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Ein Zeichen gegen den Coronablues setzen

29. Dezember 2020

Advent und Weihnachten 2020 fielen in die zweite Welle der Corona-Pandemie. Die Gefängnisleitung sagte die Feier ab. In der Psychiatrie fanden Weihnachtsfeiern unter strengen Auflagen auf den Stationen statt. Es tat gut, den Blick auf etwas Anderes zu richten als auf das Virus und die Einschränkungen zu seiner Bekämpfung. In der Corona eingeschränkten Weihnachtszeit können die Beteiligten trotzdem zu einer innerer Sammlung finden. Initiiert eine Idee von Matthias Loretan, der als Seelsorger wirkt und sich vom St. Galler Projekt „Corona-Bibel“ inspirieren ließ.

Mit Hand und Herz. Das Corona Evangelium. Gestaltet in einer Schreibwerkstatt Weihnachten 2020. Psychiatrie Schaffhausen. Pdf-Dokument

Die Häftlinge im Kantonalgefängnis Frauenfeld und PatientInnen im Psychiatriezentrum Schaffhausen werden zu einer Schreibwerkstatt eingeladen. Da Advent und Weihnachten in diesem Jahr mitten in die zweite Welle der Corona- Pandemie fallen, müssen auch Gefängnisinsassen und PsychiatriepatientInnen mit verschärften Maßnahmen und eingeschränkten Besuchszeiten rechnen. Aus diesem Grund wollte Matthias Loretan, der als Seelsorger im Psychiatriezentrum Breitenau in Schaffhausen und im Kantonalgefängnis Frauenfeld tätig ist, den Blick bewusst auf etwas Anderes richten. „Wie Weihnachten dieses Jahr im Gefängnis und in der Psychiatrie stattfinden wird, beschäftigt die Menschen dort, unabhängig von Konfession und Religion. Als kreatives und meditatives Zeichen gegen den Corona- Blues laden wir die Beteiligten ein, eine einzigartige Weihnachtsbotschaft mit persönlicher Handschrift zu gestalten, weshalb wir das Projekt auch ´Mit Hand und Herz´ genannt haben“, erklärt Matthias Loretan, der zusammen mit KooperationspartnerInnen in den beiden Einrichtungen die Idee entwickelt hat.

Interreligiöser Dialog

Nicht nur Gefangene und PatientInnen, sondern auch BetreuerInnen und Pflegende sind zur Teilnahme an der Schreibwerkstatt eingeladen worden. Für alle Interessierten hat Matthias Loretan eine Auswahl an Versen, Psalmen und Suren zusammengestellt, die etwas mit Weihnachten zu tun haben. Daraus können die Teilnehmenden ihre bevorzugte Passage in der christlichen und der hebräischen Bibel sowie dem Koran aussuchen – auch aus Gedichten und Erzählungen kann ausgewählt werden. Eine Breite, die überdies die religiöse Vielfalt widerspiegeln soll. „Im Strafvollzug gibt es auch Gefangene mit muslimischem Migrationshintergrund, die sich an den religiösen Andachten und Gesprächsrunden beteiligen. Dabei kommt es immer wieder zu einem für beide Seiten erhellenden interreligiösen Dialog, beispielsweise darüber, was mit dem Titel ´Sohn Gottes´ gemeint sein könnte“, so Matthias Loretan.

„Der Sinn der Rede von der Menschwerdung Gottes meint wohl, dass Gott sich für die Belange der Menschen interessiert. Und dass das Ziel der Geschichte Gottes mit den Menschen sein könnte, dass alle sich als Söhne und Töchter Gottes verstehen, dieses Vertrauen aber je in andere religiöse Bilder und Begriffe fassen“, führt Matthias Loretan aus. Um diese Reichhaltigkeit zu fördern, war es dem Seelsorger deshalb wichtig, „eine Fülle von Legenden und Zeugnissen vorzuschlagen, aus denen die Beteiligten einen Text auslesen, der sie besonders berührt“, sagt Matthias Loretan. So komme es vor, dass bestimmte Texte mehrmals gewählt wurden und andere gar nicht. Eine Dopplung sei aber nicht schlimm, denn die individuelle Gestaltung mache den Unterschied.

Interview mit Matthias Loretan in Thurgauer Zeitung 24.12.2020.

Projekt weiterdenken

Derzeit beteiligen sich in Frauenfeld 15 Gefangene an der Schreibwerkstatt. Gut die Hälfte der Mitwirkenden wurde dabei von den Inhaftierten selbst rekrutiert. Sobald jemand eine entsprechende Stelle für sich gefunden hat, wird der Text auf einem Blatt mit der persönlichen Handschrift niedergeschrieben, was zu einem meditativen Erfassen des Textes führen könne, sagt der Seelsorger. Auf der gegenüberliegenden Seite können die SchreiberInnen die ausgewählte Textpassage kommentieren, bebildern oder ihre Erfahrungen damit schildern. Nach dem Vorbild der Corona-Bibel, von der sich Loretan anregen ließ – werden die losen Blätter kopiert, gebunden und an die Mitwirkenden abgegeben, die sie dann an ihre Angehörigen verschenken können. Matthias Loretan wünscht sich, dass das Projekt „Mit Hand und Herz“ auch an anderen Orten möglich sein kann.

„Wir haben die ausgearbeiteten Projektunterlagen anderen Seelsorgenden zukommen lassen, damit sie diese verwenden und weiterentwickeln können. Zuerst natürlich den Gefängnis- und den Psychiatrieseelsorgern, aber auch Verantwortlichen in der Erwachsenenbildung, in der Arbeit mit Senioren und Jugendlichen sowie in Frauengemeinschaften“, erklärt Matthias Loretan. Wie früher die Mönche gestalteten die Teilnehmenden ein Unikat mit persönlicher Handschrift und Gestaltung. Die Schreibwerkstatt bot den am Projekt Beteiligten die Möglichkeit, sich kreativ mit sich, Corona und Weihnachten auseinanderzusetzen. Für Momente während des Advents wurden die Gefängniszellen zu Mönchszellen. Das Ziel des Projektes war nicht eine Ausstellung oder die Herstellung eines verkäuflichen Produkts oder gar eines Kunstwerks. Dafür waren die zur Verfügung gestellten Ausdrucksmittel zu bescheiden: Papier und Kugelschreiber (arte povera). Projektskizze hier…

Sarah Stutte, forumKirche | Matthias Loretan
Foto: Rottweiler Weihnachtsbaum

 

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