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Ehrenamt im Strafvollzug am Beispiel der JVA in Wriezen

11. Oktober 2020

„Ich bin im Gefängnis gewesen und ihr habt mich besucht.“ Schon in der Endzeitrede von Jesus im Matthäusevangelium hat der Besuch von Menschen im Gefängnis eine Bedeutung. Soziale Hilfe für Straffällige hat in ihrer kirchlich-christlichen Ausprägung eine lange Tradition. Das Leben hinter Gittern ist ein Leben außerhalb unserer Gesellschaft, ein Leben unter besonderen Bedingungen. Im Gefängnis werden den Inhaftierten der Tagesablauf und vieles andere vorgegeben. Wahl- und Entscheidungsmöglichkeiten sind rar. Dadurch sind die Gefangenen in ihrer Selbstbestimmung stark eingeschränkt.

Koordiniert durch das Departement Prison/Justice von Secours Catholique/Caritas Frankreich und der Katholischen Bundes-Arbeitsgemeinschaft Straffälligenhilfe im Deutschen Caritasverband (KAGS) hat ein europäisches Netzwerk von katholischen Straffälligenhilfe-Organisationen Gefangene befragt, wie sie diesen Mangel an Selbstbestimmung erleben. Justizbehörden und im Strafvollzug tätige Vereine und Verbände wurden ebenfalls befragt. Hier ging es darum, wie der Strafvollzug Selbstbestimmung fördern und ermöglichen könnte. Ein wesentliches Ergebnis der Studie ist, dass viele Gefangene zuallererst Menschlichkeit und Würde im Gefängnis vermissen. Die Achtung der Menschenwürde ist eine fundamentale Voraussetzung, dass Gefangene ihre Entscheidungsmöglichkeiten und Selbstbestimmung hinterfragen und sich um Verbesserung bemühen können. Erfahrungen von Anerkennung und Respekt tragen zur Bewahrung von Identität und zu geistiger Gesundheit bei. Aber auch unter den widrigen Bedingungen im Gefängnis kann es gelingen, dass sich Gefangene als Individuen fühlen. Zum Beispiel im Kontakt zu Menschen, die außerhalb des Strafvollzugsystems stehen und von außen kommen, wie z.B. SeelsorgerInnen, LehrerInnen, externes Fachpersonal oder aber auch ehrenamtliche BegleiterInnen.

Als Bindeglied zwischen der Gefängniswelt „drinnen“ und der Gesellschaft „draußen“ leisten ehrenamtliche BesucherInnen einen wesentlichen Beitrag zur sozialen Integration straffällig gewordener Menschen. Dies gilt insbesondere für Inhaftierte im geschlossenen Vollzug, die kaum Kontakt nach Außen haben. Nicht selten gehen während der Inhaftierung soziale Beziehungen in die Brüche. In dieser Situation kann Besuch von Ehrenamtlichen hilfreich und stabilisierend sein. Die besondere Rolle der ehrenamtlich Mitarbeitenden in der Freien Straffälligenhilfe erwächst aus deren Unabhängigkeit und „Nichtprofessionalität“. Dass sie keine Vollzugsbediensteten sind, ermöglicht eine Vertrauensbasis und Beziehungen, die anders schwieriger oder auch gar nicht gelingen.

Wertgeschätzt, weil als Mensch wahrgenommen

Bei einer Gefangenenbefragung der Hochschule Esslingen zu ehrenamtlichen Freizeit- und Unterstützungsangeboten gaben die Befragten an, es gut zu finden, nicht nur als „Knacki“ eingestuft zu werden. Man würde die innere Überzeugung des Gegenübers spüren, gerne als Ehrenamtlicher in die Justizvollzugsanstalt (JVA) zu kommen. Man kann einfach mal so sein wie man ist – ohne das Gefühl, „beobachtet“ zu werden. Auch bei der Befragung im Rahmen der europäischen Studie maßen die Gefangenen den Kontakten zu Ehrenamtlichen eine besondere Qualität zu: Sie fühlten sich besonders wertgeschätzt, weil die Ehrenamtlichen ohne Bezahlung ihretwegen, wegen ihrer Person in die JVA kommen. Die Inhaftierten erleben in diesen Kontakten Menschen aus einem anderen sozialen Kontext.

