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BVerfG Beschluss: Stundenlöhne von 2 Euro in Haft unzulässig

20. Juni 2023

Eine niedrige Gefangenentlohnung ist verfassungswidrig. Das hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) entschieden. Bei den entsprechenden Ländergesetzen muss bis 2025 nachgebessert werden. Inhaftierte aus Bayern und Nordrhein-Westfalen haben sich vor dem Bundesverfassungsgericht erfolgreich gegen eine niedrige Entlohnung von Arbeit hinter Gittern gewandt.

Mit dem veröffentlichtem Beschluss hat die 1. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts der Verfassungsbeschwerde eines Strafgefangenen stattgegeben. Der Beschwerdeführer wandte sich gegen ein Urteil des Landgerichts Regensburg, mit dem ihm eine Geldentschädigung versagt wurde, die er nach einer mit vollständiger Entkleidung verbundenen körperlichen Durchsuchung begehrte. Zuvor hatte die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts bereits die Rechtswidrigkeit der Durchsuchung festgestellt. 

Das angegriffene Urteil des Landgerichts verletzt den Beschwerdeführer in seinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip aus Art. 20 Abs. 3 des Grundgesetzes (GG). Indem es einen Entschädigungsanspruch unter Verweis auf ein fehlendes Verschulden der handelnden Amtsträger verneint hat, ohne eine konventionsfreundliche Auslegung der § 839 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) in Verbindung mit Art. 34 GG oder die Anwendung weiterer staatshaftungsrechtlicher Institute zu prüfen, verkennt es den Einfluss der Europäischen Menschenrechtskonvention und der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte auf die Anwendung des einfachen Rechts. 

Das angegriffene Urteil wird aufgehoben und die Sache wird zur erneuten Entscheidung an das Landgericht zurückverwiesen.

 

Stundenlöhne von zwei Euro oder weniger für Gefangene sind verfassungswidrig. Das Bundesverfassungsgericht gab zwei arbeitenden Gefangenen aus Bayern und Nordrhein-Westfalen Recht, die gegen die Höhe ihrer Vergütung geklagt hatten. Die Bundesländer müssen die entsprechenden Gesetze bis spätestens Ende Juni 2025 neu regeln, sagte die Vorsitzende des Zweiten Senats, Doris König, in Karlsruhe. Das Grundgesetz verpflichtet den Gesetzgeber dazu, die Resozialisierung der Gefangenen zu fördern. Arbeiten im Strafvollzug soll dabei helfen,  später nach der Haftentlassung einen Job zu finden.

Arbeit als Behandlung

In den meisten Bundesländern gibt es für Strafgefangene deshalb Arbeitspflicht. Allerdings gilt für die Gefangenen kein Mindestlohn. 2020 verdienten inhaftierte Menschen etwa zwischen 1,37 Euro und 2,30 Euro pro Stunde. Das Verfassungsgericht habe das Gebot der Resozialisierung unter Rückgriff auf die Menschenwürde und das Sozialstaatsprinzip entwickelt, sagte die Vizepräsidentin des höchsten deutschen Gerichts. Die Gesetzgeber müssten dafür ein schlüssiges und widerspruchsfreies Konzept entwickeln. Wenn darin Arbeit als Behandlungsmaßnahme vorgesehen sei, müsse diese angemessene Anerkennung finden, führte die Richterin aus. „Diese braucht nicht allein in Geld gewährt zu werden, sondern kann sich auch aus einer monetären und einer nicht monetären Komponente zusammensetzen.“ Gemeint sind damit zum Beispiel sogenannte Freistellungstage, die für eine frühere Entlassung angespart werden können.

Fehlende Wertschätzung negativ auf Resozialisierung

Wie viel Bezahlung verfassungsrechtlichen Anforderungen genüge, hänge vor allem von den beabsichtigten Zwecken im Resozialisierungskonzept ab, sagte die Richterin. Diese müssten tatsächlich erreicht werden können. „Mit anderen Worten: Die Erreichung der gesetzlich festgelegten Zwecke darf angesichts der geringen Entlohnung von Gefangenenarbeit nicht unrealistisch sein.“ Dabei müsse auch berücksichtigt werden, wie die Häftlinge die Vergütung wahrnehmen. Denn das Gefühl, in ihrer Tätigkeit nicht genügend wertgeschätzt zu werden, könne sich negativ auf die Resozialisierung auswirken.

Die Resozialisierungskonzepte in Bayern und Nordrhein-Westfalen seien diesbezüglich nicht in sich schlüssig und widerspruchsfrei, befand der Senat. Er erklärte die Regeln für nicht mit der Verfassung vereinbar. Es sei nicht Aufgabe des Gerichts, ein bestimmtes Entlohnungsmodell vorzugeben. Bei einer Neuregelung könne der Gesetzgeber einen Teil des Arbeitsentgelts für bestimmte Zwecke einbehalten oder die Gefangenen an den Kosten im Vollzug beteiligen – etwa durch einen Haftkostenbeitrag oder eine Stromkostenpauschale.

Pressemitteilung

 

1 Rückmeldung

  1. 📚 BAG-S sagt:

    Gelingende Resozialisierung hängt von einem ganzheitlichen Gesamtkonzept ab, welches soziale, psychologische, medizinische und arbeitsfördernde Maßnahmen im Vollzug und darüber hinaus berücksichtigt. Lebensverläufe, narrative Identitäten und gesellschaftliche Chancen müssen in den Blick genommen werden, sodass ein Ausstieg aus dem Verlauf, der in die Straffälligkeit geführt hat, gelingen kann. Die Förderung der Selbstbestimmung von Gefangenen ist eine Schlüsselqualifikation für die Wiedereingliederung. Im Haftkontext bedeutet Wahrung der Menschenwürde die Gewährleistung einer Wahlmöglichkeit zwischen verschiedenen Optionen“, so Alexandra Weingart, Vorsitzende der Bundesarbeitsgemeinschaft für Straffälligenhilfe (BAG-S).

    Die Bundesländer sind jetzt aufgefordert, ihre Landesstrafvollzugsgesetze hinsichtlich des Urteils des Bundesverfassungsgerichtes zu überprüfen und die Vergütungsstrukturen für inhaftierte Menschen anzupassen. Der Gestaltungsspielraum, den die Bundesländer nun haben, sollte sich auch in der Verbesserung der Entgelte für Inhaftierte widerspiegeln. Damit verbunden ist die Weiterentwicklung von Behandlungsmaßnahmen auf Basis aktueller Forschung im Vollzug, wie schon lange von der BAG-S gefordert und nun auch vom Bundesverfassungsgericht für verfassungsrechtlich erforderlich erachtet.

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