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Wüstenerfahrung: Und führe uns – Nicht in Versuchung

17. Februar 2024

Unmittelbar nachdem Jesus in der Taufe am Jordan erfahren hat, der geliebte Sohn Gottes zu sein, wird Jesus vom Geist in die Wüste getrieben, in die Wüste der Versuchung. So berichtet es uns das Markusevangelium und markiert den Beginn des öffentlichen Weges Jesu mit diesem existentiellen Ereignis. Auch wenn hier nicht einzelne Versuchungen benannt sind, wird doch klar, dass es um eine radikale und lebensbedrohliche Erfahrung geht.

Das Evangelium spricht von 40 Tagen und erinnert damit an den 40-jährigen Zug der Israeliten durch die Wüste. Verstörend daran ist, dass es derselbe göttliche Geist ist, der soeben noch voller Liebeserklärung war, und nun Jesus in die Wüste schickt. Da in der Botschaft des Evangeliums das, was in Jesus geschieht, zugleich für den Menschen überhaupt gilt, müssen wir annehmen, dass auch jede und jeder andere in so eine Wüste getrieben werden kann. Tatsächlich zeugen davon unsere Erfahrungen.

Schleichende oder radikale Lebensänderung

So kann in einer schweren Krise oder einer Erkrankung die Wüste der Versuchung durch eine radikale Lebensveränderung auftauchen, in der ich in Gefahr bin, das Vertrauen in das, was mich getragen hat und woran ich geglaubt habe, zu verlieren. Ich begegne solchen Erfahrungen und dem Leid, das in ihnen ist, manchmal bei Menschen in schwerer Krankheit und auch im Sterben. Die Wüste der Versuchung kann sich aber auch schleichend einstellen in einem Prozess des Entfremdens von Werten, die mir eigentlich mal als wesentlich galten. Das geschieht vor allem dann, wenn ich der Gier und dem Machtanspruch in mir die Regie über mein Denken und Tun überlasse.

Grat zwischen Segen und Fluch

Damit aber ist der Ort der Wüstenerfahrung, die diese Versuchung in sich birgt, das Leben selbst. Mehr oder weniger heftig mögen wir dies schon erfahren haben. Religiös glauben wir daran, dass Gott uns in diese Welt hinein geschaffen hat als seine Abbilder, gesegnet, um Sorge zu tragen für alles Lebendige dieser Schöpfung. Dieses Freilassen des Menschen bedeutet auch die Möglichkeit der Versuchung zu erliegen, sich selbst zum Maßstab zu machen. Diese Versuchung, so stellt die Bibel klar, kommt nicht von Gott, sondern aus dem Gebaren des Menschen. Welch schmaler Grat zwischen Segen und Fluch! Eine Dramatik von Anfang an mit der Weisung Gottes im Schöpfungsbericht: „Seid fruchtbar und vermehrt euch, macht euch die Erde untertan und herrscht…“ – heute sehen wir die Katastrophe von menschlicher Herrschaft und Unterwerfung in der Schöpfung.

Versuchungen durchstehen

Jesus widerstand der Versuchung in der Wüste, in die er unmittelbar nach der Taufe getrieben war. Und er widerstand allen folgenden Versuchungen in den Wüsten von Ausgrenzung, Hass und Unterwerfung. Sein Widerstand war gewaltlos und einladend zur Versöhnung. Ein Weg, der heute als eine Illusion völlig ins Abseits geraten scheint. So sehr scheinen wir uns daran gewöhnt, dass auf der Gratwanderung zwischen Segen und Fluch nur Letzteres möglich ist. Eingefahren in die Kreisläufe von Zerstörung sind wir in Gefahr, immer weiter am Rad zu drehen. Die Wüsten des Lebens gehören zu Gottes Schöpfung, in ihnen kann sich verwirklichen, wozu der Mensch geboren ist: ein Segen zu sein. „Und führe uns – nicht in Versuchung“: geleite uns, Gott, führe uns – und bewahre uns davor, in den manchmal so naheliegenden Versuchungen irre zu werden. Und wenn es geschieht, lass uns spüren, dass du da bist, liebender Gott!

Zum Foto

In der damaligen JVA Naumburg, in der ich meinen Dienst als Gefängnisseelsorger begann, hing am Treppenaufgang im Haupthaus ein riesiges Gemälde mit der Darstellung von Kain und Abel kurz nach dem Mord; Kain flieht bestürzt. Erst dachte ich: das ist ja heftig belehrend für die Strafgefangenen. Aber dann wurde mir bewusst, dass an diese Stelle kaum einer von denen kam, es war der Weg in die Verwaltung für die leitenden Diensthabenden und jene, die zu offiziellen Empfängen eingeladen waren. Die Botschaft war also: ihr, die ihr hier (noch) nicht einsitzt, schaut auf das, was ihr tut!

Christoph Kunz | Mk 1, 12 – 13 

 

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