Der Ramadan ist der neunte Monat im islamischen Kalender und für Muslime eine Fastenzeit: Vom Morgengrauen bis zum Sonnenuntergang, auch in einer Justizvollzugsanstalt. Das Fasten ist eine der fünf Säulen des Islam und dient der spirituellen Einkehr und der Nähe zu Gott. Es endet mit dem Fest des Fastenbrechens (Eid al-Fitr). Für das Gefängnispersonal ist es wichtig, die besonderen Bedürfnisse und Verhaltensweisen muslimischer Gefangener während dieser Zeit zu verstehen, um das Leben in der Anstalt zu erleichtern und Konflikte zu vermeiden.
Essen und Trinken
Muslime dürfen während des Ramadan nur nach Sonnenuntergang (Iftar) und bis vor der Morgendämmerung (Suhoor) essen und trinken. Es ist üblich, das Mahl Suhoor vor der Morgendämmerung einzunehmen, um den Fastentag zu beginnen.
Verhaltensänderungen
Im Verlauf des Fastens können Gefangene, besonders zu Beginn des Ramadan, reizbarer oder emotionaler sein. Geduld und respektvolle Kommunikation sind entscheidend, um Konflikte zu vermeiden.
Gebetszeiten
Muslime beten fünfmal täglich, und besonders das nächtliche Gebet (Taraweeh) ist während des Ramadan von Bedeutung.
Rauchen
Fastende Raucher können aufgrund des Nikotinentzugs gereizt sein. Das Gefängnispersonal sollte auf Verhaltensänderungen achten und Spannungen frühzeitig erkennen.
Chance
Für viele Muslime bietet der Ramadan die Möglichkeit, schädliche Gewohnheiten wie das Rauchen abzulegen. Dabei setzen sich viele oft hohe Ziele, die manchmal schwer zu erreichen sind. Dieser Prozess kann mit negativen Gefühlen wie Reizbarkeit verbunden sein.
Medikamente
In muslimisch geprägten Ländern ist es üblich, Medikamente so zu verschreiben, dass sie abends eingenommen werden können, um das Fasten nicht zu stören und die Gesundheit der Fastenden zu gewährleisten. Falls nur begrenzte Optionen zur Verfügung stehen, sollte dem Gefangenen klargemacht werden, dass abendliche Medikationstermine nicht verfügbar sind und diese medizinische Entscheidung keinesfalls als ablehnende Haltung gegenüber dem Ramadan missverstanden werden darf. Im Falle eines Konflikts kann der Seelsorgedienst hinzugezogen werden, um gemeinsam eine Lösung zu finden.
Lärm und Störungen
In der Nacht können laute Geräusche wie Koranrezitationen oder die Zubereitung von Mahlzeiten für andere Gefangene störend sein. Die Gefangenen sollten darauf hingewiesen werden, dass der Lärmpegel möglichst niedrig gehalten werden sollte. Außerdem ist es wichtig, dass der muslimische Seelsorgedienst vor Ramadan einen Vorbereitungskreis für muslimische Gefangene organisiert, damit sie das Fasten unter den Vollzugsbedingungen korrekt praktizieren können, während gleichzeitig das Leben der Nicht-Muslime bzw. Nicht-Fastenden berücksichtigt wird. Denn das Prophetenprinzip lautet: „Es soll kein Schaden zugefügt werden und kein Schaden erwidert werden“.
Vorbereitung
Vor Beginn des Ramadan ist es sinnvoll, Informationsveranstaltungen für das Gefängnispersonal und die Gefangenen zu organisieren, um Missverständnisse und Konflikte zu vermeiden.
In der Gefängniswelt ist der Ramadan ein zweischneidiges Schwert: Ohne Verständnis für den ethisch-spirituellen Sinn des Fastens kann er zu Unordnung führen. Eine kreative und vorurteilsfreie Auseinandersetzung mit dieser religiösen Praxis kann jedoch dazu beitragen, die Funktionalität der Anstalt zu verbessern.
