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Forumtheater im Strafvollzug, geht das?

27. Januar 2020

Forumtheater ermöglicht das Erlernen und Erproben von sozialen und kommunikativen Kompetenzen über das kreative Spiel. Mit den Mitteln des Forumtheaters ist es möglich, einen anderen Fokus auf den Lebensalltag zu richten, die eigene Rolle und das eigene Leben neu zu betrachten und auf spielerische Weise auf die Suche nach Handlungsalternativen für scheinbar festgefahrene Problemsituationen zu gehen und diese auszuprobieren. Es ist ein Spiel mit den eigenen Grenzen und mit deren Überschreitung, das Mut machen und Kraft geben kann, sich gemeinsam mit anderen auf die Suche nach Alternativen und Veränderungsmöglichkeiten zu begeben.

Gearbeitet wird mit Jugendlichen, die Straftaten begangen haben und sich im Strafvollzug befinden. Meist sind es Menschen, die in ihren jeweiligen Milieus Gewalt und Diskriminierung als bedeutendes Element ihrer Sozialisation erlebt haben. Gewalt wird von vielen als legitimes Medium in Auseinandersetzung mit ihrer Umwelt und als Mittel zum Erwerb sozialer Anerkennung angesehen. Das Projekt kann die Selbstreflexion, die selbstkritische Auseinandersetzung mit der eigenen Biographie sowie die Auseinandersetzung mit der eigenen Haftsituation fördern.

Theater im Jugendvollzug, wie geht das?

Viele sagen: „Ich kann kein Theater spielen. Ich bin kein Schauspieler und ich mag nicht irgendwelche Geschichten über Hänsel und Gretel aufführen“. Im Forumtheater geht es darum, dass man in einer Größe von 10-12 Mann mit bestimmten Methoden des Improvisationstheaters eine Geschichte gemeinsam entwickelt. Du kennst bestimmt Straßentheater, da werden die Passanten mit eingebunden. Eine Szene wird gemeinsam erarbeitet, die dann vorgespielt wird und das Publikum wird anschließend einbezogen. Dies heißt, nicht die Schauspieler spielen alleine das Stück, sondern das Publikum greift ein und sucht nach anderen Lösungsansätzen.

Ist es ein reines Improvisationstheater ohne ein Drehbuch?

Es gibt kein fertiges Stück, also kein „Hänsel und Gretel“ und keine Handlung, die nachgespielt wird. Man versucht die Handlung in einem Prozess selbst zu erarbeiten. Danach wird ein Stück entwickelt. Da gibt es z.B. ein Stück, in dem erzählt wird, wie die Beziehungen zuhause kaputt sind und ein Gespräch zwischen Vater und Sohn wird gespielt. Dies endet irgendwie, positiv oder negativ. Dann wird dann das Publikum mit einbezogen mit der Frage: „Wie würden Sie handeln, was würden Sie anders machen?“ Jemand vom Publikum kann z.B. den Vater ersetzen und diesen selbst spielen. Man tauscht die Rollen aus. Der Zuschauer ist nicht nur Zuschauer, sondern ist Akteur bei diesem Forumtheater. Diese Art des Theaters kommt ursprünglich aus Brasilien. Es ist spannend zu beobachten, dass dann am Ende so ganz andere Handlungs- und Lösungsmöglichkeiten herauskommen. Es gibt kein fest vorgeschriebenes Stück.

Sind die Rollen vorgeschrieben?

Nein, es gibt keine Rollenzuweisung. Alle können mitmachen, egal wie alt oder egal welche Funktion jemand innehat. Ich kenne dies von der Jugendanstalt in Sachsen-Anhalt, da hat sogar ein Jugendrichter, der im Publikum saß, mitgespielt. Das war ganz spannend so ein Rollentausch: Der Richter war auf der Theaterbühne der Sohn und der Inhaftierte der Vater.

Man spielt nicht als Schauspieler, sondern man spielt sich selbst?

