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Das bolivianische Gefängnis Palmasola ist eine ganz andere Welt

21. August 2025

Lea und Maria Schmidli leben in der Schweiz. Sie sind allerdings im bolivianischen Santa Cruz de la Sierra geboren. Ihre Familie lebte mehrere Jahre im Stadtteil „Las Américas“, einem der armen Vororte der Millionenstadt. In der Entwicklungszusammenarbeit lernten sie den Alltag im bolivianischen Tiefland kennen. Bei einem Besuch während den bolivianischen Präsidentschaftswahlen im August 2025 haben sie die Gelegenheit, in das berüchtigte Gefängnis „Palmasola“ zu kommen.

Etwa 8000 Inhaftierte

Gefängnisse waren für mich immer Orte, die ich nur aus den Nachrichten und Filmen kannte. Orte, an denen Menschen eingesperrt werden und wir von außen keinen Einblick bekommen. Der Besuch im Gefängnis in Santa Cruz de la Sierra war etwas ganz Anderes. Wir konnten einen spannenden Einblick in die Welt hinter Gitter in Bolivien bekommen. Am Dienstagmorgen hatten wir die Möglichkeit, mit Belén das Gefängnis Palmasola zu besuchen. Sie macht momentan dort als Jura-Studentin ein Praktikum und hat uns den Besuch ermöglicht, sonst wäre das als Nicht-Angehöriger eines Gefangenen nicht möglich gewesen. Das Cárcel Palmasola ist das größte Gefängnis in Bolivien und hat über 8.000 Inhaftierte, darunter Männer, Frauen und auch ihre Kinder. Das Gefängnis ist in mehrere Bereiche aufgeteilt. Der eine ist für Frauen und ihre Kinder, und der andere ist für die Männer, deren Zahl um die 6.000 Inhaftierte liegt. Es gibt noch 1-2 andere Bereiche in denen die Einzelzellen liegen. Wir haben den Bereich PC-4 besucht.

Bevor wir jedoch ins Gefängnis gehen, kaufen wir am Morgen auf dem Markt eine große Tüte Brot, die wir den Gefangenen bringen. Als wir gegen 9.30 Uhr beim Gefängnis ankommen, ist schon eine lange Menschenschlange dort, die ihre Angehörigen besuchen wollen. Viele von ihnen sind schon seit 4 oder 5 Uhr morgens dort, damit sie um 10 oder 11 Uhr, wenn das Gefängnis aufmacht, möglichst schnell drin sind. Fast alle hatten auch 1-2 große Tüten mit Essen oder anderen Sachen für ihre Angehörigen dabei. Wenn man das Gefängnis besuchen will, muss man, abgesehen von der langen Wartezeit, auch Eintrittskosten bezahlen. Dafür gibt es keine Vorschriften, wie oft man jemanden besuchen kann; es öffnet jeden Tag zwischen 10 und 11 Uhr und schließt zwischen 16 und 17 Uhr wieder.

Stempel beim Rein- und Rausgehen

Da wir bereits mit Belén angemeldet waren, mussten wir nur kurz warten, bis uns jemand am Eingangstor abholte. Belén ist als Jura-Praktikantin anerkannt und benutzt einen anderen Eingang. Wir mussten eine Taschenkontrolle über uns ergehen lassen. Wir durften keine Handys und noch ein paar andere Sachen nicht mitnehmen. Nachdem wir das gemacht hatten, brachte man uns in eine Warteschlange von Menschen, wo wir zuerst einmal stehen bleiben mussten. Bereits nach 3-4 Minuten wurden wir ganz am Anfang der Schlange platziert, sodass wir ohne weiteres Anstehen die Passkontrolle durchlaufen konnten. Man muss angeben, wen man besuchen möchte. In unserem Fall war das der Onkel von Beléns Freund, der bereits seit etwa 6 Jahren im Gefängnis Palmasola ist. Nach der Passkontrolle kam die nächste Kontrolle, wo wir durch ein Scanning-Gerät laufen mussten, was aber glaube ich nicht einmal an war. Danach wurden wir noch abgetastet.

