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Inhaftierter: „Aber meine Schuld wird mich begleiten…“

17. November 2025

Im 16. Jahrhundert wurde der Buß- und Bettag auf kaiserliche Anordnung eingeführt. Gemeinschaftliches Beten und Fasten sollte Notsituationen abwenden. 1995 wurde der Bußtag zur Finanzierung der Pflegeversicherung als gesetzlicher Feiertag abgeschafft. Trotzdem lädt dieser Gedenktag ein zum Innehalten, Nachdenken über das eigene Leben und die Beziehung zu Gott sowie eine mögliche Neuorientierung. Ein Interview mit einem Inhaftierten der JVA Gelsenkirchen zum Bußtag.

Wie denkt ein Mensch über Schuld, Vergebung und Neuanfang, der rechtskräftig verurteilt eine Haftstrafe in der Justizvollzugsanstalt (JVA) Gelsenkirchen verbüßt? Welche Auswirkungen hat die Haft auf Sie?
Am Anfang habe ich es sehr schwer gehabt. Die ersten Wochen in Haft waren traumatisch für mich, denn ich wusste absolut nicht, wie es weitergehen sollte. Zudem konnte ich mich einfach nicht in den Knastalltag einfügen. Inzwischen sehe ich auch positive Seiten der Haft. Ich bin ruhiger und offener geworden und habe die Zeit hier drinnen genutzt, um über mich nachzudenken. Ich beharre nicht mehr auf meinem Standpunkt, sondern kann die Meinung des Gegenübers akzeptieren. Die Haft hilft auch ungemein, nicht nachvollziehbare Entscheidungen, mit denen man als Gefangener regelmäßig konfrontiert wird, erst einmal zu „überschlafen“.
Was hilft Ihnen, die Haftzeit zu überstehen?

Zeit meines Lebens hatte ich immer schon ein gewisses Gottvertrauen und das Bewusstsein, dass es für mich irgendwie weitergeht. Ich spreche zwar keine langen Gebete, aber über den Tag gibt es immer mal wieder einen kurzen Gedanken an Gott und den festen Glauben, dass Er ein Auge auf mich wirft. Die wöchentlichen Chorproben und die Gottesdienste sind das absolute Highlight und unverzichtbar für mich, denn dort finde ich Ruhe und lade meinen Akku für die kommende Woche wieder auf. Die Gebete und die Lieder tragen mich durchs Wochenende. Ansonsten singe ich im Kirchenchor und engagiere mich als Lektor in den Gottesdiensten.

Schuld. Buße. Vergebung. Was bedeuten diese Begriffe für Sie?

Ich hatte ja mit allen von mir geschädigten Personen zuvor persönliche Begegnungen, und die Menschen haben mir absolut vertraut und mir ihr persönliches Eigentum anvertraut.
Im Rückblick bin ich selber fassungslos über mich, was ich angerichtet habe. Ich habe Menschen emotional zutiefst verletzt. Und ich weiß, ich werde es nie mehr gutmachen können. Wenn ich darüber grübele, komme ich immer wieder an Tiefpunkte. Ich habe nur eine Zeitstrafe; irgendwann bin ich frei. Aber meine Schuld wird mich mein Leben lang begleiten. Wenn ich könnte, würde ich meine Taten ungeschehen machen.

Wie wirken sich Tat und Haft auf Ihre Familie aus?

Meine Lebensgefährtin hat sich aufgrund meiner Taten von mir getrennt. Damit habe ich nicht nur meine Zukunftsplanung, sondern auch die Liebe meines Lebens verloren. Ich spüre immer noch tiefe Scham und weiß, dass ich auch eine Belastung für meine Familie bin. Umso dankbarer bin ich, dass ich nach allem, was ich getan habe, noch Kinder habe, die weiterhin zu mir stehen und mich besuchen und Dinge draußen für mich regeln.


Welche Pläne haben Sie nach der Haft?

Trotz meines Alters habe ich noch viele Zukunftspläne. Mein ganzes Leben bin ich immer einmal mehr aufgestanden als hingefallen; das wird auch so bleiben. Eine große Herausforderung ist die Suche nach einer geeigneten Wohnung. Seit vielen Jahren engagiere ich mich im sozialen Bereich, und da liegt auch mein Fokus nach der Haft. Es gibt ein Kloster, in dem werden aus kirchlichen Einrichtungen alte Bücher restauriert. Dort würde ich mich gerne engagieren und dieses Handwerk erlernen. Oberstes Ziel ist es, mein restliches Leben straffrei zu gestalten. Für mich, aber auch für die Menschen, die durch meine Situation unverschuldet belastet werden. Und denen habe ich es versprochen!“

Haben Sie ein Lebensmotto?

Wenn du mutig und angstfrei bist, wenn du Vertrauen und eine positive, optimistische Sichtweise hast, dann kannst du alles erreichen, was du willst. Das gilt auch für mich!

Das Interview führte Susanne Schart | Titelbild: Christoph Kunz

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