Dies allein öffnet oft schon den Blick auf das eigene Leben und die Möglichkeiten, die auch offen sind. Zudem lernen sie Menschen kennen, die ihre Biographien ohne Straftaten gestalten konnten. Über die Ehrenamtlichen und deren soziale und berufliche Netzwerken gelangen die Probleme und Lebensumstände der Inhaftierten „ins Bewusstsein der Gesellschaft“. Dadurch kann ein besseres Verständnis für die  Situation der Inhaftierten entstehen und der Stigmatisierung in der Bevölkerung begegnet werden. Als Mensch wahrgenommen zu werden und nicht nur als Problem oder als beruflich zu lösender Fall, ist besonders für junge Inhaftierte wichtig. Trotz der belastenden Faktoren Straffälligkeit und Haft den Übergang ins Erwachsen-leben zu bewältigen,  bedarf guter Unterstützung und vielleicht auch ein wenig Glück.

Caritas-Projekt: „Ehrenamt im Strafvollzug“

In Wriezen befindet sich die einzige Jugendstrafanstalt Brandenburgs. Die Vollzugsanstalt bietet ca. 220 Plätze für männliche Jugendliche und Heranwachsende, die zum Zeitpunkt ihrer Straftat(en) unter das Jugendstrafgesetz fallen, sowie seit 2018 auch für junge männliche Erwachsene bis zum 27. Lebensjahr. Jeden Donnerstagnachmittag und jeden Samstag gibt es in der JVA Nord Brandenburg, Abteilung Wriezen, Besuchszeiten für Angehörige. Laut Brandenburger Strafvollzugsgesetz stehen jugendlichen Inhaftierten dafür mindesten sechs Stunden im Monat zu. Aber schon durch die regionalen Herausforderungen kann diese Möglichkeit nicht von allen Inhaftierten und deren Angehörigen genutzt werden. Wriezen ist eine kleine Stadt im Osten des Flächenlandes Brandenburg, die Wege sind weit, der öffentliche Nahverkehr oft unzureichend.

Doch nicht nur dadurch brechen Verbindungen zu Eltern, Angehörigen und Freunden oftmals während der Haft ab. Verschiedene Gründe führen dazu, dass Kontakte von einer oder beiden Seiten nicht mehr gewünscht werden. Sowohl bei der emotionalen Bewältigung des Haftalltags als auch bei der umfangreichen Planung für die „Zeit danach“ erlebt sich der Inhaftierte  oft auf sich allein gestellt. Er muss sich, falls sein altes soziales Netz nun weggefallen ist, neu orientieren. Ehrenamtliche können in dieser Phase wichtige Bezugspersonen und Gesprächspartner sein.

Erlernen der deutschen Sprache

Derzeit sind elf Ehrenamtliche im Rahmen des vom Ministerium der Justiz und für Europa und Verbraucherschutz (MdJEV)  Brandenburg finanzierten Caritas-Projektes „Ehrenamt im Strafvollzug“ in der JVA Wriezen aktiv. Es werden unterschiedliche Angebote von den Ehrenamtlichen vorgehalten. Die meisten besuchen regelmäßig junge Inhaftierte, diese Kontakte sind in den Vollzugsplänen der JVA festgehalten und werden nicht auf die regelmäßigen Besuchszeiten angerechnet. Mit den Besuchen durch Ehrenamtliche werden stabile Kontakte zwischen je einer ehrenamtlichen Person und einem Inhaftierten angestrebt, die auf beiderseitigem Wunsch auch über die Haftzeit hinaus andauern können. Denn unmittelbar nach der Entlassung ist der Hilfebedarf meist besonders groß und Ansprechpartner sind oft nicht vorhanden.