Es ist ganz gut einmal in eine andere Rolle zu schlüpfen wie z.B. in die Rolle des aggressiven Vaters oder selbst „den Geschädigten“ zu spielen. Aber in der Rolle spielen wir uns oft selbst. Das heißt, ich sage das und mache dies, was ich es selbst denke und tue. Da kommt auch meine Geschichte mit rein. Wie reagiere ich z.B. in bestimmten Situationen? Man spielt Wirklichkeiten wie sie sind und wie man sie auch im Knast findet. Da gibt es Konflikte und Auseinandersetzungen, Hass und Highlights. Dies wird in den Stückern mit einfließen. Man kann sich in die Rollen rein versetzen. Letztendlich spiele ich mich aber immer selbst ein Stück selbst.

Also ist das für jedermann?

Ja, klar. Das heißt nicht, dass jeder mitmachen muss. Es ist freiwillig, niemand wird gezwungen mitzuspielen. Auch wird niemand vorgeführt vor Leuten von außen, die dazu eingeladen werden. Es ist nicht wie im Zoo, in den Leute von außen kommen und sich die „Tiere“ drinnen ansehen. Das Publikum wird beteiligt, einbezogen und ist nicht alleine in einer konsumierenden Haltung. Aber es ist absolut freiwillig auf die Bühne zu gehen und eine mögliche Lösung „zu spielen“.

Gibt es noch etwas zum Forumtheater?

Manchmal wird gesagt, Theater sein nur etwas für „Weicheier“. Dies sehe ich nicht so. Am Anfang braucht man schon Motivation um rein zu kommen, aber letztlich macht es Spaß. Es ist ja nicht so, dass man etwas machen muss, was man nicht will. Es ist ein Prozess und ich muss mir erst einmal anschauen, wie das ist. Es passiert viel innerhalb der Gruppe, da gibt es Auseinandersetzungen und neue Sichtweisen. Es gibt unter Anleitung bestimmte Dinge, die mir vielleicht erst einmal ungewohnt und unbekannt vorkommen.

Welche Erfahrungen haben Sie gemacht?

Ich habe positive Erfahrungen gemacht. Negative eigentlich nur im Sinne von Schwierigkeiten untereinander, die dann aber auch gelöst wurden. Es ist ja nicht immer nur eine harmonische Gruppe, die sich „im Knast“ trifft. Da gibt es immer Probleme, die sich aber lohnen, sich damit auseinanderzusetzen. Auch im Publikum habe ich bis jetzt keine massiven Widerstände erlebt.

Das Interview führte ein Inhaftierter mit Michael King

Hintergrund

Die Idee des Forumtheaters ist ein Teil von Augusto Boals Ansätzen des „Theaters der Unterdrückten“, das aus einer Vielzahl von Spielen, Übungen und Techniken besteht, mit deren Hilfe die Mitwirkenden ihre Lebensrealitäten in Szene setzen und gemeinsam mit dem Publikum Schritte zur Veränderung proben. Boal, der brasilianische Theatermacher und Begründer des „Theaters der Unterdrückten“ begann in den 60er und 70er Jahren unter der Erfahrung lateinamerikanischer Diktaturen mit der Entwicklung neuer emanzipatorischer Theaterformen und setzte diese Arbeit dann im europäischen Exil fort.

Die Zielsetzung des Theaterprojektes ist, dass die Gefangenen sich mit ihren Wünschen und Zielen, aber auch den Hindernissen und Schwierigkeiten sowie Möglichkeiten, diese Schwierigkeiten zu überwinden, auseinandersetzen. Ferner soll das Erlernen und Erproben von sozialen und kommunikativen Kompetenzen über das kreative Spiel gefördert werden. Es wird ein anderer Fokus auf den Lebensalltag gerichtet und auf spielerische Weise werden Handlungsalternativen für scheinbar festgefahrene Problemsituationen gesucht. Die Teilnehmenden werden auf der Basis von realen Konfliktsituationen Szenen oder Stücke entwickeln und spielen.

 

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