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Petrus Ceelen: Das Letzte muss ja nicht das Letzte sein

7. November 2023

Seit dreißig, vierzig Jahren schreibt Petrus Ceelen sein letztes Buch. Denkzettel war sein allerletztes, dann musste Dankzettel noch daran glauben. Was „Ich Euch noch sagen wollte“, sollte das allerletzteste gewesen sein. Bis Marliese, eine treue Leserin Ceelen´s sagte: ,“Das Letzte muss ja nicht das Letzte sein.“ Seitdem ist er wieder schwanger, wie damals bei seinem ersten Kind. Es kam 1978 im Knast zur Welt und hieß: „Hinter Gittern beten. Eine Sprechhilfe für das Gespräch mit Gott im Gefängnis.“ Der nunmehr 80-Jährige verdichtet seine vielfältigen Lebens­erfahrungen und spricht nicht zuletzt über die letzten Dinge. Dies ist bereits das vierte Buch seit seiner eigenen Krebsdiagnose Anfang 2021.

Heute hält das Handy uns gefangen, zwischen Bildschirmen schauen wir uns an. Wir sehen uns selten richtig, von Mensch zu Mensch an. Und immer noch suche ich nach Worten, um was eigentlich zu sagen? Das Leben ist ein großes Geheimnis, wir werden es nie ganz begreifen. Lieben, leiden, lachen, lernen. Leben leben – bis zuletzt. Mein Leben schreibt einmal mehr mein letztes Buch. Das Letzte muss ja nicht das Letzte sein, und der Tod nicht das Ende. Schauen wir mal, dann sehen wir schon. Als ich ein Kind war, fühlte ich mich unter ständiger Beobachtung. Gott war wie ein Gefängniswärter, der von oben alles überwacht, alles sieht, alles hört und nichts ungestraft lässt. Wie unzählige andere habe ich vor dem ,,Richter Gnadenlos“ unendlich viel Angst gehabt. Mit der Hölle wurde uns gedroht. Vor allem das sechste und neunte Gebot haben uns als Kinder arge Gewissensbisse bereitet und unsere Angst vor der Hölle geschürt. Im kleinen Priesterseminar schob der Priester-Aufseher jeden Abend den Vorhang meiner ,,Chambrette“ beiseite, um nachzusehen, ob ich die Hände über der Decke halte und nicht schwer sündige. ,,Hände über der Decke“ auch im Winter. Mit dem Knüppel der Sünde wurde ich unverschämt katholisch verzogen. Alle zwei Wochen mussten wir beichten gehen.

Nicht andere kopieren

Bei wie vielen Gläubigen haben die kirchlichen Verbote und Einschüchterungen verheerende Schäden angerichtet. Wie viele leiden bis heute unter der Drohbotschaft und fürchten sich vor der eigenen Sexualität. Die Angst vor Sünde sitzt so tief. Alles, was Spaß macht, ist Sünde. Ich halte es lieber mit Martin Buber. Er sagt: Die schwerste Sünde ist es, gegen sein eigenes Wesen zu leben. Wer auf Kriegsfuß mit sich selbst steht, kann mit anderen nicht in Frieden leben. Dein Wesen, dein innerster Kern, der göttliche Funke ist es, was dich zu dem Menschen macht, der du bist. Du bist ein einmaliger, einzigartiger Mensch. Ein Unikat. Jede, jeder von uns wurde als Original geboren. Versündigen wir uns nicht gegen unser eigenes Wesen. Bleiben wir uns selbst treu und kopieren wir nicht die anderen. Verstellen wir uns nicht und geben wir uns einfach so wie wir sind. Dann sind wir echt gut. Stehen wir zu uns, zu unserer Eigenart. Das, was uns eigen ist, das Eigene ist das Eigentliche, das, was uns von anderen unterscheidet. Wir sind dazu berufen, unsere Mission zu erfüllen, uns selbst zu sein. Trau deinem Selbst. Sei du der Mensch, der Du bist. Sei du du selbst. Dazu hat Gott dich berufen in deine Einmaligkeit.

Gott versteht sehr wohl

Martin Luther schreibt im Jahr 1524 an einen, der seine geliebte Frau verloren hat und darüber nicht hinwegkommt: ,“Euer Gnaden sollen sich daran erinnern, dass Gott es selbst war, der Ihnen Ihre liebe Frau gegeben und nun auch wieder genommen hat. Sie war sein, ehe er sie Ihnen gab. Sie war immer noch sein, auch während er sie Euch gegeben hat. Sie ist auch noch sein, da er sie genommen hat. Wie wir alle es sind.“ Was Luther hier schreibt, ist ein herber Trost. ,“Meine Frau“ und ,“unsere Kinder“ sie gehören uns nicht. Sie sind uns gegeben. ,,Der Herr hat es gegeben, der Herr hat es genommen, gepriesen sei der Name des Herrn“. Dieser gottergebene Spruch Hiobs vermag viele Trauernde nicht zu trösten. Im Gegenteil. Sie sind zutiefst aufgebracht, weil der Herrgott ihnen das Liebste genommen hat. Was ist das für ein Gott, der Eltern ihr Kind, kleinen Kindern ihre Mutter nimmt? Über manche Todesanzeige steht: ,“Gott, dem Herrn hat es gefallen…“ Ein Gott, der Gefallen am Tod von Menschen findet, soll Liebe sein?

Nach christlicher Lehre ist Gott der Herr über Leben und Tod – und wer sich selbst tötet, nimmt die Macht über sein Leben in die eigenen Hände – die Macht, die eigentlich nur Gott zusteht. Deshalb war Selbsttötung die schwerste Sünde. Das Leben ein Geschenk Gottes. Aber was ist, wenn Menschen mit diesem Geschenk nichts mehr anfangen können und es ihnen nur noch unerträgliche Mühe macht? Darf man ein Geschenk nicht auch ablehnen und zurückgeben? Gibt es kein Rückgaberecht? Und wenn ein Geschenk an bestimmte Bedingungen gebunden ist, ist es kein Geschenk mehr. Wenn Gott die Liebe ist, dann verlangt er von niemandem, dass er die Last seines Lebens länger trägt als er tragen kann. Ich bin gewiss, dass Gott sehr wohl versteht, wie verzweifelt ein Mensch gewesen sein muss, um diesen letzten Schritt zu tun. Kein Mensch kann tiefer fallen als in die Hände Gottes.

Petrus Ceelen

 

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