirkungen

Dass nicht alles so schwarz ist wie das Buchcover daherkommt, bemerken die Lesenden je mehr sie mit den Kapiteln des Buches vertraut werden. Da gibt es Gemeinsamkeiten zwischen den zwei so unterschiedlichen Menschen im Knast. Jeweils mit anderen Gesichtern und Hintergründen, doch sind die Lebenserfahrungen darin ähnlich menschlich. Nichts geschieht ohne Absicht, sagen einige. Informelle Regeln, Machtdemonstrationen und einen Gefallen zu tun sind die Nebenwirkungen in solch einem System. Das ständige „haben wollen“ der Gefangenen können die Bediensteten zur Verzweiflung bringen. So lassen sie manches Mal etwas zu. Fördern und fordern. Als Beispiel nennt der Autor die Ausgabe von mehr Äpfeln als einen beim Essen verteilen. Ein Roman, den man nicht so einfach nebenher im Urlaub lesen kann. Der Inhalt holt die Welt von drinnen nach draußen und andersherum. Eine Novelle, die keine ist, sondern die Wirklichkeit eines Knastes den Lesenden nahe bringt. Personalisiert mit anderen Namen und stellvertretend für die Bediensteten und Inhaftierten. Ein Buch, das auf den Punkt bringt, wie es hinter Gittern zugeht und welche Mechanismen greifen. Das Buch ist im Verlag für Gefängnisseelsorge mit Sitz in Zürich erschienen.

Der Autor Hans-Ulrich Agster war 13 Jahre in der Justizvollzugsanstalt Stuttgart als evangelischer Gefängnisseelsorger tätig. Das berüchtigte Gefängnis wurde in den 70er Jahren als JVA Stammheim mit den RAF Terroristen bekannt. Agster ist Autor vieler Theaterstücke, Singspielen und anderen Publikationen. Er war Redakteur des „Aufschluss“, der evangelischen Zeitschrift für Gefängnisseelsorge in Deutschland. Unter anderem war er Lehrbeauftragter für Berufsethik an der Justizvollzugsschule in Baden-Württemberg.

Michael King

 

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