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Verschärfte Situation hinter Gittern. Aber wie eine Insel

20. Januar 2021

Der gegenwärtige Lockdown bedeutet, dass sich Menschen nicht Präsenz treffen können. Alle Kommunikation verlagert sich virtuell ins Netz. Wer vorher schon keine Kontakte hatte, braucht sie nicht reduzieren. Nur, wie können neue Kontakte im virtuellen Netz geknüpft werden? Nicht wenige Menschen fühlen sich in dieser Lage einsam und isoliert, laufen Gefahr für dauerhafte seelische Schäden. Eine wichtige Stütze im Kampf gegen die Isolation ist die Telefon-Seelsorge. „Es ist draußen wie in einem großen offenen Vollzug. Da bleibe ich lieber manuell im Jugend-Knast“, so ein Inhaftierter.

Der Gefangene hat nicht ganz Unrecht. In den Gefängnissen geht – mit Ausnahmen abgesehen – die sozialtherapeutische, psychologische, pädagogische und seelsorgerliche Betreuung weiter. „Im Knast werde ich derzeit besser versorgt als draußen“, sagt der 21 jährige Kosovoalbaner. Ein Lockdown im Lockdown gibt es nur, wenn vermehrt Bedienstete oder Gefangene sich infiziert haben. Davor wird versucht, das Leben innerhalb der Mauern weitgehendst aufrecht zu erhalten. Die Hygienekonzepte sind angepasst, die Präsenz-Besuche erfolgen hinter Trennscheibe und Hörtelefon. Die „Freistunden“ sind in der Anzahl der Inhaftierten verkleinert worden. Zum Hygienekonzept gehört ein Mund-Nasen Schutz der Bediensteten und die Schließung der Kantine. Ansonsten geht der Alltag weiter. „Manches Mal habe ich den Eindruck, der Knast ist wie eine Insel. Wenn ich mir die Gefangenen anschaue wie sie sich mit Handschlag begrüßen, fühle ich mich um ein Jahr zurückversetzt“, erzählt eine Sozialarbeiterin im Jugendvollzug.

Ludger Storch von der Telefonseelsorge in Bochum „draußen“ weist darauf hin, dass Menschen, die psychisch erkrankt sind und sonst an Gesprächsgruppen teilnehmen, wegen der Kontaktbeschränkungen nicht zusammenkommen. „Die Menschen machen sich Sorgen und haben Angst vor einer Infektion, einer schlimmen Erkrankung oder um nahestehende Menschen. Das verstärkt Probleme – die von einem Krach unter Nachbarn über den verlorenen Arbeitsplatz bis zum Tod eines geliebten Menschen reichen. Es geht um Überforderung, Wut, Frustration, Trauer, depressive Gefühle bis hin zu Suizidgedanken“, so Storch in einem Zeitungsinterview.

Einen Aufstand vermeiden

Im Gefängnis wäre dies genauso, wenn all die kleinen Dinge im immerwährenden Lockdown der Haftstrafe eingestellt werden würden. Der Schulunterricht wird von den LehrerInnen bestritten, die Ausbildungsbetriebe arbeiten und die Arbeitstherapiegruppen kommen zusammen. „Man hat eh schon so wenig Freiraum. Würde dieser auch noch beschnitten, gibt es hier einen Aufstand“, sagt ein Bediensteter. In der Justizvollzugsanstalt Köln galten mehrere Bedienstete nach einem Schnelltest als infiziert. Erst mit dem PCR Labortest stellt sich heraus, dass dem nicht so ist. Dies hatte massive Auswirkungen auf die Gefangenen. Der Besuch einer Person hinter Trennscheibe ist ganz gestrichen, weil das Personal fehlt. „Es ist wie in einem Pulverfass, es kann jederzeit hochgehen“, berichtet ein 22 jähriger, der in der Sozialtherapie untergebracht ist. „Doch ein Pulverfass war der Knast schon vor Corona mit den alltäglichen Konflikten“, betont er. Als große Errungenschaft durch Corona ist die Skype-Telefonie eingeführt. Diese Kommunikationsart ziehen die meisten Gefangenen anstelle des Trennscheiben-Besuchs mit nur einer Person (nach amerikanischem Vorbild) vor.

Die Gefängnisseelsorger gehören zu den Justizbediensteten. Auch sie führen ihren Dienst unter Beachtung der Hygieneregeln weiter aus. Die Einzelgespräche werden vor Ort geführt. „Anders ist dies auch nicht möglich. Es gibt keine Tablets und kein Internet. Nicht einmal der Dienstrechner ist dafür ausgelegt, dass man sich virtuell mit KollegeInnen austauschen könnte“, berichtet ein Gefängnisseelsorger aus Nordrhein-Westfalen. Den Betrieb so gut es geht aufrecht erhalten ist die Devise. Die Welt hinter den Mauern ist besser geschützt. „Wie ein Hausstand, wie eine Familie“, grinst ein inhaftierter Jugendlicher. „Der Seelsorger ist verfügbar. Ich muss niemanden suchen. Der ist da.“, fügt er hinzu. Zum Sport kann der Gefangene ebenfalls gehen. Er hat eine Fitnesskarte und ist beim Projekt des Deutschen Fußballbundes mit dabei. „Das läuft weiter, Gott sei Dank“, freut sich der Inhaftierte.

Es kommen Neuzugänge in die Justizvollzugsanstalt. Sie werden für 14 Tage auf eine separate  Quarantäneabteilung untergebracht und auf Corona getestet. „Auf lange Sicht hin kann man kein geschlossenes System auf ´Stopp´ drücken“, sagt ein Mann des Allgemeinen Vollzugsdienstes. „Wenn denn ein Fall auftritt, dann greifen Notfallpläne“, sagt er. Solch ein Fall ist bereits eingetreten. Ein Gefangener, der seit zwei Jahren inhaftiert ist, wurde aufgrund von Symptomen positiv getestet. Daraufhin sind alle 200 Bediensteten und über 240 Inhaftierte getestet worden. Ergebnis: Alle negativ. Die Maßnahmen liefen dann aber erst an: Fast zwei Tage Einschluss für die Gefangenen.

Michael King

 

1 Rückmeldung

  1. Niesel sagt:

    Die Inzidens in Thüringen ist immer noch sehr hoch. Mittlerweile kenne ich nun auch schon einige Bekannte, die krank waren/sind mit mehr oder minder anhaltenden Folgen. Wir halten uns von privaten Kontakten fern. Auf Arbeit allerdings dann gibt es genug Kontakte… In der Jugendanstalt sind die Gefangenen seit fast einem Jahr weggesperrt, keinerlei Veranstaltungen, keine Schule, keine Ausbildung, Aktionen, teils abgesagte Gottesdienste. Bei den Langstrafern in Tonna geht man etwas umsichtiger vor. Da geht alles, was intern läuft, nach außen wird möglichst abgeschottet. Ab und an dann immer mal eine Quarantänestation, wenn ein Fall auftritt.

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