parallax background

Gottes Antippen für die Zeit in Brasilien und dem Gefängnis

21. Juli 2025

Angela Gessner suchte ungewöhnliche Einsatzorte. Zuerst ging sie vom Bistum Mainz ins brasilianische Amazonasgebiet, Jahre später arbeitete sie in einem hessischen Männergefängnis. Beides hat ihr Christsein geprägt: die GLaubenstiefe der lndigenen genauso wie die Glaubensfragen von lnhaftierten.

Die Anreise war eine Katastrophe, erzählt Angela Gessner. Als die Gemeindereferentin aus dem Bistum Mainz 1986 das erste Mal nach Brasilien flog, wurde sie nicht wie versprochen am Flughafen abgeholt, konnte kaum Portugiesisch und musste das Schiff finden, das sie über den Amazonas in den kleinen Ort Juruti bringen würde. „Als ich nach drei Tagen endlich angekommen war und an Land ging, da durchströmte mich ein ganz starkes Gefühl, zu Hause angekommen zu sein“, sagt sie.

Verrückte Idee

Nach drei Wochen flog Gessner wieder nach Hause. Die Frage aber, ob das der Weg ist, den Gott mit ihr gehen, ihr schenken will, 1ieß sie nicht mehr los. Die gebürtige Offenbacherin hat in ihrem Leben immer die Herausforderungen gesucht. „Schon als Kind war ich sehr neugierig und abenteuerlustig“, erzählt sie. Sie wollte neue, ihre ganz eigenen Pfade beschreiten, um Gott Gelegenheiten zu geben, sie „anzutippen“, wie sie sagt. Davon gab es in ihrem Leben einige, wie sich später zeigen sollte. Die Gemeindereferentin, die heute im Ruhestand ist, wuchs mit fünf Brüdern in einer traditionell katholischen Familie in Offenbach auf. Als sie Teenager war, zog die Familie nach Rüsselsheim. Dort begegnete Gessner Pfarrer Alfons Blumenfeld, der in Juruti in Brasilien als Seelsorger tätig war, und Kaplan Gunter Bee, der ihm einige Jahre später nachfolgte. Ich habe irgendwann mal ganz nebenbei zu Freunden gesagt: „Ach, nach Brasilien würde ich auch gerne mal gehen. Das war so eine verrückte Idee“, sagt Gessner.

Ciao Jesus

Nach ihrem Studium arbeitete sie zunächst als Gemeindereferentin in verschiedenen Pfarreien im Bistum Mainz. Doch die verrückte Idee, mal nach Brasilien zu gehen, 1ieß sie nicht los. 1986 wagte sie die Reise zu den ihr bekannten Pfarrern, eine Reise, die ihr Leben verändern sollte. Denn: In diesem kleinen Ort Juruti im Regenwald, wo es Strom nur gelegentlich und Krankenhäuser gar nicht gab, tippte Gott sie an. „Die Art, wie die Menschen glauben, bewegte mich sehr. Es ging mehr über das Gefühl als über den Verstand. Das kannte ich von Deutschland überhaupt nicht“, erzählt sie. An eine Begebenheit erinnert sie sich besonders, eine, die ihr zeigte, wo ihr Platz in den nächsten Jahren sein wird. Nach einem Gottesdienst ging ich mit einer jungen Mitarbeiterin der Gemeinde aus der Kirche. Kurz vor dem Ausgang drehte sie sich plötzlich um, winkte in Richtung Tabernakel und rief fröhlich: ,Ciao Jesus.‘ Das war ein kurzer Moment, der mich damals ziem1ich sprachlos gemacht hat. Wie kann man so glauben? Den Glauben so fühlen?“, erinnert sie sich.

