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Muslimische Seelsorge in Militär, Gefängnissen und Krankenhäusern

18. September 2025

Die „Deutsche Islam Konferenz“ ist seit vielen Jahren das zentrale Forum für den Dialog des deutschen Staates mit den MuslimInnen und ihren vielfältigen Vertretungen. Sie wurde zur Stärkung des gesellschaftlichen Zusammenhalts gegründet. Die Seelsorge ist ein klassisches Feld der Zusammenarbeit von Staat und den Religionsgemeinschaften: In Militär, Gefängnissen und Krankenhäusern sollen Staat und die Religionsgemeinschaften zusammenwirken. Dies wurde bei einer zweitägigen Fachtagung in Nürnberg diskutiert.

Eine muslimische Seelsorge findet längst statt, aber nicht überall, oder nicht überall gleich. Um den Stand dieses Themas mit einem fachlich interessierten Publikum zu erörtern und neue Perspektiven zu gewinnen, fand die Fachtagung mit dem Titel „Den Menschen sehen, begleiten und stützen“ in Nürnberg statt. Die Deutsche Islam Konferenz (DIK) diskutiert über den Aufbau einer muslimischen Seelsorge in staatlichen Institutionen wie Militär, Gefängnissen und den Krankenhäusern. In der Debatte mit Praktikern und Wissenschaftlern wurde deutlich, wie viele offene und komplexe Fragen es gibt – darunter die Suche nach einem zentralen muslimischen Ansprechpartner, die Gleichberechtigung der Seelsorge sowie das Aufgabenfeld von De-Radikalisierung. Die vom damaligen Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) 2006 initiierte Konferenz soll als zentrale Dialogplattform zwischen Staat und Islam dienen. Ziel ist es, die religions- und gesellschaftspolitische Integration der rund vier Millionen Muslime in Deutschland voranzubringen.

Unterschiedliche Wege

Eine muslimische Seelsorge gibt es fast flächendeckend in den Justizvollzugsanstalten. Nur ist diese nicht so ausgestatt wie die christlich geprägte Seelsorge. Zudem gehen die Länder unterschiedliche Wege. In Baden-Württemberg werden muslimische BetreuerInnen ausgebildet. In Nordrhein-Westfalen werden Einzelpersonen als Imame ohne spezifische Ausbildung mit Honorarverträgen beispielsweise für die Gestaltung der Freitagsgebete angestellt. In der Regel reicht ein Studium der islamischen Theologie oder ähnliches aus. Der Wissenschaftler Abdelmalek Hibaoui vom Zentrum für Islamische Theologie an der Universität Tübingen erklärte bereits im Jahr 2016, dass die gesellschaftliche Erwartung an die Muslime sehr groß sei. Dass es dabei notgedrungen zu suboptimalen Übergangslösungen komme, schien für die Mehrheit der muslimischen Vertreter selbsterklärend. Zugleich wurden Modellprojekte vorgestellt, darunter der Verein „Muse – Muslimische Seelsorge Wiesbaden“, der seit Jahren Seelsorge anbietet. Der Koordinationsrat der Muslime bekräftigte, dass das ehrenamtliche Angebot nicht reiche. Es brauche hauptamtlich-muslimische Seelsorger in staatlichen Einrichtungen. In Rheinland-Pfalz, in Schleswig-Holstein und in Bayern gibt es hauptberuflich tätige muslimische Gefängnisseelsorgende.

Präventionsbeauftragte angestellt

Seelsorge im institutionellen Kontext, beim Militär, im Gefängnis oder im Krankenhaus, sei für Muslime ein neues Phänomen; zugleich sei Hilfe für Notleidende und Bedürftige in der Religion des Islam fest verankert. Was  als Seelsorge verstanden werde, müssten die Religionsgemeinschaften selbst definieren. Aus staatlicher Sicht sind nach Aussage von Ministeriumsvertreter vor allem die Frage der Kooperationspartner und des Ansprechpartners für eine muslimische Seelsorge entscheidend. Zu klären gelte es, wie mit der Gefahr möglicher islamischer Radikalisierung umgegangen werde, etwa im Gefängnis, und welche Rolle hier SeelsorgerInnen zukommt. In Nordrhein-Westfalen sind „Präventionsbeauftragte“ gegen Radikalisierung mit abgeschlossenem islamischen Theologiestudium in den Gefängnissen angestellt worden. Sie sind allerdings keine Seelsorger, sondern sind der Abteilung „Sicherheit und Ordnung“ angegliedert.

