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Zu Gast im Knast: Ehrenamtlich tätig im Justizvollzug

26. Februar 2025

So erfahren Inhaftierte Solidarität und Zuwendung im Gefängnis: Nicola Bareis (65) geht zweimal die Woche in die JVA in Herford. Doch nicht etwa, um einen Angehörigen zu besuchen, sondern um fremden jungen Menschen Mut zu machen. Sie spricht über ihre Beweggründe und Erfahrungen. In der JVA Herford sitzen junge Männer zwischen 14 und 24 Jahren. Rund 50 Ehrenamtliche nehmen sich ihrer an – mit verschiedenen Einzel- oder Gruppenangeboten.

Nicola Bareis macht beides: Sie ist Teil einer Gruppe und kümmert sich um einen Häftling ohne Angehörigenkontakte. Aber warum bekommt Noah (Name geändert) keinen Besuch? Die Gründe, weshalb Inhaftierte keinen Besuch bekommen, sind vielfältig: mal bestehe kein Kontakt zur Familie, mal sei dieser aufgrund schwieriger Verhältnisse abgebrochen. Einige Gefangene seien schon lange vor der Straffälligkeit von ihren Eltern getrennt worden, kämen beispielsweise aus Wohngruppen oder haben als minderjährige Flüchtlinge keine Familienangehörigen, erklärt Nicole Sonnenbaum, Sprecherin der JVA Herford.

Einzelbetreuung eines Inhaftierten

Noah kommt aus Brandenburg. Wegen der Entfernung von sechs Fahrtstunden sei es der Familie nicht möglich, regelmäßig zu Besuch zu kommen. Stattdessen übernimmt das nun die Herforderin ehrenamtlich: „Ich bin letztes Jahr in den Ruhestand gegangen und habe nach einer sinnvollen Beschäftigung gesucht, wo ich meine Fähigkeiten einbringen kann.“ Nicola Bareis ist Familientherapeutin, in der Vergangenheit war sie auch als Diakonin tätig. Bei beiden Berufen stehen Zuhören und Mutmachen im Fokus. „Und das kann ich“, sagt Bareis. Für sie seien die Gespräche mit den jungen Gefangenen wertvoll. „Ich bekomme Einblicke in eine ganz andere Lebensrealität. Das ist interessant. Und ich habe das Gefühl, ich tue etwas Sinnvolles.“

Jeden Mittwoch trifft die ehemalige Familientherapeutin Noah. Sie legt Wert darauf, verlässlich und verbindlich zu sein. „Das ist wichtig, um eine Beziehung aufzubauen“, sagt Bareis. Sie trifft Noah in einem Besucherzimmer, wo mehrere Besuche gleichzeitig stattfinden: „Bis vor kurzem hatten wir einen Einzelraum, ohne Kameraüberwachung oder einen Beamten. Da hatten wir viel mehr Ruhe, um miteinander zu sprechen.“ Bei den Treffen gehe es um persönliche Anliegen, wie derzeit die Unsicherheit, weil sich die Entlassung verzögert.

Gruppenangebot „Arche“

Donnerstagabend findet in der JVA das Angebot „Gruppe Arche“ statt, bei dem Bareis und weitere Ehrenamtliche mit bis zu neun Häftlingen zu einem Gespräch zusammenkommen. Geleitet wird das Treffen von Gefängnisseelsorger Stefan Thünemann. „Die Gefangenen werden zu Anfang gefragt, ob sie ein Thema auf dem Herzen haben und dann sprudelt es schon aus ihnen heraus. Die jungen Männer haben viele Probleme auf der Seele. Es geht um intensive Themen wie Schuld versus Sünde. Das letzte Mal fragte mich ein Häftling: ‚Werde ich meine Schuld nie los?“, erzählt die Herforderin. Obwohl es sich um ein religiöses Angebot handelt, steht die Teilnahme allen offen – unabhängig von der eigenen Glaubensrichtung. Voraussetzung, um sich für Angebote wie diese bewerben zu können, ist, dass die Gefangenen sich gut benehmen und die Regeln einhalten.

