„Sich eine Woche mit Denkstrukturen und den ideologischen Ausprägungen extremer Rechter zu befassen ist sehr komplex“, meint einer der elf Gefängnisseelsorger aus dem Jugendvollzug. Sie treffen sich im Tagungshaus Sankt Rupert im bayerischen Traunstein zum Thema „Rechtsextremismus und Gefängnis“. Die Geschichte Deutschlands mahnt die Menschen zur Vorsicht mit den „Neuen Rechten“. Ein Besuch im Dokumentationszentrum Obersalzberg erinnert an mögliche Parallelen zu heute.
Der Obersalzberg in Berchtesgaden ist bekannt durch den Tourismus. Die idyllische Berglandschaft hat allerdings eine sehr dunkle Geschichte. 1923 war Adolf Hitler erstmals in Obersalzberg und hatte dort regelmäßig sein Feriendomizil. Später mietete er dauerhaft ein Haus und baute es nach dem Erwerb zum „Berghof“ aus. Nahezu der ganze Ortsteil inklusive des Kehlsteinhauses auf 1800 m Höhe wurde ab 1933 zum Führersperrgebiet. Die einheimische Bevölkerung ist zwangsumgesiedelt worden. Heute ist an diesem Ort ein Dokumentationszentrum zu dieser Geschichte.
Kulisse Obersalzberg
Die GefängnisseelsorgerInnen setzen sich mit der NS-Diktatur auseinander. Der „Berghof“ war nicht nur ein Rückzugsort der NS-Führung. An diesem Ort ist entschieden worden, wie die Strategien zur Vernichtung von Millionen Menschen ablaufen soll. Ein Historiker führt die Gruppe als Guide in der weitläufigen Ausstellung und in einen Teil der Bunkeranlage. Er macht auf konkrete Menschen aufmerksam wie beispielsweise eine damalige Bäuerin, die enteignet und später getötet wurde. Deren gesamter Haushalt ist öffentlich in der Ortszeitung versteigert worden. Über ein Viertel seiner Amtszeit verbrachte Adolf Hitler am Obersalzberg. In „seinem Berghof“ entschied der Diktator in einem Kreis enger Vertrauter über Verfolgung, Krieg und Völkermord. Zugleich war der Obersalzberg die Kulisse für Hitlers Inszenierung als angeblich sympathischer “Volkskanzler”. Millionenfach wurde dieses Trugbild auf retuschierten Fotografien und Filmaufnahmen verbreitet und wirkt bis heute nach. Manche meinen bis heute, dass das Kehlsteinhaus der Berghof sei. 1952 wurde dieser allerdings gesprengt und das Gebiet bewaldet.
Neue Rechte
Dem Besuch auf dem Obersalzberg und dem Kehlsteinhaus geht eine intensive Auseinandersetzung der TeilnehmerInnen mit den „Neuen Rechten“ voraus. Wie die entsprechenden Codes, Symbole und deren heutigen Begriffe lauten, erklärt Florian Mittler von der bayerischen Informationsstelle gegen Extremismus (BIGE). Populismus geht dem Rechtsradikalismus und dem anschließendem Rechtsextremismus bis hin zum Terrorismus voraus. Mit neuen gut verpackten Worten wird ausgedrückt, was die Geschichte bereits erlebte: Remigration, Ethnopluralismus und ethnokulturelle Identität. Die „Neuen Rechten“ treten nicht als Nazis auf. Sie verbergen ihre Strategien und Denkstrukturen. Sie reden von Kulturräumen, die erhalten werden müssten. Natürlich jede und jeder in seinem Raum. Ein „großer Austausch“ soll die eigene Heimat bewahren. Dies hätte die Ausweisung großer Bevölkerungsteile unter Missachtung der im Grundgesetz garantierten Menschenrechte zur Folge. Als Identitäre Bewegung bezeichnen sich aktionistische, völkisch orientierte Gruppierungen, die ihrem Selbstverständnis diesen sogenannten „Ethnopluralismus“ vertreten. Sie gehen von einer geschlossenen, ethnisch homogenen „europäischen Kultur“ aus, deren „Identität“ vor allem von einer „Islamisierung“ bedroht sei. Die AfD arbeitet mit solchen rechten Gruppierungen.
Was tun?