Interreligiöse Weiterbildung

Nach Einschätzung der Experten gibt es bei der Finanzierung und Entwicklung von Standards der „muslimischen Seelsorge“ einiges aufzuholen. Während die Militärseelsorge über den Bund läuft, sind bei Gefängnissen und Krankenhäusern die Länder und Kommunen beziehungsweise bei Kliniken meist die Träger für die Seelsorge zuständig. Offen ist nach wie vor, ob muslimische SeelsorgerInnen – so wie die christlichen SeelsorgerInnen – der Schweigepflicht und Wahrung des Beichtgeheimnisses sowie dem Zeugnisverweigerungsrecht vor Gericht unterliegen können. Eine bundesweit erste berufsbegleitende interreligiöse Qualifikation für seelsorgliche Begleitung im Justizvollzug startet zum Wintersemester 2025/2026 mit einer Dauer von 18 Monaten. Die Konzeption basiert auf den Anforderungen an professionelles seelsorgliches Handeln im Justizvollzug. Diese Weiterbildung ersetzt nicht eine seelsorgerliche Ausbildung und das Studium der jeweiligen Thologie. Eine Anstellung im Justizvollzug ergibt sich durch den Kurs nicht. Die Gefängnisseelsorge ist ein wichtiges Element der Begleitung von Gefangenen und Bediensteten und seit Jahrzehnten Bestandteil des Strafvollzugs. Sie steht allen offen, unabhängig von ihrer Religionszugehörigkeit oder Weltanschauung. Im Mittelpunkt steht der Mensch, unabhängig seiner Religion oder Konfession.

M. King


 Sichtweise eines Teilnehmers

Für die Evangelische Gefängnisseelsorge in Deutschland habe ich als Sprecher der Arbeitsgemeinschaft Weiterbildung an der DIK in Nürnberg teilgenommen. Einmal mehr stand die Seelsorge als klassisches Feld der Zusammenarbeit von Staat und Religionsgemeinschaften in seiner Vielfältigkeit auf der Tagesordnung. Was für die großen Kirchen so selbstverständlich erscheint, ist für die muslimischen Verbände, die sich unter dem Dach der DIK versammeln, seit fast 10 Jahren immer noch ein unerreichtes Ziel. Das Argument, dass es zunächst ein verbindliches Schweigegebot aller oder zumindest der überwiegenden Mehrheit aller muslimischen Religionsgemeinschaften geben müsse, wird zunehmend in Frage gestellt, da immer mehr Bundesländer mit einzelnen Religionsgemeinschaften gesonderte Verträge ausgehandelt und darin auch das Seelsorgegeheimnis zusichert haben. Von einer Gleichbehandlung ist man auch auf dieser Ebene weit entfernt.

Fragt sich, ob es wirklich an der Vielfältigkeit der Religionsgemeinschaften liegt oder nicht doch am fehlenden politischen Willen ist, das Beichtgeheimnis als Wesensmerkmal der Seelsorge zu verstehen, wenn man schon den Begriff „Seelsorge“ benutzen will. Die Diskussion darum, so äußerten es viele Beteiligte, tritt auf der Stelle. Mit einer Ausnahme: bei der Bundeswehr wird derzeit der allgemein anerkannte Bedarf der muslimischen Seelsorge in unserer Gesellschaft praktisch Umgesetzt. Gesonderte Verträge, die sicherlich noch weit entfernt von einer institutionalisierten Festschreibung sind, sollen den Bedarfe der Seelsorge in der Bundeswehr in Annäherung an die Aufgaben der Dekanate und des Rabbinats umsetzen.

Fazit

Mir als mehr oder weniger Beobachter der Tagung sind zwei Dinge deutlich geworden: Die Forderung nach einer muslimischen Seelsorge in Bundeswehr, Gefängnis und Krankenhaus ist der solidarischen Unterstützung der großen Kirchen entwachsen, was nicht heißt, dass es dieser nicht mehr braucht. Sowohl die Vorträge als auch die Diskussionen an beiden Tagen haben gezeigt, dass die Fragestellung dieser Tagung eine Stellvertreterfunktion übernommen hat für die Frage: Inwieweit der Islam zu Deutschland gehört. Die zweite Beobachtung war eine kurze Bemerkung von Annegret Korff in ihrem Grußwort und Impuls für das Bundesministerium des Innern. Sie deutete die zunehmenden Radikalisierungstendenzen als Problem der islamischen Seelsorge an. In diesem Zusammenhang merke ich an: Auf dieser Tagung hat man sich mit außerordentlich hoher Fachlichkeit und Präzision dem Thema genähert.

So bleibt bei mir angesichts des oben erwähnten Grußwortes von Korff die Frage zurück: Worüber wurde in Wahrheit geredet, ohne es wirklich auszusprechen. Ich habe die Befürchtung, dass das Thema Seelsorge von politischer Seite nicht als das gesehen wird, was es ist: Nur mit Sicherheit und Vertraulichkeit können sich Menschen in der Bundeswähr, im Gefängnis und in den Krankenhäusern überhaupt öffnen gleich welcher Religion.

Stefan Thünemann

 

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