Ethisch-spirituelle Dimension
Der Ramadan zielt darauf ab, Selbstbeherrschung, Geduld und zwischenmenschliche Harmonie zu fördern. Der Verzicht auf Essen und Trinken soll zu einer positiven Charakterveränderung führen. Der Ramadan kann die Resozialisierungskraft von Gefangenen stärken, wenn man seine ethisch-spirituellen Grundmerkmale tief reflektiert und ihn als Ressource nutzt. Auf dieser Grundlage lassen sich kreative und spirituell-pädagogische und seelsorgerliche Angebote für muslimische Gefangene entwickeln. Der seelsorgerische und psychologische Dienst kann dabei kreativ und spirituell-pädagogisch tätig sein und offen für Maßnahmen werden, die auch gemeinsam mit dem Allgemeinen Vollzugsdienst (AVD) oder den Fachdiensten umgesetzt werden können, die im Rahmen des Ramadan zur Förderung der Vollzugsziele beitragen.
Der muslimische Denker Al-Ghazali unterteilt das Fasten in drei Stufen. Die niedrigste Stufe ist der Verzicht auf Essen und Trinken. Die mittlere Stufe umfasst das Fasten der Sinne (Augen, Ohren, Zunge etc.), indem man sich von allem fernhält, was die Beziehung zum Schöpfer oder zu den Mitmenschen beeinträchtigen könnte. Die höchste und edelste Stufe ist das Fasten des Geistes und des Herzens, das eine achtsame Beobachtung und genaue Prüfung der eigenen Gedanken vor jeder Handlung erfordert. Diese drei Stufen können die Resozialisierungsarbeit seelsorgerlich unterstützen und die Bereitschaft der Gefangenen zur Mitwirkung an Vollzugsmaßnahmen stärken. Denn ein straffreies Leben mit Eigenverantwortung ist oft mit einer Verzichtskultur verbunden: Ein Leben ohne Strafen erfordert den Verzicht auf Handlungen, die dem eigenen Ich oder dem sozialen Umfeld Schaden zufügen könnten, also das Fernhalten von Taten, die gegen das Gesetz verstoßen.
Fastenpraxis
Auch die Fastenpraxis ist eine verantwortungsvolle Handlung, die eine bewusste Entscheidung verlangt. Der Prophet sagte: „Wer das Lügen und das Handeln damit nicht lässt, für den hat Gott keinen Bedarf, dass er auf sein Essen und Trinken verzichtet.“ Das Fasten im Ramadan ist nie ein Selbstzweck, sondern ein Mittel zur ethischen Verfeinerung des Ichs. Es soll das Individuum dazu befähigen, Verantwortung für das eigene Handeln, Reden und Unterlassen zu übernehmen. Den Magen zu leeren, ohne die Seele mit Spiritualität und Ethik zu nähren, ist sinnlos. In frommer Andacht die Ramadan-Nächte zu verbringen, dabei jedoch die Nachbarn zu stören oder ihnen Schaden zuzufügen, widerspricht den ethischen Prinzipien des islamischen Fastens. Der Prophet sagte: „Wie viele Fastende haben von ihrem Fasten nur den Durst, und wie viele stehen in der Nacht auf, aber haben von ihrem Gebet nur die schlaflose Zeit“.
Eine der weiteren vollzugsrelevanten Auswirkungen des Fastens während dieses heiligen Monats ist die Stärkung der intrinsischen Motivation. Während viele Veränderungen im Leben von äußeren Anreizen, wie der Zustimmung oder Anerkennung durch andere, abhängen, lehrt das Fasten, dass die wahre Motivation von innen kommt. Das Fasten im Ramadan stärkt also die intrinsische Motivation, da es den Fokus auf das persönliche Wachstum und die spirituelle Reinigung legt. Im Ramadan geht es in erster Linie nicht um den äußeren Erfolg, sondern um die Selbstverbesserung und eine tiefere Verbindung zu sich selbst und der Umgebung. Das fördert das eigenverantwortliche Handeln und die Freiheit, das Verhalten aus dem inneren Antrieb zu steuern. Ein passendes Zitat dazu ist Matthäus 6, 16-18: „Wenn ihr fastet, dann setzt keine Leidensmiene auf wie die Scheinheiligen. Sie machen ein saures Gesicht, damit alle Welt merkt, dass sie fasten. Ich versichere euch: Sie haben ihren Lohn bereits bekommen.“
Dr. Ahmed Arfaoui | JVA Dresden
1 Rückmeldung
Der Artikel ist sehr angenehm zu lesen. Aus Sicht der Gefangenen wäre das ein sehr respektvoller Umgang. Inhaltlich hätte ich dem nichts entgegenzusetzen. Tatsächlich habe ich damals im Ramadan aufgehört zu rauchen und bin seit Mai 2017 glückliche Nichtraucherin