Dr. Stefan Matern, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Politische Theorie des Geschwister-Scholl-Instituts (GSI) für Politikwissenschaft an der Ludwig Maximilians-Universität München, zeigt die Rhetorik des Rechtspopulismus auf. Während Zuwanderung radikal abgelehnt wird, erfahren demokratische Institutionen starke Verachtung. Daraus ergebe sich ein gefährlich fruchtbarer Nährboden für Verschwörungsmythen, die während der Corona-Pandemie tiefe Wurzeln geschlagen haben. Dies vertieft Dr. Sascha Ruppert-Karakas, ebenfalls vom GSI, am Nachmittag mit den ideologischen Denkstrukturen entsprechender Vordenker. Ein klares „Nein zu Nazis und Co“ ist angesagt. Doch was tun gegen Rechtsextremisten und Rechtspopulisten?
Eine Ahnung wie schwer es sein kann mit bestimmten Meinungen und Verschwörungserzählungen bei Inhaftierten wie Bediensteten umzugehen, lernen die GefängnisseelsorgerInnen im Rollenspiel. Angeleitet von Kai Kallbach, dem Projektleiter des Kompetenzzentrums Demokratie und Menschenwürde der Katholischen Kirche in Bayern. Viele Verschwörungserzählungen versuchen Zusammenhänge herzustellen, die keine sind. Die Menschen springen von einem Thema zum anderen. Auf diese Weise werden Wahrheiten verschleiert und schwer erkennbar. Verschwörungserzählungen werden häufig auf WhatsApp oder Telegramm in Gruppenchats verbreitet. „Es besteht die Gefahr, dass man viel über ´das Falsche´ spricht. In allem ist gut zu wissen, dass das menschliche Gehirn Informationen besser speichert, die häufig wiederholt werden und dabei die Verneinung ausblendet. Daher ist es wichtig, `das Richtige´ häufiger zu betonen, als gegen ´das Falsche´ zu argumentieren. Beispiel: Anstatt ´Nein, wir bekommen keinen Chip über die Impfung eingepflanzt ist besser ´Die Impfung hilft uns, die Pandemie zu beenden´“, so Kallbach.
Networking
Durch die Beschäftigung mit extremistischen Tendenzen und der möglichen Bedrohung demokratischer Strukturen setzen die GefängnisseelsorgerInnen ein entgegengesetztes Engagement. Die bunte Vielfalt soll nicht einem schwarz-weiß Denken weichen. In spirituellen Morgenimpulsen und im Gebet mit dem Weihbischof Rupert Graf zu Stolberg vom Erzbistum München und Freising kommt dies zum Ausdruck. Stollberg erteilt den rechtskonservativen Kreisen innerhalb der Katholischen Kirche eine Absage. Im Innenhof des Tagungshauses stellt er sich im Gespräch der Gruppe, deren TeilnehmerInnen bundesweit in den Justizvollzugsanstalten arbeiten. Übrigens: Der Erbauer der Villa St. Rupert, der Industrielle Dr. Dr. Emil Ehrensberger (1858 – 1940), setzte auf das steile Dach eine Sternwarte. 1955 verkaufte die Tochter des Erbauers das Gebäude und einen Teil des Grundstückes an die Erzdiözese München und Freising, welche das Objekt in das Bildungshaus St. Rupert umwidmete. Über den Dächern gibt es einen Blick über Traunstein. Und die Mitarbeiterin der Küche, die der Gruppe den Weinkeller zeigt, sorgt für einen imaginär weiteren Horizont mit Blick auf den Himmel.
Michael King
Informationen zum Thema
Bundeszentrale für politische Bildung (2020): Was tun gegen Verschwörungsideologien? Eine Hilfestellung für den Alltag, im Privat- und Berufsleben, Unternehmen oder Vereinen Link
ju:an-Praxisstelle antisemitismus- und rassismuskritische Jugendarbeit in Zusammenarbeit mit der Amadeu Antonio Stiftung: 2×6 Punkte gegen Verschwörungsdenken Link
Amadeu Antonio Stiftung (2019): Wissen, was wirklich gespielt wird… Widerlegungen für gängige Verschwörungstheorien Link
Ta Van, Juliane (2020): Verschwörungserzählungen. Eine religionspädagogische Herausforderung? Link
RIAS Bayern (2021): „Das muss man auch mal ganz klar benennen dürfen“. Verschwörungsdenken und Antisemitismus im Kontext von Corona. Link