Noch als wir dort wieder abgeholt wurden, kam Belén wieder zu uns. Ab dann waren wir im berühmt berüchtigten Gefängnis Palmasola in Santa Cruz de la Sierra. Im ersten Teil, in den wir besuchten, gab es vor allem Büros der Angestellten, aber auch eine große Küche und eine Bäckerei. Dort können die Inhaftierten arbeiten und so ihre Zeit mit zwei Tagen Arbeit um einen Tag verkürzen. Das, was sie dort kochen und backen, ist das Essen, das die Gefangenen gratis erhalten. Alles, was sie darüber hinaus wollen, müssen sie selbst organisieren. Von diesem Teil her sind wir in den Teil PC-4 gegangen, wo eben der wohnt, den Belén kennt. Wir haben, bevor wir gegangen sind, noch unseren Pass abgeben müssen. Danach bekamen wir den 3. und letzten Stempel auf den Arm. Die Stempel zeigen, dass wir durch die verschiedenen Kontrollen gegangen sind. Eine riesige Gruppe von Männern sahen wir, die beim Eingang herumstanden. Viele haben uns angestarrt und komisch angeschaut, weil es ja nie vorkommt, dass Touristen und dazu zwei junge Frauen hineinkommen. Wir wurden von zwei Männern, die so etwas wie eine Sicherheitsweste anhatten, abgeholt und sind in ein Büro in der Nähe des Eingangs gebracht worden. Dort haben wir etwas zu trinken bekommen. Als ich gefragt habe, wieso wir hierhergebracht wurden, hat Belén gesagt, weil die anderen beiden noch ein wenig plaudern wollen.

Gefangene organisieren sich selbst

Später hat sich herausgestellt, dass die, die uns dort begleitet haben, mit der Sicherheitsweste Gefangene sind und nicht, wie ich dachte, Bedienstete, die auf uns aufpassen sollten. Die zwei Gefangenen haben uns eine Führung im Gefängnis gegeben. Sie haben uns alles gezeigt und ein paar spannende Sachen erzählt. Eigentlich sieht es in Palmasola „ganz normal“ aus. Nicht wie ein Gefängnis, sondern wie eine eigene bolivianische Stadt. Das Gefängnis ist nicht in Hafträumen und Abteilungen aufgeteilt. Es ist eine Gefangenstadt. Es gibt eine Kirche, eine Bibliothek, ein Friseur und Restaurants bis hin zum Sportplatz, Läden und Werkstätten. Überall sieht man Leute, die ein ein wenig am Arbeiten und am Basteln sind. Viele verkaufen ihre Sachen am andere. Wir kauften ein kleines Andenken für unser „Erlebnis“ Gefängnis. Handys sind ebenso vorhanden, meistens aber nur in den Gebäuden. Sie sind nicht zu 100 % legal. Wenn man in Palmasola umherläuft, fühlt man sich wie verwunschen, teilweise sind die Sachen sogar besser intakt als in den barrios (Stadtviertel) draußen, weil es eher klein und kompakt ist. Auch Katzen, Hunde und Hühner laufen frei herum. Wenn jemand ins Gefängnis muss, kann er seine Tiere einfach mitbringen.

Wenn die Bediensteten nicht da wären, würde das Bild einer normalen Stadt verschwinden, weil sie sich kaum sehen lassen. Wir haben den ganzen Tag nur einmal jemanden vom Personal gesehen. Die Gefangenen regeln alles selbst. Sie haben eine Gruppe, die als Sicherheitsleute unterwegs sind – mit einer Weste gekennzeichnet. Teilweise gibt es Feste, Sportturniere oder Tanzwettbewerbe mit traditionellen Tänzen. Egal was, alles wird von den Inhaftierten organisiert. Während der Führung haben wir unser mitgebrachtes Brot verteilt. Am Nachmittag sind wir an einem kleinen Platz beim Sportplatz gewesen und haben gesehen, wie die Leute im Gefängnis die Zeit vertreiben, egal ob mit Fußballspielen, Musikmachen oder Dekosachen aus alten Bierdosen basteln. Denn haben wir wieder auf den Weg nach draußen gemacht. Wir haben unseren Pass abgeholt und erhielten nochmal einen Stempel, dass wir gehen dürfen.

Vergessen, dass die meisten aus gutem Grund inhaftiert sind

Später wurde uns erzählt, dass es Leute gibt, die sich im Gefängnis ein besseres Leben aufbauen, als das, was sie vorher hatten. Zum Beispiel indem eine eigene Bäckerei dort haben. Einige von ihnen möchten manches Mal länger im Gefängnis bleiben, als sie eigentlich müssten. Das Gefängnis ist eine ganz andere Welt. Der Besuch dort bleibt bei uns eindrücklich in Erinnerung. Alle Inhaftierten, die uns begegnet sind, waren nett und offen. Sie waren bereit, uns ihr „Zuhause“ und das, was sie zeigen möchten, zu präsentieren. Als wir drinnen waren, habe ich fast vergessen, dass die meisten der Gefangenen aus gutem Grund dort sind. Manchmal muss man anderen Leuten ein Lernen zugestehen und ihre Vergangenheit eben Vergangenheit sein lassen. Besonders ein paar von unseren Vorurteilen vergessen. Denn eigentlich hat jeder etwas Gutes in sich.

Maria Schmidli

 


 

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