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Verklärte Advents- und Weihnachtszeit. Wie sonst auch?

23. November 2020

Ein Christbaum in einer Abteilung der Justizvollzugsanstalt Essen.

Das Weihnachtsfest im Knast feiern? Für manche jährt sich dieses Fest hinter den Mauern bereits mehrmals. Diese Erfahrung dürften im Corona-Jahr die Menschen „draußen“ ebenso machen. Im immerwährenden Lockdown der Justizvollzugsanstalt ist man es schon gewohnt, nicht mit den Familienangehörigen zusammen zu sein. Auf der anderen Seite ist Weihnachten ein verklärtes Fest. Die Tradition hat sich in den Jahrhunderten verändert. Und trotzdem schauen viele wehmütig auf dieses Lichterfest.

„Wie soll ich mit den Gefangenen eine Weihnachtsfeier gestalten, wenn ich als Bedienstete Maske tragen muss?“, so fragt sich eine Justizvollzugsbeamtin im Dienstzimmer. Sie regt sich auf, dass die KollegInnen untereinander keine  Feier machen können, aber sie mit den Gefangenen eine Weihnachtsfeier organisieren soll. „Wenn es nach mir ginge, soll man alles – wie draußen auch – einstellen. Stattdessen kommen ehrenamtliche MitarbeiterInnen weiterhin einzeln für Freizeitmaßnahmen in die JVA“, so sprudelt der Unmut der Bediensteten heraus. Weihnachten ist hinter Gittern eh schon belastend genug. „Wegen mir brauchen die keine Christbäume aufzustellen“, beschwert sich ein junger Inhaftierter. „Das erinnert nur zu sehr…“, sagt er.

Der Fernseher ist das „Guckloch“ zur Welt aus dem Knast heraus. In der JVA Karlsruhe hat ein Künstler eine solche Krippe gestaltet. Der Ochs ist der „Paragrafenreiter“.

Tatsächlich werden in jeder Abteilung schon zu Beginn der Adventszeit Christbäume aufgestellt. Nicht nur aus Plastik, sondern echte Tannen mit Lichterketten. Deko-Geschenke liegen zudem bereits unter dem Baum. Es sind leere Schachten mit Geschenkpapier verpackt. Weihnachten regt Sehnsüchte und Emotionen: Einmal lichtvoll die Welt erleben, einmal ein friedvolles Fest feiern. Dabei haben die meisten der Gefangenen ein Familienbild, dass weder friedfertig ist noch realitätsnah. Zu viele Probleme gibt es in meiner „family“, sagt Dennis, ein 23 jähriger, der wegen Körperverletzung verurteilt ist. „Ich wäre eh nicht zuhause (wenn ich draußen wäre), sondern am chillen mit meinen Kumpels draußen“, fügt er hinzu.

Weihnachten wird viel zu hoch gehängt. Draußen geht voraussichtlich angesichts der Corona-Pandemie der „Locktown light“ weiter. Damit wir das schöne Weihnachtsfest unbeschwert feiern können? Ein Virologe rät gar, eine Woche vorher freiwillig in Quarantäne zu gehen, damit man mit den Großeltern feiern kann. Der brandenburgische Ministerpräsident mahnt an, dass „volle Kirchen nicht angesagt sind, während die Restaurants geschlossen bleiben.“ Kirchengemeinden planen die Christmetten mit Reservierungen. Das ist dann so ähnlich, wie wenn ich ein Festessen in einem noblen Lokal bestelle. Eigenartig, dass an Weihnachten die Kirchen voll sind und sonst nicht. Kommen all die U-Boot Christen, für die dies vor „der Bescherung“ dazugehört?

Die Deutsche Psychotherapeuten Vereinigung (DPtV) hat Empfehlungen formuliert, die dabei helfen sollen, mit Gefühlen von Hilflosigkeit umzugehen. „Wenn ich an Weihnachten nicht in die Kirche kann, fehlt etwas“, sagt eine Passantin auf der Straße ernst. „Ich hab es nicht so mit Kirche, aber die Münstersängerknaben singen immer so schön.“ Die psychologische Psychotherapeutin Christina Jochim sagt: „Traditionen und Rituale dienen aus psychologischer Sicht dazu, gemeinsame Verbindungen und Identität zu schaffen und zu stiften und damit Orientierung zu geben. Und wenn genau das wegfällt, ist das eine Belastung“. Da können die Menschen von den Gefangenen einiges lernen. Weihnachten ist eine willkommene Abwechslung. Es gibt ein besseres Essen und vielleicht bekommt man von der Gefängnisseelsorge sogar noch eine Weihnachtstüte mit Tabak?

Als Gefängnisseelsorger kommt man kaum gegen solche Erwartungen der Inhaftierten an. Die Seelsorge soll am Fest des Friedens alles für sie als Gefangene tun. „Weihnachten ist das ganze Jahr, nicht nur Ende Dezember“, sagt ein evangelischer Gefängnisseelsorger. Die Botschaft der Geburt Christi kommt ins Hintertreffen ob dem ganzen Glitzerglanz. „Vielleicht ist es im Corona-Jahr gut zu erleben, dass es auch ohne Weihnachtsmärkte und Weihnachts-Mützenpartys geht. Vielleicht kann dadurch die einfache Botschaft der Geburt vor den Toren Bethlehems nachgespürt werden. Eine gute Idee hat eine Kirchengemeinde im Taunus. Sie feiern Waldweihnacht draußen. Wie damals – in aller Einfachheit.

Im Gefängnis ist Einfachheit „ganz normal“. Ein wenig Wehmut hier und da, aber im Gesamten ist es ein Sonntag wie jeder andere auch. Etwas ist in machen Justizvollzugsanstalten anders. Die Gefangenen können eine echte Kerze an Weihnachten bis zum Dreikönigsfest für ihren Haftraum bekommen. Als Symbol für hoffnungsvolle Neugeburten in ihrem Leben. Doch manche JVA vor Ort verbietet auch dies wegen der Brandgefahr. „Das Weihnachtsfest ist weniger hektisch hinter Gittern“, sagt der Gefängnisseelsorger Frank Ottofrickenstein von der JVA Münster. In anderen Justizvollzugsanstalten werden für Gefangene Weihnachtstüten wie in der JVA Meppen gepackt. „Das müssen wir aber anders als gewohnt machen“, sagt der Gefängnisseelsorger Heinz-Bernd Wolters.

Michael King | JVA Herford

 

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