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Wir gehörten plötzlich zu diesen Randgruppen…

11. August 2023

Henry und Monika Toedt aus Hammelburg bei Würzburg setzen sich seit 2012 mit Strafgefangenen weltweit durch Briefkontakte auseinander. Anfang des Jahres 2023 stirbt Monika. Sie zeichnete liebevoll kleine Grüße aus Briefpapier und suchte Postkarten für die Inhaftierten aus. Diese gemeinsame Lebensaufgabe ist durch den Tod jäh unterbrochen. Durch eigene Lebenserfahrungen gehörten sie plötzlich selbst zu den Randgruppen.

Ich habe lange überlegt ob diese Zeilen überhaupt als Beitrag taugen. Doch Monikas tiefe Liebe zu unserer gemeinsamen Lebensaufgabe, ihre Hingabe zu den Situationen der Menschen hinter den dicken Mauern dieser Welt und nicht zuletzt ihre unbändige Freude darüber, wenn wir liebevolle, dankbare Antworten bekamen auf die von Moni so kunstvoll gestaltete Post. So wusste sie, dass sie damit jemanden in der Dunkelheit seiner Zelle etwas Licht gesandt hatte. An einem sonnigen Aschermittwoch 1976 gaben wir uns vor Gott unser Ja-Wort, am Aschermittwoch 2023 endete jäh unsere irdische gemeinsame Reise zum Regenbogen.

Gemeinsam zum Regenbogen

Die große Liebe meines Lebens ist im Februar von dieser Welt gegangen, nach 47 Jahren Ehe. Ein Seufzer in meinen Armen beendete 71 Lebensjahre, machte unserem Glück jäh ein Ende. Ein Seufzer zerbrach mein Herz und zertrennte meine Seele. Ein Seufzer sorgte dafür, dass heute gar nichts mehr so ist, wie es gestern noch war. „Wenn der liebe Herrgott uns einmal zu sich rufen wird, dann nehmen wir uns beide an die Hand und gehen gemeinsam zum Regenbogen“, sagte Moni so oft zu mir. „Denn wir beide gehören doch zusammen!“ Das stimmt sehr wohl, denn wir hatten in den Jahren alles geteilt und gemeinsam ertragen. Wir waren der felsenfesten Überzeugung, dass Gott uns zusammengeführt hat. Lebten wir doch von Geburt an in der selben Stadt, gingen vier Jahre in dieselbe Schule, wohnten 500 m entfernt und kannten uns doch nicht, waren uns noch nie begegnet. Bis ich vor 48 Jahren ein schlankes Mädchen traf mit unglaublich großen rehbraunen Augen. Nach 12 Monaten gelobten wir uns vor Gott: „Ich verspreche Dir die Treue in guten und bösen Tagen, in Gesundheit und Krankheit, bis der Tod uns scheidet. Ich will Dich lieben, achten und ehren alle Tage meines Lebens. In guten und in bösen Tagen, bis der Tod uns scheidet. Dazu helfe mir Gott!“

Kontakt zu Strafgefangenen

Dieses Gelöbnis hatte 47 Jahre Bestand. Wir erlebten 35 sorgenfreie Jahre und 12 intensive, begleitet von Existenznöten, Enttäuschungen und aufregenden neuen Erfahrungen mit Gott und seinen Engeln. Die Zeit, in der wir von Hartz IV leben mussten, lehrte uns einen anderen Blick auf die Welt und auf die Menschen in unserem Umfeld. Die oberflächliche Leichtigkeit der früheren Jahre wich dem tiefen Interesse für die Randgruppen dieser ebenso oberflächlichen, stets zu Vorurteilen bereiten Gesellschaft. Vom wohlahbenden Hamburg nach Hammelburg. Wir gehörten nun zu diesen Randgruppen, eine Vorstellung, die uns vor Jahren noch als völlig ausgeschlossen erschien. Doch der Volksmund sagt nicht umsonst: „Unverhofft kommt oft“! Doch auch in dieser vermeintlich schweren Zeit galt unser gemeinsames Gelöbnis vor Gott. Denn wir wussten, dass der Herr mit uns war. Das größte Glück war die Lebensaufgabe, die wir 2012 erhielten, die Kontaktsuche zu den Strafgefangenen dieser Welt. Sie erfüllte uns mit Freude, schenkte uns Einblicke in eine fremde Welt und führte uns brieflich in fremde, ferne Länder. Moni zeichnete liebevoll kleine Grüsse auf Briefpapier und Briefumschläge, suchte Postkarten und erlaubte Beilagen aus. Etliche Gefangene fanden den Weg In unsere Herzen bis heute noch. Doch ich kann nicht zeichnen, finde auch nicht immer die richtigen Karten.

One Way Ticket

„Geh weg, ich kenne Dich nicht!“ Der Mann schaut mich aus einem ernsten Gesicht an. Er hat etwas Ähnlichkeit mit mir, doch viel mehr Falten, die die rötlichen traurigen Augen umgeben. Er schaut mich aus dem Spiegel heraus an. Er ist mir so fremd wie ich mir fremd bin, wie mir jeder Tag fremd ist, seit dem ich die große Liebe meines Lebens verlor, den Sinn meines Daseins. Der Verstand sagt mir: „Der Tod gehört doch zum Leben, das weißt Du doch. Wir alle sind nur zu Gast auf dieser Erde!“ Mein Herz sagt: „Die wahre Liebe stirbt nie, sie ist wie Deine Seele unsterblich!“ Jeden Tag bitte ich Gott um ein „one way ticket“ zu Moni. „Where are you? Du fehlst mir so!“

Henry Toedt

 

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