Als der Argentinier Jorge Mario Bergoglio am 13. März 2013 zum Papst gewählt wurde schickte mir wenige Stunden danach ein Freud aus El Salvador ein Foto. Es zeigte den damaligen Leiter des Jesuitenordens, wie er Jorge Rafael Videla dem Putschisten und Vorsitzenden der argentinischen Militärjunta in den Jahren von 1976 bis 1983 die Hostie während des heiligen Abendmahls reichte.

Franziskus bei der Fußwaschung am Gründonnerstag im Rebibbia Frauengefängnis in Rom. Foto: Imago
Damals dachte ich, auch nur ein weiterer konservativer Papst, aber ich sollte mich irren. Papst Franziskus hatte ein besonderes Verhältnis zu den Gefängnissen und den gefangenen Männern und Frauen, und zeigte dies öffentlich in Bildern, Ansprachen und Interviews und vor allem durch die Tradition der Fußwaschung am Gründonnerstag, die traditionell in der Lateran Basilika an jungen Priestern vollzogen wurde. Franziskus bricht mit dieser Tradition und geht stattdessen in Haftanstalten, um Gefangenen die Füße zu waschen, und das bereits an seinem ersten Osterfest 2013. (1) Er verweigerte sich den Insignien der Macht, trug keine roten Schuhe, verzichtete auf prunkvolle Gewänder und lebte mit anderen in Gemeinschaft, und er war der erste Papst aus Lateinamerika. Wer war dieser Mann?
Jorge Bergoglio wird am 17. Dezember 1936 in Buenos Aires, Argentinien, geboren. Sein Vater ist ein italienischer Auswanderer aus dem Piemont, die Mutter Argentinierin aus Buenos Aires. Er wächst mit vier jüngeren Geschwistern auf, arbeitet als Türsteher und Hausmeister (2), macht eine Ausbildung zum Chemietechniker und tritt nach einer schweren Erkrankung 1958 dem Jesuitenorden bei. Nach dem Studium der Theologie und Philosophie in Chile und Argentinien wurde er 1969 zum Priester geweiht. Von 1973 bis 1979 war er Provinzoberer der Jesuiten in Argentinien, ab 1998 Erzbischof von Buenos Aires und 2001 wurde er durch Johannes Paul II. zum Kardinal ernannt. Jorge Bergoglio war Jesuit, Mitglied der größten männlichen Ordensgemeinschaft der katholischen Kirche, der Societas Jesu von der er selber sagte:
„An der Gesellschaft Jesu haben mich drei Dinge berührt: der Sendungscharakter, die Gemeinschaft und die Disziplin. Das mutet seltsam an, weil ich von Geburt an ein undisziplinierter Mensch bin. Aber die Disziplin der Jesuiten, ihre Art, die Zeit einzusetzen, hat mich sehr beeindruckt … Und dann etwas, das für mich wirklich fundamentale Bedeutung hat: die Gemeinschaft. Ich sehe mich nicht als einsamen Priester. Ich brauche Gemeinschaft.“ (3)
Ich selber kam das erste Mal mit Jesuiten 1977 während eines Studienaufenthaltes in Mexico in Berührung und hatte während meiner Zeit in El Salvador Kontakt mit den Jesuiten der Universidad Centroamericana Jose Simeon Cañas, die 1989 vom salvadorianischen Militär ermordet wurden. (4) Was Franziskus sagte war tatsächlich beeindruckend: „ihre Art, die Zeit einzusetzen“. Während seines Studiums war einer seiner theologischen Lehrer Lucio Gera. Gera war Befreiungstheologe, er konzipierte zusammen mit Gustavo Gutierrez das Abschlussdokument der Generalversammlung des Lateinamerikanischen Bischofsrates (Consejo Episcopal Latinoamericano, CELAM) 1968 in Medellin, Kolumbien. Damit wurde die „Option für die Armen“ zur offiziellen theologischen Präferenz der lateinamerikanischen Kirche, auch wenn nicht alle dieser Linie folgten.