Es wurden 9 Jahre

Wieder zu Hause rang Angela Gessner zwei Jahre lang mit der Entscheidung, nach Brasilien zu ziehen. „Hier in Deutschland hatte ich ein gutes Leben, dort gab es kaum Gesundheitsversorgung. Ich konnte die Sprache nicht. Doch mich drängte die Frage, was Gott wohl mit mir vorhat. Wie kann ich meine Talente am besten einbringen? Wo erwartet mich das Leben in Fülle?“, sagt Gessner. 1989 kaufte sie sich schließlich das Ticket nach Südamerika. Da sie beim Bistum Mainz angestellt blieb, behielt sie eine gewisse Sicherheit. Sie hatte vor, drei Jahre zu bleiben. Es wurden neun. „Ich habe allein zwei Jahre gebraucht, um die Kultur einigermaßen zu verstehen. Da konnte ich noch nicht zurück nach Deutsch1and“, erzählt Gessner. Ihr gefiel besonders gut, dass sie in Juruti zu einhundert Prozent Seelsorge machte. Sie war hauptsächlich für die Aus- und Weiterbildung der verantwort1ichen Frauen und Männer der über hundert Basisgemeinden zuständig. Die pastoralen Mitarbeitenden fragten sich immer wieder, was die Menschen in diesem Moment konkret brauchten. Sie boten ganz unterschiedliche Kurse an – von biblischen Themen über kreative Angebote bis zu Gesprächen über Heilpflanzen.

Antippen in den Knast

Gleichzeitig waren sie politisch aktiv, kämpften etwa für sauberes Trinkwasser. „Das Leben war sehr unberechenbar. Ich konnte mich ausprobieren. Gott konnte ich dort ganz stark spüren“, erzählt Gessner. „Da habe ich gebetet und Gott hat zurück gebetet“ Nach neun Jahren zog sie zurück nach Deutschland. Sie war zunächst in der portugiesischsprachigen Gemeinde in Darmstadt und verschiedenen Pfarrgemeinden tätig. Doch bald ging sie wieder an einen eher ungewöhnlichen Ort: die Justizvollzuganstalt Weiterstadt, das größte Männergefängnis in Hessen. Zunächst baten die Seelsorger sie, Portugiesisch zu übersetzen, später sie in Teilzeit dort tätig, um sie bei Gesprächen zu unterstützen. Auch dort spürte Gessner, dass Gott sie antippte. „Die Menschen im Gefängnis haben oft keinerlei kirchliche Basis, aber auch Menschen, die gemordet haben, haben Dinge gesagt, die mich lange Zeit begleiteten“, sagt sie und erinnert lebhaft sich an Sätze wie: „Darf ich noch beten?“ Und: „Da habe ich gebetet und Gott hat zurückgebetet.“ Und: „Das Reich Gottes hat schon angefangen? So ganz rund läuft es aber noch nicht!“

Wunderbare Weite

2023 ging Angela Gessner in den Vorruhestand. Und sie fand wieder einen Ort in den sie sich „schockverliebte“, wie sie sagt. Sie wollte wegfahren, um Pläne für ihren neuen Lebensabschnitt zu machen und entschied sich spontan für Langeoog. Mehrmals im Jahr verbringt sie einige Wochen auf der ostfriesischen Insel. Sie genießt das Stück heile Welt, das sich hier zeigt. Auch hier begegnet sie Gott, der sie antippt, ganz besonders am Meer oder wenn sie mit der Seelsorgerin vor Ort ein Strandlabyrinth baut. Auch wenn Gessner häufig die unrunden Seiten des Reiches Gottes gesehen hat, so haben doch auch diese Erfahrungen ihren Glauben weiterwachsen lassen. „Ich hatte in all den Jahren nie das Gefühl der Gottlosigkeit. Ich habe ihn tief im Inneren gespürt, er hat mich immer wieder überrascht und mir eine wunderbare Weite geschenkt“ sagt sie.

Theresa Breinlich | Mit freundlicher Genehmigung: Verlagsgruppe Bistumspresse

Drucken

Feedback 💬

Ihre E-Mail Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert