In einer biblischen Erzählung wird appelliert: „Kehrt um! Denn das Himmelreich ist nahe“. Der Aufforderungsruf des Propheten Johannes des Täufers aus der Wüste, oder wörtlich übersetzt: aus der Ödnis, gehört alljährlich in der Adventszeit zu den biblischen Texten. Immer wieder gerät dieser wie ein Zwischenruf in die vorweihnachtliche Zeit, in der doch eigentlich alles nach vorne treibt, hin zum harmonischen Lichterfest und dem Beginn des neuen Jahres.
Viele Menschen, so erzählt das Evangelium, zogen hinaus zu Johannes, ihn zu hören und zum Zeichen der Umkehr sich von ihm im Jordan taufen zu lassen. Die Sehnsucht nach etwas anderem, nach mehr als dem alltäglichen Getrieben Sein, die Sehnsucht nach Heil und Heilung, nach Glück und Frieden ist eine tiefe menschliche Sehnsucht, zur Zeit des Johannes wie heute. So galt dieser Täufer mit seinem Gewand aus Kamelhaar, von Heuschrecken und wildem Honig lebend, für viele wie ein Heilsbringer. Auch wegen seiner mutigen Worte, besonders gegen die mächtigen religiösen Führer, die mit ihrer richtenden Unbarmherzigkeit ohnehin nicht beliebt waren.

Zeichnung eines Gefangenen „Pilgrim of Hope“
Heilsbringer auf den Leim gehen
Die Sehnsucht nach einer anderen Welt ist zutiefst menschlich, sie gehört sozusagen in unsere DNA seit Erschaffung der Welt: sind wir doch biblisch gesprochen ein für alle Mal aus dem Paradies hinausgeworfen ins Leben, ausgeliefert seinem ständigen Auf und Ab im Werden und Vergehen. Da liegt es nah, immer wieder neu nach Heilsbringern zu suchen – und ihnen auf den Leim zu gehen. Heilsbringer versprechen schnelle und einfache Lösungen, sie versuchen Menschen in die Opferrolle zu bringen, um ihnen die Regie für ihr Handeln zu nehmen, sie verwenden einfache Parolen, Sprüche, die man sich leicht merken kann, die Komplexität und Vielfalt der Wirklichkeit ist ihnen zu bunt, sie beengen die Weite des Denkens in das Schwarz-Weiß des Entweder-Oder. Solche Heilsbringer sind in der Politik unterwegs und auch in den Religionen und finden hier wie da ihre Opfer. Dabei versprechen sie ihnen das Blaue vom Himmel oder tun sie sich hervor als Konservierer einer vermeintlich goldenen Vergangenheit.
Eigene Verantwortung wahrnehmen
Johannes der Täufer aber war kein Heilsbringer. Den Leuten, die Heil erhoffend zu ihm kamen, rief er zu: Kehrt um! Das lässt innehalten im Drang, irgendwo anders hinzukommen. Das eigene Unterwegssein ist unterbrochen im Anhalten und neu Hinschauen. So macht der Ruf zur Umkehr die angesprochene Person nicht zum Opfer irgendeines Heilsbringers, vielmehr wird sie in der eigenen Verantwortung aufgerufen. „Denn das Himmelreich ist nahe“ – die Motivation, innezuhalten und sich neu aufzumachen, besteht nicht aus markigen Parteiprogrammen oder Glaubenssätzen für Auserwählte, sondern gründet in der Zusage, dass schon jetzt, mitten in der Ödnis, eine ganz andere, nicht menschengemachte, aber in alles Menschliche heilvolle Wirklichkeit im Kommen ist. Weder eine fanatische Überhöhung der eigenen Ideale noch eine Vertröstung ins Jenseits gelten, nur das Erkennen und Annehmen der Gegenwart als einer in ihrer ganzen Bedingtheit und Gebrochenheit bereits aufgebrochenen Wirklichkeit.
Göttliches Ankommen in uns
Johannes ruft in die Gegenwart und relativiert diese zugleich. Nur im Hier und Jetzt ist Umkehr möglich, denn jeder neue Weg kann nur werden, wenn er jetzt beginnt – und zugleich muss das, was jetzt ist, losgelassen sein, um sich wirklich aufzumachen. Für Johannes war dieses Wagnis, zugleich anzunehmen wie loszulassen, tragfähig und heil voll, denn er wusste sich darin aufgehoben im Ankommen eines Größeren: Gott selbst würde im Loslassen des Menschen die alles wandelnde Kraft sein. Einer der Jüngerinnen und Jünger des Johannes war Jesus von Nazareth, auch er ließ sich am Jordan taufen. Christsein führt, so erzählt es das Evangelium des zweiten Adventsonntages, in diese Umkehrbewegung des Johannes, die dazu aufruft, sich nicht täuschen und fanatisieren zu lassen von politischen wie religiösen Heilsbringern, sondern wachsam und mutig alles sich jetzt groß Gebärende zu relativieren, um stets die Tür offen zu halten für das, was bereits im Ankommen ist, Gottes bedingungslos geschenkte Liebe. Diese dann in menschlicher Güte schon jetzt zu leben, bedeutet den Weg des Jesus von Nazareth zu gehen. Umkehr ist biblisch nie ein Zurück, Umkehr ist liebevoller Neubeginn – und der ist jederzeit möglich.
Christoph Kunz | Matthäus 3, 1-12 | 2. Advent





