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Weiter auf roten Teppichen der Kirche gehen?

29. März 2021

Einmal auf dem roten Teppich sein. Wie schön wäre das! Im Mittelpunkt zu stehen, beachtet und geachtet. Im Fokus der Kameras. Das kennen wir von den Filmfestspielen. Der rote Teppich ist Kult. Egal ob die Oscars, die Berlinale oder andere Filmfestspiele: vor der Verleihung der Preise wird der berühmt-berüchtigte rote Teppich ausgerollt. Stars und Sternchen präsentieren sich darauf in feinster Robe und lassen sich von der Presse fotografieren und geben Interviews.

Die Geschichte des roten Teppichs geht bis ins alte Griechenland zurück. Die erste Erwähnung ist wohl in der griechischen Geschichte ,,Agamemnon”. Dieser gewann den trojanischen Krieg. Zur Feier dieses Anlasses rollte seine Frau bei dessen Ankunft einen langen roten Teppich vor dem Palast aus, um ihn gebührend zu empfangen. Die Tradition mit dem roten Teppich ist dazu da, bestimmte Personen zu ehren und zu feiern. Die Musik- und Filmbranche hat sie übernommen. Rot gilt als die Farbe der Götter. Wen vergöttern wir heute? Der Chefredakteur des Online Magazins Kirche + Leben, Markus Nolte, schreibt zur Karwoche: “ Stell Dir vor, es ist Palmsonntag, und keiner geht hin. Nicht, weil zu viele Leute an einem Ort keine gute Idee in Corona-Zeiten sind. Sondern weil uns keiner mehr glaubt, dass uns ein Esel und dahin geworfene Palmzweige genügen für unser Ideal von Macht. Weil uns keiner mehr abnimmt, dass wir rote Teppiche, politisches Kalkül und klerikal-höfisches Gehabe nicht brauchen, um in der Nachfolge dessen, der da in Jerusalem einreitet, Kirche zu sein.“

Inhaftierte Jugendliche würden gerne einmal auf einen roten Teppich gehen. Im Gottesdienst der JVA Herford entzünden sie symbolisch Kerzen.

An Bedeutungslosigkeit gewonnen

Damals wie heute breitet man schnell den roten Teppich aus. Jubelt Menschen zu, die beeindrucken. Die Akteure der Kirche kommen mit speziellen Kleidern daher. Mitra und Bischofsstab. Zeichen ihrer Macht, die keine mehr ist. Jesus als der König reitet ohne Machtattribute in die Stadt Jerusalem. Der Esel ist Symbol genug. Der Jubel der Leute ist schnell verhallt. Trotz aller Kritik an der Katholischen Kirche sind Menschen, die innerhalb und außerhalb dieser Gemeinschaft sind, oft begeistert vom Prunk und Glitzer der Messen sowie der Kathedralen längst vergangener Zeiten. Trotzdem haben die Kirchen an Bedeutungslosigkeit gewonnen. „Stell Dir vor, es wird Gründonnerstag gefeiert und niemand geht hin.“ Nicht weil die Menschen auf keinem roten Teppich empfangen werden, sondern weil die Rituale und Sprache keiner mehr versteht. Die Botschaft Jesu ist so einfach und simpel: Nicht moralisierend und besserwisserisch, sondern mitfühlend und begleitend in den Lebenswirklichkeiten.

Farbe Rot als Spiegel

Der rote Teppich ist längst eingerollt. Menschen verabschieden sich innerlich und konsequent aus der Männer dominierenden Kirche. Minderheiten rebellieren: Maria 2.0, eine Mehrheit der Frauen in der Kirche, die als Minderheit behandelt wird und Widerständler zur Absage der Segnung gleichgeschlechtlicher Paare. Die Farbe Rot wird als Spiegel vorgehalten: Bis hierher und nicht weiter! Doch was ändert es? Die Machtstrukturen bleiben. Sie werden gestärkt durch diejenigen, die zwar kritisch sind, aber weiterhin sich in der Kirche beheimatet sehen. Im Dialog bleiben wäre ein gutes Motto. Schön, aber wo und wie kommt dieser auf Augenhöhe zustande? Stell Dir vor, es will keiner mehr über Zölibat, den Zugang von Frauen zu kirchlichen Weiheämtern, das Kommunionverständnis oder die herkömmliche Lehre und Praxis hinsichtlich der wiederheirateten Geschiedener reden. „Stell Dir vor, es ist Karsamstag, und keiner geht hin. Weil uns keiner mehr glaubt, dass Gott womöglich schweigt, nicht da ist, jedenfalls nicht nur so, wie und wo er laut Lehre sein soll. Weil uns keiner mehr abnimmt, dass wir trotz Katechismus und Glaubenskongregation im Letzten vermutlich eher sehr wenig über unseren Gott wissen“, so Nolte in seinem Text zur Karwoche.

Mein eigener roter Teppich

Der Leidensdruck weniger kirchentreuer Menschen ist groß. Doch man leidet gerne. Man hat etwas, wofür es sich lohnt, sich einzusetzen. Kämpferisch sein. Was wären wir, wenn all die Aufschreie, all die leisen und prophetischen Stimmen nicht wären? Ja, dann sähe es noch düsterer aus. Für etwas kämpfen bringt Kraft mit sich. Viele Leidensgenossen werden gefunden. Schöne Worte werden gesagt. Sogar Mitstreiter und Unterstützer für eine andere Kirche gibt es im Bischofsamt. Hochachtung vor den Kämpferinnen und Kämpfern. Es sind Feuer, die leider schnell gelöscht werden. Was wäre, wenn Priester, Bischöfe und einfache Leute ihren Weg gehen ohne sich darum zu kümmern, ob dies oder jenes erlaubt ist oder nicht. Die Praxis wird die Theorie einholen. Eine wahrhafte Auferstehung wird es auf Knopfdruck nicht geben. Aus der beruflichen Erfahrung weiß ich, dass ich kein Machtsystem (mehr) verändern kann und will. Meinen Blickwinkel kann ich verändern und leben, was ich mit meinem Gewissen vereinbaren kann. Das ist mein eigener roter Teppich. Beifall werde ich nicht bekommen, dafür im Kleinen erfüllte Lebensmomente, die tragen. „Stell Dir vor, es ist Ostern, und keiner geht hin. Weil uns keiner mehr glaubt, dass wir der Fülle des Lebens verschrieben sind. Weil wir zwar das Leben schon vor der Geburt und am Ende mit Pathos verteidigen, aber zu wenig leidenschaftlich das lieben, was dazwischen – und zwar ziemlich bunt – ist, lebt und leben dürfen will“, so enden die Worte des besagten Textes von Nolte.

Michael King | JVA Herford

 

1 Rückmeldung

  1. Norbert sagt:

    Beim Zitat „Weil uns keiner mehr glaubt, dass wir der Fülle des Lebens verschrieben sind“ fällt mir der seltsame Umstand ein, dass in einigen traditionell christlichen Ländern (etwa Italien, dem Vatikan, der Schweiz, im anglo-amerikanischen Raum und dort wo die christlich-orthodoxe Religion vorherrscht in Osteuropa und am Balkan) die körperliche Bestrafung von Kindern noch nicht verboten ist (siehe dazu die Wikipedia Seite „Child corporal punishment laws„). Bin auf diesen Umstand durch die Religionssoziologin Victoria Rationi aufmerksam geworden („Religiophobia“ und „Das Religionsparadox“). Da fängt man doch zu Zweifeln an …

    MfG Norbert

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