Dr. Rolf Stieber hat sein berufliches Leben „lebenslänglich“ im Gefängnis verbracht: Er gehörte als evangelischer Pfarrer zum Seelsorgeteam in der JVA Werl in NRW. Von einigen seiner Begegnungen mit Gefangenen in den 25 Jahren, von berührenden Schicksalen und dem Alltag im Knast erzählt der Theologe in einem Buch „auf Seelenhöhe“.

„Lebenslänglich. Begegnungen auf Seelenhöhe“ ist im Verlag für Gefängnisseelsorge GmbH in Zürich erschienen. Der Verlag gibt die Zeitschrift „Seelsorge & Strafvollzug“ heraus, ebenso Sachbücher und praxisrelevante Handbücher zum Thema. Das Buch von Dr. Rolf Stieber ist die erste Neuerscheinung des Verlags mit literarischen Texten zu Begegnungen mit Gefangenen. 20 Euro.

Rolf Stieber wurde 1958 in Versmold geboren. Nach dem Studium der evangelischen Theologie in Bielefeld und Göttingen sowie dem Vikariat war er wissenschaftlicher Assistent an der Kirchlichen Hochschule Bethel und promovierte über die Theologie Helmut Gollwitzers. Er war fünf Jahre Gemeindepfarrer, hat die Klinische Seelsorgeausbildung (KSA) und die Ausbildung zum Supervisor der Deutschen Gesellschaft für Pastoralpsychologie absolviert.
„Lebenslänglich. Begegnungen auf Seelenhöhe“ ist ein literarisches Sachbuch, das einen ganz eigenen Blick in den Gefängnisalltag ermöglicht. Eingebettet sind diese literarisch verarbeiteten Erzählungen über die Begegnung mit einzelnen Gefangenen, deren Beispiele individuell, aber auch exemplarisch für den Umgang mit Straffälligen in unserer Gesellschaft sind, in theologische Überlegungen und einen Sachbuchteil zum Thema Gefängnisseelsorge. Insofern ist dieses Buch interessant für LeserInnen, die in diesem Bereich tätig sind, aber es reicht durch die fiktionalisierten Biografien darüber hinaus.
Pastor als „Knastor“
Es gibt allgemein einen berührenden Einblick in eine uns sonst verschlossene Welt: „Gefängnisse sind unsichtbare Orte und die Gefangenen unsichtbare Personen. Denn die allermeisten Zeitgenossen wissen so gut wie nichts über die Lebenswirklichkeit in den Haftanstalten und noch viel weniger über die Lebensgeschichten der Menschen, die dort ihre Strafe verbüßen“, betont der bekannte Theologe und Autor Fulbert Steffensky in seinem Vorwort zu dieser Neuerscheinung. In seinem Vorwort geht Stieber auf die besondere Rolle der Gefängnisseelsorge ein, die Gefangenen einen geschützten Ort bietet, an dem Vertrauen, unabhängig von der jeweiligen Konfession, entstehen kann: „Als mein älterer Sohn als Kind gefragt wurde, was denn sein Vater beruflich mache, sagte er: „Der ist Knastor!“ und meinte damit: Pastor im „Knast“, also im Gefängnis. In dieser Wortschöpfung stecken die Spannung, die Dynamik, die Schwierigkeiten und die Möglichkeiten, von denen dieses Buch handelt. Seelsorge im Gefängnis bedeutet Arbeit an der Schnittstelle zweier sehr unterschiedlicher Systeme, die von ihrem grundsätzlichen Verständnis der gefangenen Menschen kaum kompatibel sind und auch beim Ziel ihrer Arbeit nicht auf einen Nenner kommen: der Strafvollzug beabsichtigt den Schutz der Allgemeinheit und bemüht sich um Resozialisierung, christliche Seelsorge intendiert Befreiung aus gottlosen und lebensfeindlichen Bindungen.
