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Gefängnisseelsorge mit vielen Freiheiten

11. Oktober 2019

Der Gefängnisseelsorger soll für alle da sein – nicht nur für die Inhaftierten. Diesen berechtigten Wunsch hören GefängnisseelsorgerInnen im Antrittsgespräch aus dem Mund des Anstaltsleiters oder auch schon bald in den ersten Gesprächen mit dem Vollzugspersonal. Aus diesem Wunsch spricht das Erleben, dass die Seelsorger sich überwiegend um die Gefangenen kümmern, aber den Nöten der Bediensteten nicht annähernd dieselbe  Aufmerksamkeit schenken. Als Vertreter der Kirche haben wir für alle dazusein, für die „Schlüsselträger“ und die „Schlüssellosen“.

Eine Position zwischen allen Stühlen. Vermutlich hat außer den Sicherheitsinspektoren und dem Anstaltsleiter niemand sonst mit solcher Selbstverständlichkeit so einen Bewegungsfreiraum wie die Anstaltsseelsorger, die sich täglich zwischen den vielen verschiedenen Häusern, zwischen Straf- und U-Haft, Sicherheitstrakt, Verwaltungsgebäude, Männer- und Frauenhäusern hin- und herbewegen. Als Schnittstelle zwischen Drinnen und Draußen hilft der Seelsorger bei Kontakten zwischen Inhaftierten und deren Familien und den Angehörigen wie auch als Kontaktperson zwischen Kirche auf beiden Seiten der Mauern/Zäune.

Besprechung in der JVA Münster.

In den Augen des Vollzuges erwecken die vielen Freiheiten, mit denen die Rolle verbunden ist, auch Neid und Misstrauen. So wird manchmal die Gefängnisseelsorge als Schlupfloch für Sexualstraftäter angesehen, weil sie die letzte Möglichkeit zu einem offenen Gespräch darstellt. Auch das gelegentliche Geben von Tabak kann das Bild der Seelsorger verfälschen. Die Seelsorger kommen und gehen unkontrolliert: „Was tun die denn eigentlich?“ mag sich so mancher Beamte fragen. Die Seelsorger hören sich täglich die Klagen und Beschwerden der Inhaftierten über den Vollzug an. Nach einer langen Zeit im Gesprächszimmer sprechen sie vielleicht noch ein paar Minuten mit einem Beamten. „Haben die möglicherweise auch über uns, über mich gesprochen?“ phantasiert dann eventuell so mancher Gefangene oder umgekehrt auch der entsprechende Vollzugsbedienstete.

Es ist da nicht immer leicht, unbefangen aufeinander zuzugehen. Seelsorger beschäftigen sich vorrangig mit den Inhaftierten, sie hören viel und behalten es für sich, sie stehen unter Schweigepflicht: Das macht sie vielleicht auch etwas unheimlich. Sie gehen, wohin sie wollen, und bieten den Gefangenen Freiräume an: im geschützten Einzelgespräch, in der Gruppe, im Gottesdienst. Die Angst ob der vielen Freiheiten, über die sie verfügen und die sie bieten können, lässt sie in den Augen des Vollzuges auch zu einem Sicherheitsrisiko werden. Die Rechte, mit denen Anstaltsseelsorger ausgestattet sind, sind für die einen Anlass für Ängste, Sorgen und Verschlossenheit, für die Inhaftierten bieten sie Anlass für viele Hoffnungen, was so ein Seelsorger nicht alles für sie erreichen könnte.

Pauschal haben Gefangene an den Vertreter der Kirche die Erwartung, hier einen Menschen mit viel Verständnis, Geduld, Mitfühlen für allen Kummer, einen der nicht verurteilt, anzutreffen. Sie wissen, dass die Seelsorger der Schweigepflicht unterliegen, und so genießen sie erst einmal einen großen Vertrauensvorschuss. Das ist sehr viel. Das Vertrauen, das den Seelsorgern Inhaftierte entgegenbringen, ist kostbar und sehr schutzbedürftig.

Aus: Seelsorge im Gefängnis. Norddeutsche Konferenz

 

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