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Was den Menschen im Gefängnis Halt geben kann

1. Juni 2024

Zum vierten Mal wird in der Justizvollzugsanstalt (JVA) Köln-Ossendorf im Rahmen des Sommerblut-Festivals ein Theaterprojekt verwirklicht. Adi, Alex, Carola, Chris, Claudia, Coco, Derya, Eduard, Frank, Marleen, Miri, Moses, Natalie, Omid, Sara, Telly und Uwe, inhaftierte Frauen und Männer, erarbeiten mit Theaterprofis und der Sozialarbeit ihr eigenes Theaterstück mit dem Titel HALT.

Die Regisseurin Elisabeth Pleß und die Projektleiterin Hannah Behr sowie die Theaterpädagogin Lilian Laval berichten von einem lebendigen Prozess. Die PerformerInnen bringen auf die Bühne, was sie selbst bewegt: Sicherheit, Herzenswärme, Grenzen setzen, persönliche Lebenserfahrungen, bisherige Entscheidungen, Selbstreflexion, Zusammenhalt und „sich frei machen in der Unfreiheit“. Und mögliche Antworten auf die Frage: Was gibt den Menschen im Gefängnis Halt?

Weit jenseits des klassischen Theaters

Bei den Aufführungen bei der Generalprobe vor anderen inhaftierten Frauen der JVA Köln und vor Publikum „von draußen“, sieht man eine emotionsgeladene Performance der Themen aus unterschiedlichen Perspektiven in einem Mix aus Musik, expressiver Bewegung und Wort, weit jenseits des klassischen Theaters. Die intensive Arbeit über Monate – mit dem musikalischen Leiter Reza Askari und dem Tänzer Antonio Stella – ermöglichte den DarstellerInnen ihre Gefühle und Gedanken in einer Dimension auszudrücken, so dass sie sich selbst neu wahrnehmen und Seiten in und bei sich entdecken können. In Haft wird dies in der ansonsten oft eintönigen mit der eigenen Persönlichkeit im einschränkendem Alltag kaum möglich.

Grenzen setzen, Halt geben

Das Publikum feiert die DarstellerInnen und anwesenden Profis frenetisch. Vorab und nach dem Theaterstück wird die Möglichkeit gegeben, Texte zu lesen, die im Stück gesprochen werden. Man kann an Pinnwände etwas auf schreiben. Gespräche können mit den DarstellerInnen geführt werden sowie mit den KoordinatorInnen aus der JVA Köln. Einer der Sozialarbeit, Frank Prösdorf, spielt selbst mit. Es braucht einige Menschen der Fachdienste, um ein solches Projekt innerhalb der Mauern zu verwirklichen. In der Broschüre zu dem Theaterstück heißt es: „Achtung, dieses Stück lernt, Grenzen zu setzen und Halt zu geben.“ Alle Themen, die in diesem modernen Theaterstück performt werden, begegnet der Gefängnisseelsorge in den Gesprächen mit inhaftierten Menschen. Manche finden ihren Widerhall in der Feier von Gottesdiensten. Doch in einer so umfassenden Darstellung durch Musik, Tanz, Bewegung und Worten kommt eine Ganzheitlichkeit zum Ausdruck, die mit Worten nicht zu fassen ist. Man muss es erlebt haben.

Bericht zum 1. Projekt in der JVA Köln-Ossendorf. Mit freundlicher Genehmigung: Kölner Stadt-Anzeiger | DuMont Mediengruppe

Einen Job, der Würde verleiht

„Ziel des Projekts ist unter anderem auch durch eine künstlerische Tätigkeit die Würde wieder herzustellen – und durch das Erlernen eines Berufs auf und hinter der Bühne, etwa im Bereich (Ton-)Technik, Kostüm-, Maskenbild oder Beleuchtung. Jeder Mensch hat ein Recht auf einen Job, der ihm Würde verleiht und für den er Verantwortung übernehmen kann. Wir sind davon überzeugt, dass Theaterarbeit Inhaftierten eine gute Perspektive für ihr Leben danach geben kann“, sagt Projektleiterin Hannah Behr in einem der letzten Projekte in der JVA Köln. Auch dass Theater Menschen in Unfreiheit eine Chance bietet, ihre Gefühle auf eine andere Art auszudrücken und ihre Energien mit Respekt für andere zu kanalisieren, beweisen die JVA-SchauspielerInnen sehr eindrücklich – wenn etwa der 26-jährigen Sarah M. (Namen geändert) während ihres Gesang-Solos die Tränen über die Wangen rollen. Dass Theaterarbeit „der vielversprechendste Weg ist, Menschen auf einen guten Weg zu bringen“, wie Regisseurin Elisabeth Pleß betont, ahnt, wer nach der Performance im Gespräch mit den Teilnehmenden erfährt, dass Sarah M. etwa noch nie zuvor in ihrem Leben erfahren durfte, dass sie etwas (vollbringen) kann und liebenswert ist. „Ich habe durch das Theaterspielen zu mir selbst gefunden und kann endlich meine Vergangenheit loslassen“, so in einem Artikel des Kölner Stadt-Anzeigers zum ersten Projekt.

Ein europaweites Projekt

Projektleiterinnen aus anderen Ländern begleiteten das Projekt. Das Stück „HALT“ ist Teil des EU-Projekts AHOS (All Hands On Stage). AHOS fördert die Zusammenarbeit und den kulturellen Austausch zwischen verschiedenen Ländern im Rahmen des Justizvollzuges. „AHOS soll revolutionär, am Beispiel von Theaterarbeit, Justizvollzugsanstalten in Europa für Kultur als Arbeitssektor sensibilisieren. Es rückt damit ein sensibles Thema in den Mittelpunkt: den sozialen Nutzen, den Theater in Gefängnissen als Instrument der Wiedereingliederung für die beteiligten Menschen und für die Gesellschaft als Ganzes schaffen kann“, sagt Sommerblut Festival-Leiter Rolf Emmerich. Im Rahmen des ASOS-Projekts sollen inhaftierte Menschen in Gefängnissen aller Partnerländer in der Theaterarbeit ausgebildet werden. Außerdem wollen die Partnerorganisationen Arbeitsplätze oder Praktika in den jeweiligen Ländern vermitteln und die Entlassenen bei der Eingliederung in den Berufsalltag begleiten. Hierfür ist eine Projektdatenbank geplant, die Unternehmen und Künstler auflistet, die im Gefängnistheater tätig sind.

Dorothee Wortelkamp-M‘Baye | JVA Köln-Ossendorf

 

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