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„Abgerungen“ im Gefängnis – eindrückliche Theatererfahrungen

8. Februar 2023

Das Solo-Theater-Stück der WeG-Initiative „Glaube hat Zukunft“ war in den Justizvollzugsanstalten Trier und Wittlich zu Gast. Aufgeführt wurde das Stück vor Gefangenen und einigen Gästen. Der Drehbuchautor, Boris Weber, schreibt ein Stück über den Pallottinerpater Richard Henkes, der 1945 im Konzentrationslager Dachau bei der Pflege typhuskranker Mithäftlinge starb. Die Beschäftigung mit diesem „Märtyrer der Nächstenliebe“ fesselt und fordert heraus, über sein eigenes Leben neu nachzudenken.

In höchster Unmenschlichkeit: Haltung gezeigt

Beide Aufführungen mit dem Ein-Mann Theater und Koblenzer Schauspieler, Bruno Lehan, waren von hoher Aufmerksamkeit und emotionaler Betroffenheit gekennzeichnet, die von einigen der Gefangenen gezeigt und ins Wort gebracht wurden. Äußerer Anlass war die Seligsprechung des Pallottinerpaters Richard Henkes. In der Zeit des Nationalsozialismus hat dieser klar Flagge gezeigt. Immer wieder hat er sich für Wahrheit und Menschenwürde, für Versöhnung und Mitmenschlichkeit eingesetzt. Dass er, der den Nazis ein Dorn im Auge war, dafür ins Konzentrationslager Dachau kam, überraschte kaum. Auch hier engagierte er sich für die Anderen. Als bei einer Typhusepidemie vier Baracken unter Quarantäne gestellt werden, lässt er sich mit den Kranken einschließen, pflegt ca. 9 Wochen lang seine hilfsbedürftigen und sterbenskranken Mithäftlinge bis er sich selbst infiziert und stirbt. Es geht um mehr als eine beispielhafte Lebensgeschichte. In dem Theaterstück entdeckt man diesen „Märtyrer der Nächstenliebe“. Die Beschäftigung mit dessen Leben fordert einen heraus, über das eigene Leben neu nachzudenken.

Der Schauspieler Bruno Lehan spielt den Autor, der sich in dem Theaterstück „Abgerungen“ mit dem Leben und Wirken von Pater Richard Henkes auseinandersetzt.

Großer Respekt

Der Drehbuchautor und Regisseur, Boris Weber, wird gefragt, ob er ein Theaterstück über den Pallottiner Richard Henkes schreiben würde. Der Autor lässt sich zunächst des Geldes wegen auf die Anfrage ein. Doch bald begeistert ihn Leben und Wirken von Pater Henkes. Seine Bereitschaft, sich ganz in den Dienst seiner Leidens­genossen zu stellen, nötigt ihm großen Respekt ab. Zugleich fordert die Beschäftigung mit dessen entschiedenem Engagement, mit seinen Werten und Haltungen, heraus: Kann ihm Henkes bedingungsloser Einsatz für Menschenwürde und Mitmenschlichkeit Vorbild sein? Er weicht der Frage nicht aus, immer mehr kämpft es in ihm und er lässt die Zuschauer an seinem Ringen teilhaben.

Mehrfach wendet sich der Schauspieler an direkt die Zuschauer mit bohrenden Fragen: „Würden Sie sich einer ansteckenden tödlichen Krankheit aussetzen, um sterbende Menschen nicht allein zu lassen?“ – „Glauben Sie so an Gott, dass Sie sich ihm ganz anvertrauen können.“ Wohl wissend um das Risiko, tat der im Jahr 2019 seliggesprochene Pallottinerpater Richard Henkes im Konzentrationslager beides. Das von Boris Weber in Neuwied am Rhein zur Seligsprechung verfasste Schauspiel ist nicht nur angesichts der Corona-Pandemie aktuell. Die Themen und Fragen des Stückes wie Wahrheit, Menschenwürde und Mitmenschlichkeit, gehören  zentral zum Leben.

Beteiligte des Knastprojektes

Thomas Reichert (Gefängnisseelsorger)