„Gefängnis ist kein Ort, um gesund zu werden“

Erzeugen diese Begegnungen Mitleid? „Wenn jemand gemordet hat, habe ich kein Mitleid“, antwortet Nicola Bareis. Aber Noah sitze wegen einer anderen Straftat hinter Gittern und sei nachweislich psychisch krank. „Ich erlebe hier vermehrt Menschen, die psychische Störungen haben. Diese Leute gehören eigentlich in die Forensik. Das tut mir dann schon leid, denn das Gefängnis ist kein Ort, um gesund zu werden.“ Der Jugendvollzug habe in erster Linie einen Erziehungsauftrag. Für die derzeit 221 Gefangenen in der JVA Herford (Kreis Herford) stünden dabei Struktur, ein geregelter Alltag und das Absolvieren einer Ausbildung im Fokus. Zweimal die Woche komme ein Psychiater ins Haus, aber eine Zahl, wie viele der Häftlinge unter psychischen Störungen litten, gebe es nicht, teilt die Sprecherin der JVA mit. „Die Gefangenen sind zur Arbeit verpflichtet“, so Sonnenbaum. Durch Arbeit erhalten die Gefangenen ein sogenanntes Hausgeld, mit dem sie sich Hygieneartikel und Lebensmittel kaufen können. Auch Musik gebe es nicht gratis. Sowohl Fernseher als auch CD-Player müssen gegen Geld gemietet werden.

Musik und Sport als Anker

Dabei habe Musik einen positiven Einfluss, betont Musiklehrer Roland Reuter. „Wenn Kinder Lust auf Sport oder Musik haben, kommen sie gut durchs Leben“, sagt er. Reuter und die Gesangslehrerin Adriana Riemann leiten seit über zehn Jahren eine Band für jugendliche Straftäter. „Oft haben die Gefangenen gar keine Vorstellung von unserem Angebot, die wollen einfach Musik machen.“ Die „Musikband“ ist ein Projekt der Musikschule und der JVA Herford und fällt ebenfalls in den Bereich Ehrenamt. Es gehe nicht darum, dass die Häftlinge ein Instrument spielen lernen, sondern die Resozialisierung stehe im Fokus, erklärt Reuter: „Für die Gefangenen ist das eine ganz neue Erfahrung. Sie lernen, aufeinander zu achten oder aufeinander einzugehen.“ Der Musiklehrer berichtet: „Viele wollen rappen.“ Frauenfeindliche, gewaltverherrlichende sowie justizkritische Inhalte seien allerdings verboten. Er findet: „Gangsterrap kann auch ein Ventil sein.“ Und er erinnert sich an einen Häftling, der den Sprechgesang besonders gut beherrschte: „Der konnte so gut rappen. Wie der mit Sprache umging, das war einfach Wahnsinn. Das hat mich richtig fasziniert.“ Vorurteile abzubauen, miteinander in Kontakt treten, Vertrauen aufzubauen – darum geht es bei den ehrenamtlichen Tätigkeiten in der JVA. „Ich sehe mich als Zwischenglied zwischen draußen und drinnen“, erklärt Nicola Bareis.

Ehrenamtlich tätig sein

Die Angebote sind breit gefächert: Nachhilfe, Kochkurse, Musik- und Sportangebote, sowie Einzel- und (religiöse) Gesprächsgruppen. Wer Interesse daran hat, sich einzubringen und einen Beitrag zur Wiedereingliederung junger Inhaftierter zu leisten, kann sich an die JVA in der Nähe wenden. Voraussetzung ist die Vollendung des 21. Lebensjahres. Es erfolgt eine anstaltsinterne Personenüberprüfung und ein Kennenlerngespräch. Bei diesem entscheidet sich, ob das Ehrenamt in einer Gruppe oder als Einzelbetreuung stattfindet.

Molina Panzner | Westfalen Blatt

 

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