Im Jahre 2019 hat die UNO den Internationalen Gedenktag an Opfer der Gewalt durch Religion und Weltanschauung eingeführt. Dies nahm die im Jahr 2023 geründete interreligiöse Initiative „Rad der Religionen“ in Kooperation mit Prof. Heiner Bielefeldt zum Anlass, auf dem Platz des Westfälischen Friedens in Münster zusammen mit Angehörigen unterschiedlicher Religionen den Gedenktag zu gestalten.
Der Internationale Tag zum Gedenken an die Opfer von Gewalt aufgrund von Religion oder Weltanschauung (International Day Commemorating the Victims of Acts of Violence Based on Religion or Belief) ist bislang kaum bekannt geworden; im öffentlichen Bewusstsein spielt er so gut wie gar keine Rolle. Laut Beschluss der Vereinten Nationen findet er seit 2020 jedes Jahr am 22. August statt. Es wird Zeit, diesen Gedenktag mit Leben zu füllen.
Ambivalenz des Heiligen
Dass religiöse Traditionen sowohl Gewalt- als auch Friedenspotenzial in sich tragen, ist keine neue Einsicht; schon vor Jahrzehnten sprach Scott Appleby von der „Ambivalenz des Heiligen“. Umso wichtiger ist es, aus dieser Einsicht praktische Konsequenzen zu ziehen. In einer von rapidem Verfall internationaler Rechtsprinzipien bedrohten Weltordnung manifestiert sich die Ambivalenz des Heiligen in beiden Richtungen. Religiöser Fundamentalismus und religiös aufgeladene fremdenfeindliche Identitätspolitik bedrohen religiös-weltanschauliche DissidentInnen sowie Angehörige von Minderheiten in allen Teilen der Welt. Selbst in der Kriegspropaganda spielen religiöse Motive und Autoritäten nach wie vor eine fatale Rolle; dies ist in jüngster Zeit einmal mehr offenkundig geworden.
Die friedensstiftende Bedeutung religiösen Engagements findet demgegenüber weit weniger Aufmerksamkeit. Viele der zivilgesellschaftlichen AkteurInnen, die für Menschenrechte, humanitäre Nothilfe und die Aufnahme von Geflüchteten tätig sind, engagieren sich aus religiösen Motiven. Interreligiöse Kooperation kann Tendenzen fundamentalistischer und autoritärer Verhärtung entgegenwirken. Auch bei der diplomatischen Beilegung gewaltsamer Konflikte haben religiöse Organisationen entscheidend mitgewirkt. Die Friedensappelle des Papstes oder des Dalai Lama erreichen viele Millionen Menschen. Allerdings können die Religionsgemeinschaften nur dann glaubwürdig für Frieden, Gerechtigkeit und Menschenrechte eintreten, wenn sie sich – je für sich und in interreligiöser Kooperation – ihrer eigenen Gewaltgeschichte stellen.
Religions- und Weltanschauungsfreiheit
Die beiden großen christlichen Kirchen in Deutschland setzen für die Verwirklichung der Religionsfreiheit weltweit ein. Das Engagement gilt selbstverständlich allen Menschen, nicht nur Angehörigen der eigenen Religion. Trotzdem haben die Kirchen eine besondere Verantwortung für ihre Glaubensgeschwister, die unter Bedrängung und Verfolgung leiden. Im „Ökumenischen Bericht zur Religionsfreiheit von Christen weltweit“ von 2017 heißt es: „Die Religionsfreiheit ist ein elementares und unveräußerliches Menschenrecht. Jeder Mensch soll seinen Glauben privat und öffentlich leben, Gottesdienste feiern, religiöse Riten ausüben und seine Religion wechseln können. Ebenso hat jeder Mensch das Recht, keine Religion zu haben. Die „Allgemeine Erklärung der Menschenrechte“ von 1948 formuliert dies in Artikel 18. Dennoch werden heute viele Menschen wegen ihrer Religion oder Weltanschauung bedrängt und verfolgt und können ihren Glauben nicht ungehindert praktizieren.“ Die Religions- und Weltanschauungsfreiheit zählt zu den Menschenrechten, die in der Charta der Vereinten Nationen und der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte verankert sind. Für das Jahr 2026 möchte die Initative eine öffentliche Aktion zum Gedenktag für die Opfer von Gewalt aufgrund von Religion oder Weltanschauung durchführen. Als möglicher Ort einer solchen Veranstaltung ist die Stadt Aachen im Gespräch.
Gerhard Peschers | Rad der Religionen
Heiner Bielefeldt | ehem. UN-Sonderberichterstatter für Religionsfreiheit
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Im großen Hochgebet klafft ein Loch. Ich kann nicht für Papst und Bischöfe beten. Es will mir nicht über die Lippen. Es geht nicht. Diese in jeder Messe ins Gebet genommenen, die es „aus Versehen“ mit der Wahrheit nicht so genau nehmen, die Priester von jetzt auf gleich suspendiert haben, wenn sie zu ihrer Partnerin, zu ihrem Partner standen, zugleich aber Machtmissbrauch und sexualisierte Gewalt vertuscht haben – sie machen einfach weiter, hoffen, dass man ihnen keine Fehler nachweisen kann. Und wenn doch? Kaum Konsequenzen. Niemand redet offen über priesterliche Lebensformen. Über Zölibatsschwierigkeiten und Ersatzbefriedigungen, über die missbräuchliche Macht. Die Angst vor Frauen. Über das Männerbündnische, das Sich-gegenseitig-Schützen, vielleicht In-der-Hand-Haben und Zum-Schweigen-Bringen.
Bernd Mönkebüscher (Es schmeckt nach mehr, Herder 2023) wusste das Ausmaß noch nicht, was in einem Interview von Monika Willer zur Sprache kommt: „Alle haben das Thema totgeschwiegen. Diese Jahre im Domchor waren für mich und die anderen Betroffenen ein Martyrium. Als meine Mutter mit mir zur Polizei ging, wurde ich von dem Beamten damit be-droht, dass ich ins Heim käme, wenn ich bei „Sauereien“ mitgemacht hätte. Danach habe ich geschwiegen. Ich hatte zum Teil Todesängste. Ich wusste gar nicht, was mir passierte. Die Albträume haben mich mein Leben lang verfolgt. Aber darüber wurde nicht gesprochen. Ich wurde als Ketzer und Lügner dargestellt. Erzbischof Degenhardt, der ab 1968 im Amt war, hat mir gedroht, dass er mich fertig macht, wenn ich solche Lügen in die Welt setze.“