Für viele PilgerInnen gehört der Einkauf von Andenken am Wallfahrtstag im bayerischen Altötting mit zum Programm: Der verstorbene Franziskus und der neue Papst Leo XIV sind dabei. (Foto: King)
Die Option für die Armen und Ausgeschlossenen, der Kontakt zu den Exkludierten, den Geringsten der Brüder und Schwestern war das Programm dieses Papstes, zusammen mit seiner Identifikation mit den Jesuiten und den von Ihnen geprägten Grundsätzen. In seiner ersten Enzyklika Evangelii Gaudium wird das Programm dieses Papstes deutlich:
„Diese Wirtschaft tötet… Es ist nicht mehr zu tolerieren, dass Lebensmittel weggeworfen werden, während es Menschen gibt, die Hunger leiden. Das ist soziale Ungleichheit. Heute spielt sich alles nach den Kriterien der Konkurrenzfähigkeit und nach dem Gesetz des Stärkeren ab, wo der Mächtigere den Schwächeren zu Nichte macht. Als Folge dieser Situation sehen sich große Massen der Bevölkerung ausgeschlossen und an den Rand gedrängt, ohne Arbeit, ohne Aussichten, ohne Ausweg.“ (5)
Allerdings bleibt für Franziskus die Option für die Armen in erster Linie eine „theologische Kategorie“ und „erst an zweiter Stelle eine kulturelle, soziologische, politische oder philosophische Frage“. (6) In der Praxis die Werke der Barmherzigkeit zu zeigen war Teil seiner Öffentlichkeitsarbeit gemäß dem Evangelisten Matthäus: „Denn ich war hungrig und ihr habt mir zu essen gegeben; ich war durstig und ihr habt mir zu trinken gegeben; ich war fremd und obdachlos und ihr habt mich aufgenommen; ich war nackt und ihr habt mir Kleidung gegeben; ich war krank und ihr habt mich besucht; ich war im Gefängnis und ihr seid zu mir gekommen.“ (Matth. 25, 35 u.36). Gott begegnet dem Menschen im Leiden der Anderen, er ereignet sich in der Zuwendung zum Notleidenden. Die Theologie erwächst nach dem Verständnis von Papst Franziskus aus der Arbeit an der Basis aus der Pastorale.
Franziskus besucht regelmäßig die Orte der Exklusion und der Ausgeschlossenen, er reist nach Lampedusa und nutzt seine weltweiten Reisen um die Gefängnisse dieser Welt aufzusuchen. Hier einige Beispiele:
- Im Juli 2015 besuchte er die Gefangenenstadt Palmasola in Bolivien. Hier teilen sich 50 Gefangene eine Zelle von 40 qm Größe. Er forderte dazu auf, die Menschen nicht in „Gute und Böse“ zu unterteilen, sondern ihnen zu helfen. (7)
- Beim Weltjugendtag in Panama besuchte er im Januar 2019 eine Jugendhaftanstalt und weist auf die katastrophalen Zustände in den lateinamerikanischen Gefängnissen hin, fordert eine „Kultur der Begegnung“ und kritisiert die Ausgrenzung von Straftätern. Und bis zuletzt, vier Tage vor seinem Tod am 21 April dieses Jahres, besuchte er noch einmal am Gründonnerstag das Gefängnis Regina Coeli in Rom.