Das Stück ging in der JVA Trier unter die Haut. Die Gefangenen waren sehr aufmerksam und konzentriert dabei. Die Erwartung einiger Gefangener war, dass etwas Lustiges präsentiert wird. Das assoziierten sie mit dem Begriff “Theater”. Dennoch fanden sie die Veranstaltung gut. Es gelang gut, eine Brücke zwischen dem Stück und der Situation der Inhaftierten zu schlagen. Daher ist ein kurzes Abfragen der Stimmungen nach der Aufführung notwendig, damit die Gefangenen nicht mit ihren aufgewühlten Emotionen einfach so in den Haftraum zurückgehen. Ca. 30 Inhaftierte und einige Gäste von außerhalb der Anstalt nahmen in der JVA Wittlich teil. Hochkonzentriert und emotional beteiligt war die Atmosphäre. Im Nachgespräch kam die emotionale Betroffenheit sehr eindrucksvoll zum Vorschein, insbesondere in einem Redebeitrag eines Inhaftierten. Werden doch im Haftalltag Emotionen eher öffentlich nicht gezeigt, wurde hier in dem geschützten Raum deutlich, wie es im Inneren mancher Inhaftierter aussieht. Emotionen wurden nicht belacht, nicht mehr als Schwäche interpretiert, sondern spornten an, sich mit dem Betroffenen zu beschäftigen. Es tat sich ein Erfahrungsraum auf, der sonst nicht üblich ist. Ein hervorragender Impuls an diesem besonderen Aufführungsort!

Anja Gläßer, Technik im Team der WeG-Initiative

Zum ersten Mal in der Justizvollzugsanstalt Trier und dann noch mit so einem tiefgründigen Thema, da habe ich mir schon Gedanken gemacht. Da die Aufführung in der Kapelle des Gefängnisses stattfand und die begleitenden Justizvollzugsangestellten sehr freundlich waren, konnte ich die Aufführung und die Besucher sehr gut wahrnehmen. Ein Großteil der Inhaftierten war zwischen 25 und 30 Jahre alt. Das hat mich überrascht. Ich vermute, dass das Stück in so gut wie jedem innerlich etwas angestoßen bzw. ausgelöst hat. Überrascht und gefreut hat mich, dass diese tiefe Auseinandersetzung mit Gott, Glaube und Leben – wie es im Stück passiert – kein “Lustig machen” darüber bei den Insassen hervorrief. Diese Aufführung war ein gutes Erlebnis, was mich ermutigt, auch weiter dahin zu gehen, wo Glaube scheinbar so wenig “zählt”, und doch wahrgenommen wird.

Trailer mit dem Schauspieler Bruno Lehan aus Koblenz auf YouTube…

Sonja Kirst (Projektleiterin). Begleitete den Schauspieler in der JVA Wittlich

Die Gefangenen waren von Anfang bis Ende sehr aufmerksam und trotz der nach außen gezeigten „Pokerfaces“ war spürbar, dass sie angesprochen wurden. Besonders am Ende des Stückes zeigte sich dies. Zum ersten Mal habe ich erlebt, dass alle Zuschauer dem Schauspieler mit den Augen folgten und sich umdrehten. Vermutlich war das für die Gefangenen ein sehr intensiver Moment, denn dieser Gang ins Eingesperrt-Werden war ihnen nur zu gut bekannt. Um diese gefühlte Enge wieder abstreifen zu können, folgte ganz schnell kräftiger Applaus. Ich war mal wieder ganz begeistert von Bruno Lehans Darstellung und seiner Fähigkeit, bei den Zuschauenden jede noch so kleine Reaktion wahrzunehmen und diese dann gezielt mit seinem Ausdruck “anzuspielen” – ohne dabei die anderen aus dem Blick zu verlieren.

Die im anschließenden Austausch gestellten Fragen nach der Motivation und dem Alltag des Schauspielers deute ich als einen Ausdruck von Sehnsucht nach Normalität und auch nach Sinn. Daneben beeindruckte auch der emotionale und tränenreiche Beitrag eines Gefangenen über seine Not und seine Schuld. Spontan legte ihm ein hinter ihm sitzender Mitgefangener tröstend die Hand auf die Schulter. Angesprochen auf seine Geste meinte dieser ganz lapidar: “Wir haben es ja eben gehört: auf die Mitmenschlichkeit kommt es an – und die gibt es hier eben auch!” Es sind diese Haltungen, die das Miteinander menschlich und lebenswert machen – egal ob in der Schule, auf der Arbeit, in der Kirche oder eben im Gefängnis. Wir haben die berechtigte Hoffnung, dass die JVA Trier und Wittlich nicht die letzten Orte waren, in denen „Abgerungen“ aufgeführt wurde – bei bestehendem Interesse soll die Veranstaltung nicht an den Finanzen scheitern.

Dr. Martin Lörsch (Professor für Pastoraltheologie in Trier) Feiert Gottesdienste im Gefängnis

Ein starker Eindruck, der bleibt – bei den Häftlingen wie auch bei mir! Herzlichen Dank für die Möglichkeit zur Teilnahme – in dem mir vertrauten Rahmen der JVA-Kapelle Trier. Die Gefangenen waren mucksmäuschenstill – die meisten ganz, die anderen bis fast zum Ende.

Andrea Windirsch | Fotos: WeG-Initiative, Vallendar | Stiftung Haltung heute

 

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