Sertan Akgün ist ausgebildeter muslimischer Seelsorger. Er hat 18 Monate an der Akademie für muslimische Seelsorge (AfmS) in Wuppertal seine Ausbildung neben seiner anderen beruflichen Tätigkeit absolviert. Der Ausbildungsträger für den Seelsorgekurs in ein gemeinnütziger Verein. Dieser folgt in der Ausrichtung und Zielsetzung keiner bestimmten islamischen Strömung. Die inhaltlichen Module sind ähnlich der Klinischen Seelsorgeausbildung (KSA) mit Gruppen-Supervisionen, Selbsterfahrungselementen und Fachpraktika. Mit diesem Zerifikat gestaltet Akgün die Freitagsgebete im Jugendvollzug der JVA Herford.
In Nordrhein-Westfalen sind muslimisch-religiöse Betreuer auf Honorarbasis mit 10 Wochenstunden tätig. Wie alle anderen Vollzugs-MitarbeiterInnen müssen sich Imame einer Sicherheitsüberprüfung unterziehen. Bis diese vom Ministerium der Justiz bearbeitet ist, bekommt Akgün noch keine Schlüssel. Im Beisein des Integrationsdienstes kann er Gespräche führen und er gestaltet das Freitagsgebet. Lange hat die JVA ein Iman gesucht. In der Gefängnisseelsorge hospitiert der Beruftätige im Zugangscafe der Untersuchungshaft, das die beiden chrislichen Seelsorger anbieten. “Die Entscheidung, als muslimischer Seelsorger im Gefängnis tätig zu werden, entspringt meiner tiefen Überzeugung, meinen Glauben aktiv in den Dienst anderer zu stellen. Der Islam lehrt uns die Prinzipien der Barmherzigkeit, des Mitgefühls und der Unterstützung der Bedürftigen”, schreibt Akgün in seinem muslimischen Seelsorgekonzept “Zwischen Gittern und Geborgenheit”. Akgün bezeichnet sich als freiberuflich muslimischer Seelsorger im Nebenamt. Er hat eine Website aufgebaut und bietet neben dem Freitagsgebet im Jugendvollzug Online-Seelsorge “draußen” an.
Religiöse Betreuung ist wichtig, aber…
Die Suche nach spiritueller Heilung ist im Islam von großer Bedeutung. “Die Unterstützung derjenigen, die im Gefängnis sind, kann als Beitrag zur spirituellen Ruhe und Frieden betrachtet werden, denn im Quran heißt es: ´Bei der Erinnerung an Allah finden die Herzen Frieden.´ Die Idee der Reue und Wiedergutmachung ist ebenfalls zentral im Islam. Menschen im Gefängnis haben Fehler begangen, aber durch Reue und Veränderung können sie auf den Pfad der Besserung zurückkehren. Als Seelsorger strebe ich danach, sie auf diesem Weg zu unterstützen und ihnen zu helfen, positive Veränderungen in ihrem Leben herbeizuführen. Insgesamt betrachte ich meine Entscheidung, als muslimischer Seelsorger im Gefängnis zu arbeiten, als einen Ausdruck meiner Verpflichtung gegenüber den Grundsätzen des Islam. Ich möchte Licht in die Dunkelheit bringen, Hoffnung schenken und einen Beitrag zur spirituellen Erlösung leisten” führt Akgün aus.
Die religiöse Betreuung von Gefangenen stellt einen integralen Bestandteil des Strafvollzugssystems dar und spielt eine wesentliche Rolle in der Rehabilitation und Resozialisierung inhaftierter Menschen. Im Kontext der islamischen Gemeinschaften gewinnt die muslimische Seelsorge im Gefängnis zunehmend an Bedeutung. Die muslimische Seelsorge kann dazu beitragen, ethnische und kulturelle Sensibilität im Strafvollzugssystem zu fördern. “Als muslimischer Seelsorger ist es entscheidend, Respekt für die religiöse Vielfalt innerhalb des Gefängnisses zu zeigen. Dies schließt die Achtung der Glaubensüberzeugungen und Praktiken anderer religiöser Gruppen ein. Die interreligiöse Zusammenarbeit mit Seelsorgern anderer Glaubensrichtungen ist wesentlich, um ein unterstützendes und respektvolles Umfeld für alle Inhaftierten zu schaffen”, schreibt Akgün in seinem Konzept. Gegenüber der gesetzlich zugesicherten Verschwiegenheitspflicht für die “Geistlichen” der beiden christlichen Kirchen, hat ein muslimisch-religiöser Betreuer (noch) kein Zeugnisverweigerungsrecht vor Gericht.
Professionalisierung der muslimischen Seelsorge
Die Frage nach Religionsfreiheit im Gefängnis im muslimischen Kontext ist komplex und kann je nach Land, Region und Haftanstalt unterschiedlich beantwortet werden. Im muslimischen Kontext gibt es verschiedene Auslegungen des Islam. In Nordrhein-Westfalen ist der Integrationsdienst für die Begleitung muslimischer Seelsorger im Vollzug zuständig. Sie setzen sich für die Bereitstellung von Gebetsräumen und die Organisation des Gebetes ein. Akgün formuliert dies so: “Als muslimischer Seelsorger im Gefängnis entwickle ich Sensibilität für kulturelle Vielfalt und lerne, darauf einzugehen. Die Entwicklung von Ethikrichtlinien und professionellen Standards für muslimische Seelsorger im Gefängnis ist ein weiterer Schritt in Richtung Professionalisierung”, betont der religiöse Betreuer Akgün. Im Jugendvollzug der JVA Herford gibt es weitere muslimisch-religiöse Betreuer: Ein Imam von Shems kommt wöchentlich für Gespräche mit den Gefangenen in die Sohbet-Gruppe. Die türkisch-islamische Gemeinde der DITIB in Herford bietet einmal im Monat eine Sprechstunde an. Die religiösen Angebote sind in der JVA Herford offen für alle inhaftierten Jugendlichen. Dies ist unabhängig ihrer Konfession, ihren religiösen Wurzeln oder einer bekenntnisfreien Zugehörigkeit.
Michael King | Titelfoto: Imago