Kopf kaputt…
Als wir uns das erste Mal begegneten, war er ein junger Mann von 22 oder 23 Jahren. Er stammte aus dem Libanon, jenem Land, das seit Jahrzehnten von Bürgerkriegen zerrissen wird. Es war, als spiegle sich diese Zerrissenheit auch in der Seele dieses jungen Mannes, der zum ersten Mal im Gefängnis war. Beim ersten Kontakt, den ich mit ihm hatte, ging es zunächst gar nicht um ihn. Er nahm damals an einem Integrations-Sprachkurs teil und war auf einer kleineren Abteilung untergebracht mit sogenanntem Wohngruppenvollzug. Das bedeutet, dass für einige Stunden am Tag die Zellentüren geöffnet sind und die Gefangenen sich begegnen und besuchen können. Als ich nach einem Gespräch noch auf dieser Abteilung unterwegs war, sprach Jamal mich an. Er tat das sehr höflich, fast ehrerbietig, mit grossem Ernst. Er ist Muslim, hielt auch im Gefängnis, wenn er es schaffte, die Gebetszeiten ein, fastete immer eine Zeit im Ramadan. Mich als christlichen Gefängnisseelsorger anzusprechen, war für ihn – wie für viele Muslime – kein Problem. Zum einen gab es keinen muslimischen Seelsorger, mit dem er hätte sprechen können, zum anderen hatte ich damals viele Kontakte mit muslimischen Inhaftierten, und das sprach sich herum. Und unabhängig von der religiösen oder areligiösen Sozialisation eines Inhaftierten: dass die Seelsorgenden der Schweigepflicht unterstehen, das wissen und schätzen alle. Jamal bat mich, da ich doch Pastor sei, mich um einen Mitgefangenen von ihm zu kümmern, der sich seit Tagen ganz anders als sonst verhalte: er käme nicht mehr aus der Zelle, esse kaum mehr etwas, rede mit niemandem. „Das ist nicht gut, das ist ganz schlecht für ihn“, sagte er, sehr ruhig und sehr klar. „Und da kommt er alleine nicht wieder raus!“
Ich wunderte mich damals, dass Jamal dies bei einem anderen Gefangenen so klar wahrnehmen konnte und sich um ihn sorgte, denn vielfach sind inhaftierte Menschen sehr mit sich beschäftigt und lassen die Probleme anderer nicht an sich heran. Dabei fällt oft der Satz: „Ich habe genug eigene Probleme!“ In aller Regel stimmt das, dient aber durchaus auch als Alibi, sich nicht um andere zu kümmern. Bei Jamal war es nicht so, im Gegenteil, und das hatte einen sehr besonderen Grund: Er kannte die Symptome psychischer Erkrankung aus schmerzlich durchlebter eigener Erfahrung: das Sich-Abschotten, die Nahrungsverweigerung, das Hocken auf dem Fussboden, das Abwehren jeden Kontaktversuches. Wie ich später von ihm erfuhr, hatte er das alles selbst in der Anstalt durchgemacht, in der er zuvor inhaftiert gewesen war. Deshalb wusste er nur zu genau: alleine findet man aus diesem Loch nicht wieder heraus. Im vorherigen Gefängnis hatte ihn ein Kollege des Seelsorgedienstes aus dieser dunklen Selbstisolation gerettet: durch beharrliches Erscheinen an der Zellentür, durch Gespräche – zunächst an der Zellentür, weil Jamal Sicherungsmassnahmen hatte, später dann von Angesicht zu Angesicht. Der junge Mann war sich sehr sicher, dass er sein Überleben dieser Intervention verdankte, denn er war kurz davor gewesen, die unerträgliche Last seiner Seele durch einen Schlussstrich abwerfen zu wollen – auch wenn er wusste und es respektierte, dass seine Religion ihm das verbot. Mehr als Leseprobe…
3 Rückmeldungen
Wir freuen uns, dass das Buch von Dr. Stieber, welches in unserem „Verlag für Gefängnisseelsorge“ erschienen ist, so gut angekommen ist. Das Buch kann über verlag-gefaengnisseelsorge@bluewin.ch bestellt werden. Oder über Textnachricht an +41 79 395 59 86. Buchhandlungen können über http://www.vlb.de bestellen, dabei kommt die Bestellung über IBUMAIL zu uns. Es ist also kein Problem, das Buch zu beziehen. In der Regel versenden wir am nächsten Tag nach der Bestellung und damit sollte das Buch in zwei Tagen beim Besteller sein. Wir versenden das Buch aus Deutschland. Das Porto beträgt dabei 4 €. Wieso jemand 8 € Portokosten berechnet hat, erschliesst sich uns nicht. Wir freuen uns über jede Bestellung. Das Buch ist ein Gewinn!
Dr. Frank Stüfen, Verlag für Gefängnisseelsorge, Zürich
Guten Tag,
vor ein paar Tagen wurde das Buch „Lebenslänglich“ von Rolf Stieber in der Westfalen Post vorgestellt. Schon in dem Artikel hat es mich sehr angesprochen… so viel Liebe… Es war nicht einfach, das Buch zu bestellen. Bei Amazon war es nicht möglich und erst die zweite örtliche Buchhandlung hat mir das Buch in der Schweiz bestellt. Das Porto von 8 Euro haben wir uns geteilt.
Nun lese ich die ersten Seiten des Buches und bin überwältigt von der Liebe und Barmherzigkeit. Dieses Buch sollten viele Menschen lesen. Es müsste leichter zu erhalten sein. Wie wäre es mit dem scm-Verlag in Witten (Deutschland). Herzliche Grüße und Gottes Segen für Ihre Arbeit!
Alles ist vergänglich – sogar lebenslänglich! Der Spruch einiger Rechtsanwälte an einem fränkischen Landgericht. Ich arbeitete ehrenhalber fast 20 Jahre in einer JVA, für mich eine wunderschöne Zeit