Der Prophet Johannes der Täufer ist eine tragische Gestalt. Wer wie er die Herrschenden als Heuchler entlarvt und sie ganz undiplomatisch „Schlangenbrut“ nennt, muss mit Verfolgung und Bestrafung rechnen. So landet der, der gerade noch am Jordan viele Menschen mit der Botschaft des ankommenden Menschensohnes begeisterte und sie taufte, jetzt einsam und allein im Gefängnis. Und keiner hilft ihm daraus, noch nicht einmal Jesus.
Was ist denn aus seiner großen Verheißung geworden? Unbeholfen lässt er fragen: ist dieser Mensch aus Nazareth, der Sohn der Maria und des Josef, wirklich der Menschensohn, oder müssen wir auf einen anderen warten? Da bekommt er auf seine bange Frage noch nicht einmal ein klares Ja oder Nein zu hören. Es wird ihm berichtet von einzelnen Heilungen und auch Totenerweckungen, aber ob das stimmt und ob damit nun wirklich die neue verheißene Heilszeit beginnt, bleibt unklar. Schließlich wird Johannes der Täufer Opfer eines Machtspiels der Herrschenden und im Gefängnis getötet. Was er angekündigt hatte, konnte er zeitlebens nicht erleben.
Zugunsten der Taube auf dem Dach
Die Erfahrung des Johannes ist, wenn auch nicht immer so extrem wie beim Täufer, die Erfahrung jedes Menschen, der hofft und glaubt. Bauen wir doch in den schwierigen Herausforderungen des Lebens auf etwas, das noch nicht ist. Wir geben uns glaubend einer unfassbaren Verheißung hin, während wir mit einer Wirklichkeit zurechtkommen müssen, die alles andere als heilvoll ist. „Müssen wir nicht oft, wenn wir wahrhaft Christen sein wollen, mit der Torheit Gottes den Spatzen in der Hand auf Erden fliegen lassen zugunsten der Taube auf dem Dach des Himmels?“ (Karl Rahner). Dem Evangelium Jesu folgend glauben wir an das Gute im Menschen. Selig die ein reines Herz haben, heißt es da – nicht zu täuschen und zu betrügen in einer Welt, in der es darauf ankommt, ein gutes Geschäft, einen Deal zu machen, bedeutet oft genug, den Kürzeren zu ziehen.
Heil als ein Schimmer des Ganzen
Selig, die keine Gewalt anwenden – wenn aber angesichts der Kriege nur noch Gegengewalt als einziges Mittel erscheint, wird Gewaltlosigkeit zu einer gefährlichen Träumerei. Und was ist mit Barmherzigkeit und Sanftmut, was mit Versöhnung in all den schwierigen Auseinandersetzungen? Wenn ein Mensch plötzlich schwer erkrankt und nach dem Warum fragt – wie weit trägt dann der Glaube, trotz alledem aufgehoben und geliebt zu sein? Und wenn ein Mensch stirbt, wie kann er hoffen, jenseits des Todes doch Auferstehung zu erfahren – trotz allem Scheitern? Vielleicht erleben wir in solchen Situationen vereinzelt stärkende und heilende Begegnungen, doch sind sie nur augenblicklich und vergänglich. Irgendwann ist wie bei Johannes Schluss, und wir können nur hoffen und glauben, dass das bisschen Heil, das wir zwischendurch erfahren haben, wenigstens der Schimmer eines Ganzen sei. So wie wir in windiger Dunkelheit zaghaft eine Kerze anzünden, hoffend, dass das flackernde Licht nicht sofort wieder ausgelöscht wird. Insofern geht es uns wie Johannes: wir sitzen mit unserer Hoffnung und unserem Glauben im Gefängnis der Bedingtheiten dieser Welt, des immer neuen Scheiterns, der immer neuen Fragen, der tiefen Verunsicherungen, der Gewissheit, zu sterben.
Trotzkraft des Glaubens
Johannes hat trotzdem geglaubt. Die Trotzkraft ist, was den Glauben auszeichnet, und die ist ziemlich verrückt. Sie lässt in dem, was geschieht eine andere Perspektive zu, einen offenen Blick, die Annahme eines Mehr. Glaubend überlässt du dich in all den Brüchen des Lebens der Annahme eines letzten und bereits jetzt wirkenden Aufgehobenseins, du überlässt dich dem zugleich unfassbaren und unmittelbaren Geheimnis des Lebens, das wir Gott nennen. Und diese Hingabe ist nicht passiv, sie ermöglicht, im Hier und Jetzt zu sein, ohne in Angst oder Hilflosigkeit zu erstarren. Das klingt ganz groß und ist auch so. Dabei geschieht es alltäglich, oft ohne besondere Beachtung. Schon wenn du dich immer wieder neu einlässt in das alltägliche Auf und Ab, wenn du bei all den Hiobsbotschaften in den Nachrichten noch mit Freundlichkeit vor die Tür gehst, wenn du bei all den Ansprüchen, die dich treiben, noch die Ahnung lebst, dass Leben ein Geschenk ist, wenn du im Loslassen spürst, gehalten zu sein. Glaube ist adventlich leben; feiern wir in dieser Zeit bewusst jedes kleine Trotzdem, zu dem wir den Mut haben in dieser Welt.
Christoph Kunz | Matthäus 11,2-11, 3. Advent