Das Engagement der Ehrenamtlichen beschränkt sich jedoch nicht nur auf regelmäßige Besuche, sondern ist vielfältig und hängt von den Fähigkeiten und Interessen der Einzelnen ab. So unterstützt eine Ehrenamtliche im Einzelkontakt Jugendliche mit Migrationshintergrund beim Erlernen der deutschen Sprache, damit sie die schulischen Anforderungen für Schule oder Berufsvorbereitung bewältigen und die erworbenen Deutschkenntnisse festigen können. Bereits zweimal schon konnten jugendliche Inhaftierte in der JVA das Angeln erlernen. Ein Ehrenamtlicher bot in Kooperation mit dem Landesangelverband Brandenburg einen Kurs für maximal acht Jugendliche zum Erwerb des Fischereischeins A (Raubfischgenehmigung) in der JVA an. In jeweils vier Monaten erarbeiteten sich die Teilnehmenden die theoretischen Grundlagen der Fischereikunst, was für viele eine echte Herausforderung war.

Brückenfunktion in die „soziale Normalität“

Insgesamt sechs Teilnehmer absolvierten abschließend erfolgreich die notwendigen Prüfungen. Kombiniert wurde das Ganze mit „Trocken“-Übungen aus dem Angelsportbereich im Freien auf dem Sportplatz. Die erfolgreichen Teilnehmenden hatten abschließend unter Anleitung dreier Ehrenamtlicher die Gelegenheit, ihre theoretisch erworbenen Kenntnisse bei einem Angelausflug am Kanal in Wriezen auszuprobieren. Neben der Erfahrung, mit intensivem Lernen tatsächlich etwas erfolgreich abschließen zu können, bietet sich den Jugendlichen darüber hinaus die Möglichkeit der legalen Ausübung eines Hobbys in ihrer Freizeit. Auf Wunsch kann im Kontext der Entlassungsvorbereitung auch der Kontakt zu örtlichen Angelvereinen am Entlassungsort hergestellt werden. Seit Beginn des Projektes im Jahr 2008 organisieren die Ehrenamtlichen mit großer Unterstützung seitens der JVA Wriezen jährlich eine „Weihnachtsaktion“. Dabei besuchen sie jeden Inhaftierten im Haftraum und überreichen persönlich einen kleinen kulinarischen weihnachtlichen Gruß von Draußen nach Drinnen.

Der Einsatz von Ehrenamtlichen/Freiwilligen MitarbeiterInnen hat eine lange Tradition in der Straffälligenhilfe der Caritas. Die Ehrenamtlichen erfüllen eine unersetzliche Brückenfunktion in die „soziale Normalität“ außerhalb der Gefängnismauern und werden insbesondere in der aufsuchenden Arbeit in den Justizvollzugsanstalten und in der Vorbereitung der Haftentlassung eingesetzt. Aus diesem Grund arbeiten schon 40 % aller Dienste und Einrichtungen der Straffälligenhilfe mit Ehrenamtlichen/Freiwilligen. Trotz dieser großartigen Unterstützung ist noch keine flächendeckende Versorgung gelungen. Den etwa 200 Vollzugsanstalten stehen nur 73 Dienste der Straffälligenhilfe der verbandlichen Caritas gegenüber. Zwar können Menschen, die straffällig geworden sind, auch Hilfe in anderen Diensten, etwa der Wohnungshilfe oder der Schuldnerberatung erhalten, aber eben keine auf ihre besondere Situation ausgerichtete Hilfe, die dafür ein besonderes Verständnis und eine eigene Expertise mitbringt. Es wäre ein gutes Zeichen der Nächstenliebe, wenn diese Dienste ausgebaut werden könnten, so dass die weißen Flecken nach und nach geschlossen werden könnten.

Cornelius WichmannAlexandra Weingart | Referenten Besondere Lebenslagen, Deutscher Caritasverband e.V., Freiburg
Solveig Kauczynski | Koordinatorin „Ehrenamt im Strafvollzug“, Berlin 

 

2 Rückmeldungen

  1. Bernd Wolff sagt:

    Der Artikel ist sehr gelungen. Ich bin selber auch in der JVA Essen als Ehrenamtler tätig.

  2. Lucyna sagt:

    Mich interessiert: Wie kann ich einen Kontakt herstellen zu einem Gefängnis-Insassen in der Form von Briefen oder Telefonaten? Ich würde gerne eine Art Sozialhilfe leisten und den Häftlingen bei der Isolation die Zeit schöner machen. Zum Beispiel mit interessanten Gesprächen. Wäre so etwas möglich zu machen?

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