Der ehemalige Gefängnisseelsorger der JVA Geldern am Niederrhein, Hans-Gerd Paus, erzählt bärenstarke Eindrücke zwischen der Grenze von Griechenland und Albanien. Er ist unterwegs vom östlichsten Punkt Europas bis zum westlichsten, von Istanbul bis ins spanische Finesterre. Zu Fuß mit Rucksack und Cowboy-Hut. Den braucht er bei der derzeitigen Hitze in Osteuropa.
„Einem einen Bären aufbinden“, ist Hans-Gerd Paus ganz fremd. Er führt aus, was er plant und meint das ernst. Da lässt er sich von Bären und Gefahrenhinweis-Schildern nicht aufhalten. Ob ihm ein jemals ein Bär begegnet ist? „Ich habe auf der Nord Südroute sehr wohl Kontakt mit einem Bären gehabt. Er begleitete mich im Abstand. Er war wohl nur neugierig. Ich war wohl nicht nur entzückt“, erzählt Paus lachend. Auf der Nord-Süd Route letztes Jahr sind ihm große Elche begegnet, die ihm Respekt eingeflösst haben. „Das würde mir hier in der Begegnung mit einem Braunbär genauso ergehen“, grinst er. Einige seiner Tagebuch-Einträge um Griechenland und Albanien seien hier wiedergegeben:
Bären hier wie dort
Der letzte Kilometer in Griechenland ist gelaufen. Es hat mich doch vor 5 Uhr aus den Federn geholt. (Es = die innere Uhr). Oder war es Vorfreude? Denn tatsächlich freute ich mich auf Albanien, das Land, vor dem ich zu Reisebeginn irgendwelche Angstphantasien entwickelt hatte. Warum die plötzlich weg sind, weiß ich nicht. Fange also mit dem Land bei Null an. Aber erstmal hieß es Abschied nehmen von Griechenland. Wenn ich die Hauptstrasse (klingt übertrieben) verließ, um durch die kleinen Ortschaften am Weg zu gehen, um einen letzten Kaffee zu trinken, ein letztes Mal mit alten Herren in der Bar ins Gespräch zu kommen, ein letztes Mal am öffentlichen Wasserhahn meine Trinkflasche aufzufüllen und ein letztes Mal kläffende griechische Hunde abwehre, dann bot sich mir ein grausames Bild. Die kleinen Dörfer liegen in den letzten Zügen. Es muss schon Jahre her sein, dass hier der letzte Kaffee ausgeschenkt wurde. Hier kommen schon lange keine alten Herren zum Plausch mehr zusammen und die meisten Hunde, die hier einst kläfften, werden lange tot sein. Die Bären stört das nicht. Sie überqueren die EU-Grenze und suchen sich ihr Terrain.
Ein Verstehen eingekehrt
Ein Hund kam noch bellend auf mich zu, traute sich aber nur bis auf 10 Meter heran. Und dann tauchte plötzlich eine hochbetagte Frau auf. Sie steuerte direkt auf mich zu und nahm neben mir Platz. Sie stellte Fragen und der Blick wartete auf eine Antwort. Es dauerte etwas, bis sie verstand, dass ich nicht verstand. Dann erzählte sie mir eine lange Geschichte. Dem Klang nach waren es Weinen und Klagen, oder auch ihre Einsamkeit. Als sie mich etwas fragte, nutzte sie ab jetzt Hände und Füße, fragte, wo ich herkomme, wohin ich wolle, wo ich schlafe und wie schwer mein Rucksack sei. Plötzlich verstanden wir uns. Da war irgendwie Verstehen eingekehrt. Sogar der Hund hatte sich beruhigt und lag uns zu Füßen.
Letzter Kontakt zu Albanern in der JVA
Albanien beeindruckt mich. Albanien im Dreiklang: Autos von Mercedes, Autowaschplätze und nette Menschen. Alles drei kann ich nach nur wenigen Stunden Albanien bestätigen. Ich fragte mich, woher die diffuse Angst vor Albanien kommt. Mein Lösungsversuch: meinen ersten und einzigen Kontakt zu Albanern hatte ich in der JVA. Schon beim ersten Kontakt auf der Zelle erkannte ich an der selbst gestalteten albanischen Flagge mit dem doppelköpfigen Adler. Viele von ihnen lösten nach den ersten Gesprächen die Frage aus: Welchen Kopf zeigt er mir gerade. Ist er so freundlich, oder spielt er mir etwas vor, um einen Vorteil fein säuberlich vorzubereiten. Einige waren wirklich – wie ich es für mich formulierte – genetisch kriminell mit lächelndem Gesicht. Nicht deren Taten erschreckten mich, sondern deren Denkweise, die zu den Taten führte. Oft versehen mit der abstrusen Erklärung: Die (deren Opfer waren gemeint) sind doch selber schuld, wenn sie so blöd sind und es mir so einfach machten. Wohlgemerkt, zu mir waren sie immer sehr freundlich, die Echtheit konnte ich nicht prüfen. Nun denke ich, dieses Erleben übertrug ich unterbewusst auf Albanien und die Albanier. Schürte selber in mir die Sorge bei jeder Freundlichkeit aufpassen zu müssen. Klar gibt es in Albanien Schurken, aber mehr wirklich gute Menschen. Die Freundlichkeit kann ich genießen, wie die Landschaft. Und genieße gerade wirklich.
Kein Leitungswasser trinken
Habe viel gesungen unterwegs, was immer ein Zeichen dafür ist, dass es mir richtig gut geht. Adriano wird das heute Abend nicht sagen. Er kam mir mit dem Fahrrad entgegen, machte sofort eine Vollbremsung als er mich sah und wir kamen ins Gespräch. Er will mit dem Rad von der Schweiz nach Athen. Hatte sich gestern noch eine Lebensmittelvergiftung zugezogen. Er wusste nicht wovon, ich tippte auf Leitungswasser, das er hier in Albanien trank und ich klugscheißern konnte, man solle das Leitungswasser laut Internet hier nicht einmal zum Zähneputzen verwenden. Er kotzte sich verbal so richtig aus und will, dass der ganze Trip endlich vorbei sei. Er hätte die Schnauze voll. So Tage gibt es. Kenne ich auch, wenngleich sehr sehr selten in dieser Reinform. Als wir uns verabschiedeten, war seine Laune gestiegen. Also uns doch gegenseitig keinen Bären aufgebunden?
Hans-Gerd Paus