Ab 22 Uhr ist es im hessischen Bad Karlshafen an der Rehabilitationsklinik still geworden. Die Patienten gehen früh schlafen. Doch an diesem Abend findet das muslimische Gebet in der Nähe der kleinen Cafeteria statt, eher ein versteckter Ort. Die islamischen Gesänge sind im Innenhof der Dr. Ebel Fachklinik leise zu hören. Es sind Patienten aus dem Nahen Osten, vor allem aus Saudi-Arabien, die hier gemeinsam beten.
Die Dr. Ebel Fachklinik Carolinum ist spezialisiert auf Rehabilitation für Orthopädie, Neurologie und Geriatrie. Sie liegt im Weserbergland, in der nördlichsten Spitze Hessens im Dreiländereck zu Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen. Die zwei markanten Häuser, die in den 70er Jahren ursprünglich als Sporthotel an der Weser erbaut wurden, beherbergt PatientInnen aus dem Bundesgebiet. Ziel ist die Genesung von Knie- Hüft- und Rückenoperationen sowie von neurologischen Erkrankungen.
Islamisches Gebet in Kurklinik
„Das sind keine reichen Scheichs, sondern normale Patienten“, erklärt eine Mitarbeiterin der Nachtschicht als sie auf die arabisch sprechenden Menschen angesprochen wird. Es sind vor allem Personen mit amputierten Beinen, die mit Prothesen ihren Lebensalltag wieder bewältigen wollen. „Kriegsverletzungen aus dem Jemen oder Verletzungen aus Unfällen sind die Gründe für eine Rehabilitation in Bad Karlshafen“, erzählt ein Übersetzer. Das „Café Riad“ und die überdachte Terrasse ist der Ort des Gebetes und des Feierns am stillgelegten Kursaal. Die Männer sitzen im Rollstuhl, manche stehen mit Gehhilfen und wieder andere beten das Gebet wie man es kennt mit. Eine andächtige Atmosphäre.
Separiert integriert
Nicht alle scheinen vom Aufenthalt der internationalen Gäste begeistert zu sein. Eine Physiotherapeutin sagt, es sei eben eine ganz andere Kultur und zuckt mit den Schultern. Die arabisch sprechenden Patienten machen in den für alle zugänglichen Klinikräumen ihre individuellen Therapien. Allerdings essen sie separat in ihrem Café als Speisesaal. „Zwischen den Patienten kommt es schon einmal zu kleineren Kommunikationsproblemen, aber das kann schnell geklärt werden“, erzählt der Ergotherapeut. Er schildert, dass manche denken, diese Patienten seien Geflüchtete und leben auf Kosten des Staates.. Dem ist aber nicht so. Heute beobachtet ein Patient das Geschehen in der Ecke als sogenannter Zaungast. Nach dem Gebet kommen einige auf ihn zu und laden ihn zum Tee und anschließendem Essen ein. „Ich erlebe das sehr offen und sehr einladend“, meint dieser. In den kleinen Holznischen im Café Riad gibt es eine große Platte mit Reis, Gemüse und Lammfleisch. Dem eingeladenen Gast in diesem Bereich wird ein Löffel gereicht. Die anderen essen traditionsgemäß mit den Händen.
Dolmetscher helfen
Nicht nur die Essensweise ist unterscheidend zwischen den Einladenden und ihrem Gast. Mithilfe der Handyübersetzung fragt einer ihn, warum manche Männer in Deutschland Ohrringe tragen. Das sei „sehr süß“, so übersetzt es die arabisch-deutsche Übersetzungshilfe. Genau so könnte der Gast fragen, warum Männer in Saudi-Arabien lange Gewänder anziehen. Die gegenseitige Befragung könnte noch stundenlang fortgesetzt werden. Dazu fehlt im Rehaalltag allerdings der Rahmen. Die Menschen in der Klinik eint, dass sie alle Patienten sind, dass sie alle ein Leiden haben und dass sie ihr Leben leben wollen, trotz gesundheitlicher Hindernisse. „Manche der internationalen Gäste sind zwischen zwei Monaten bis zu sogar sechs Jahren hier“, fügt jemand von der Patientenverwaltung hinzu. Ein eigenes Übersetzungsbüro hilft, die Kommunikation zu führen. Besonders im Bereich der Orthopädie und der Neurologie seien Rehabilitationsmaßnahmen in vielen Ländern der Welt nicht in dem Maße verfügbar wie in Deutschland.
Das Carolinum hat Verträge mit den Botschaften als Kostenträger. In den meisten Fällen reisen die Patienten mit Familienangehörige an, deren Aufenthalt inklusive Taschengeld ebenfalls von den Botschaften finanziert wird. Die schöne Umgebung der Weser mit ihren Wäldern kommen bei den Patienten aus dem Nahen Osten gut an. Bereits seit 2009 hat das Carolinum Erfahrung mit internationalen Patienten. Die Begegnung an diesem Ort könnte eine Chance bieten, eventuell bestehende gegenseitige Vorurteile abzubauen. Denn alle sind Patienten in einer Rehabilitationsklinik. Ein Ziel interkultureller Verständigung oder des Dialogs ist jedoch nicht formuliert und geschieht eher zufällig. Hier und da, wie bei dieses Anlass beschrieben, passiert es doch. Das ist gut so.
Michael King