- Im Januar 2016 war er in „Cereso 3“, der berüchtigten Haftanstalt in Ciudad Juarez, der „Bestie“, wie die Grenzstadt in Mexiko genannt wird. Der mexikanische Politologe und Kriminologe Gustavo Fondevilla hielt es für einen Geniestreich des Papstes, dass „die größte Heiligkeit der Welt an einen der schlimmsten Orte der Welt geht“. Gegenüber der Nachrichtenagentur domradio.de sagte er: „Ein Papst könnte Mexiko bereisen, ohne den Problemen zu begegnen. Er könnte Massenfeiern mit den Armen machen und dafür viel Lob bekommen. Franziskus geht einen anderen Weg. Dass er gerade ins schlimmste Gefängnis Mexikos gehe, ist eine Botschaft an alle – an die Regierung, die Gesellschaft und auch an die Kirche“. (8)
- Im Januar 2018 war er im Frauengefängnis San Joaquin in Santiago de Chile. Er ermutigte die Frauen, die Hoffnung nicht zu verlieren und sich auf die Zeit in Freiheit vorzubereiten. Und die klare Botschaft: Hier wird die Armut eingesperrt. (9)
Papst Franziskus war sicher kein Revolutionär. Die zwiespältige Rolle während der argentinischen Militärdiktatur wird bleiben, (10) die konservative Seite des vermittelnden Kirchenoberhauptes auch. Und auch die Außendarstellung als Papst der Armen steht im Gegensatz zu den gesellschaftlichen Widersprüchen, die die Institutionen der katholischen (und protestantischen) Kirche selber erzeugen. (11) Bleiben wird seine Eindeutigkeit gegenüber den Ausgeschlossenen, den Armen, den Bedürftigen und den Gefangenen dieser Welt und seine dezidierte Kritik an einem Wirtschaftssystem, das tötet. Gemäß dem biblischen Satz „Wahrlich ich sage euch: Was ihr getan habt einem dieser meiner geringsten Brüder, das habt ihr mir getan“ (Math. 25, 40) bleibt das Vermächtnis dieses Papstes, nicht nachzulassen auf der Suche nach – und der Arbeit an – einer gerechten und friedlichen Welt.
Tobias Müller-Monning, ehem. Gefängnisseelsorger JVA Butzbach
Quelle: Forum Strafvollzug 3/2025
Literatur
Bartonitschek, S. (2024): Der Knast-Papst: Das Engagement von Franziskus für Gefangene, kath.ch. Vom 25.5.2024.
Illner, M. (2025): Vom Türsteher zum Hoffnungsträger, vom 25.4.2024.
Papst Franziskus (2013): Apostolisches Schreiben Evangelii Gaudium des Heiligen Vaters Papst Franziskus, Rom, Vatikan.
Rottscheidt, I. (2014): Papst Bergoglio und die argentinische Militärdiktatur, Deutschlandfunk vom 25.08 2014.
Spadaro, A. (2013): Das Interview mit Papst Franziskus, Freiburg, Herder.
Berio, L. (2025): Morte de pape François: Un figure ambigue aux service d’une institution ultra-reacionnaire. Online Zeitschrift Revolution Permanente, vom 21.04.2025.
1 Siehe Katholisches Nachrichtenzentrum der Schweiz, kath.ch vom 25.5.2024: Der Knast-Papst: Das Engagement von Franziskus für Gefangene von Severina Bartonitschek
2 Vom Türsteher zum Hoffnungsträger, von Marie Illner 25.4.2025,Siehe hier…
3 Antonio Spadaro (2013): Das Interview mit Papst Franziskus, Freiburg Herder. Online unter Stimmen der Zeit 10/2013:
4 Der Autor war während seines Studium 1977und 1978 am Centro de Estudios Ecumenicos in Mexico D.F. und hat von 1986-1990 für die iglesia luterana salvadoreña in San Salvador, El Salvador, gearbeitet.
5 Apostolisches Schreiben EVANGELII GAUDIUM des Heiligen Vaters Papst Franziskus 2013, Punkt 53, S. 52f
6 Evangelii Gaudium, Punkt 198 S, 179.
7 Siehe katholisch.de vom Juli 2025
8 Domradio.de vom 17.2.2016 Franziskus wagt besonderen Besuch
9 Siehe Deutsche Welle vom 16.1.2018: Papst Franziskus: „Würde ist ansteckend“
10 Wer mehr über die Rolle von Jorge Bergoglio während der Zeit der Militärdiktatur in Argentinien wissen will kann hier nachschauen: Bergoglio und die argentinische Militärdiktatur von Ina Rottscheidt, Deutschlandfunk vom 25.8.2014
11 Am schärfsten und deutlichsten wird diese Kritik von linken Gruppierungen geäußert. Siehe Livio Berio, Morte de pape Francois: Un figure ambigue aux service d’une institution ultra-reacionnaire. Online Zeitschrift Revolution Permanente, vom 21.4 2025, in deutscher Sprache hier zu finden…