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Wenn alles zusammenbricht: Licht im Leid sehen?

16. November 2024

Passend zum Novembergrau zeigt sich die Bibelstelle des Markusevangeliums in den letzten Tagen des Kirchenjahres. Von Drangsal ist die Rede, dass die Sonne verfinstert ist und der Mond nicht mehr scheint, dass die Sterne vom Himmel fallen und die Kräfte des Himmels erschüttert werden. Eine apokalyptische Endzeitstimmung in Erschütterung und Orientierungslosigkeit.

Ein Evangelium, das in unseren Tagen nicht nur vom Novemberwetter untermalt wird, seine Stimmung findet sich besonders im Erleben des Weltgeschehens. Frieden, Freiheit, Gerechtigkeit, Demokratie, Sicherheit – all diese Werte sind tief erschüttert. Politische Ordnungen und bisher tragende Systeme sind brüchig geworden. Manche Kirchen und religiöse Gemeinschaften schotten sich derweil ab in eine vermeintlich heile Binnenwelt, andere radikalisieren sich in ideologischen Spaltungen. Wirkliche spirituelle Hilfe ist weder auf dem einen noch auf dem anderen Weg möglich. Es ist, wie wenn alles zusammenbricht. Eine Erfahrung, die uns auch persönlich erreichen kann, wo immer das, was bisher hielt, auseinanderbricht. Menschen in der Klinik mit schwerer Erkrankung sagen mir: ich habe doch so gut gelebt, warum bricht jetzt diese Krankheit in mir aus, was habe ich falsch gemacht? Religiöse Menschen fügen manchmal hinzu: Warum straft mich Gott?

Im Leid das Licht sehen

Im Evangelium wird das Zusammenbrechen aller bisherigen Sicherheiten als ein Zeichen für das Ankommen Gottes im Menschen gedeutet, denn es heißt: „Dann wird man den Menschensohn in Wolken kommen sehen, mit großer Kraft und Herrlichkeit“. Das Besondere dieser Botschaft und zugleich das Herausfordernde ist, dass das Zusammenbrechen nicht im Gegenüber zu einer göttlichen Wirklichkeit steht, sondern deren Ursprung ist. Erst die Erfahrung des Zusammenbrechens selbst offenbart eine Öffnung wie einen Spalt, durch den schon Licht leuchtet. In der Weisheit der Bibel ist der Glaube an Gott nicht eine Vertröstung in ein Jenseits des Leids, sondern die Ermutigung, im Leid das Licht schon zu sehen.

Zuversicht in das Leben

Hoffnung ist nicht das schöne Bild unserer Ansprüche, wie das Leben eigentlich zu sein hätte. Hoffnung ist die Zuversicht in das Leben, wie es ist. Sie ist die Fähigkeit, durch die Oberfläche unserer Ängste und Wünsche tiefer die Wirklichkeit des bereits Werdenden, Keimenden zu sehen – wie in Jesu Gleichnis des Feigenbaumes. Die befreiende Wirklichkeit Gottes, im Bild des Evangeliums das Ankommen des Menschensohnes, ist „nahe vor der Tür“. Die Tür aber, durch die diese Wirklichkeit in das eigene Erfahren hineinkommen kann, ist das Erkennen im Angesicht des Leids: da ist mehr als das Leid. Und dieses „mehr“ ist bereits in uns, will von da aus wirken, will den vielleicht noch so kleinen Lichtspalt öffnen, Raum schaffen und Weite.

Mitgefühl an Bruchstellen

Pema Chödrön, Meditationsmeisterin in der Tradition des tibetischen Buddhismus, schreibt: „Das Leben ist ein guter Meister und ein guter Freund. Wenn wir nur realisieren würden, dass die Dinge sich in einem ständigen Übergang befinden. Nichts ergibt sich und bleibt so, wie es ist. Der Zwischenzustand ist eine ideale Situation, in der wir nicht feststecken und die es uns erlaubt, unser Herz und unseren Geist grenzenlos zu öffnen.“ Wie diese alte buddhistische Weisheit ermutigt auch das Evangelium Jesu und jede unseren Dualismus im Denken aufhebende Spiritualität die Erfahrung des Zusammenbrechens anzuerkennen und zu würdigen als eine, in der zugleich Dunkel und Licht ist, Leid und die Möglichkeit, dieses zu überwinden. Den Weg dahin beschreibt die ganze Bibel eindrucksvoll als einen langen und schmerzhaften menschlichen Weg vom „Auge um Auge und Zahn um Zahn“ bis hin zum Gebot Jesu, den Feind zu lieben. Begehbar ist der Weg im Mitgefühl, das wir uns selbst und einander schenken an den Bruchstellen des Lebens.

Christoph Kunz | Markus 13, 24 – 32

 

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