Im Sommer 2007 geschah auf der Autobahn in der Nähe von Halle/Saale ein schwerer Unfall. Ein LKW war ungebremst auf einen im Stau stehenden Reisebus mit einer Senioren-Gruppe gerast und hatte ihn eine Böschung herunter geschoben, wo er kopfüber liegenblieb. Der LKW-Fahrer war für einen Moment abgelenkt und hatte den plötzlich stehenden Bus nicht bemerkt, es gab keine Möglichkeit mehr zu bremsen.

Selbst Versöhnung erfahren
13 Menschen starben, viele wurden schwer verletzt. Damals wurde Gerhard, ein Kollege von mir, der in Halle an der Saale als Notfallseelsorger arbeitete, in die Klinik zu den Schwerverletzten gerufen. Er erzählte mir von einem Patienten, dessen erste Frage, als er vom Hergang des Unglücks erfuhr, war: wie geht es dem LKW-Fahrer? Er war erfüllt von Mitgefühl für diesen Menschen, der aufgrund eines Momentes der Unachtsamkeit für das Leid so vieler Menschen verantwortlich war. In den Jahren darauf war in der Zeitung zu lesen, dass der LKW-Fahrer ein Jahr nach dem Unfall in das kleine Dorf der Seniorengruppe gereist war, um an einer Gedenkfeier für die Verstorbenen teilzunehmen. Dort hatte er gesagt: „Ich habe Vergebung erfahren, das hätte ich so nicht erwartet“.
Gilt Vergebung als Schwäche?
In all den Jahren, in denen ich in Gefängnissen als Seelsorger unterwegs war, ist mir klargeworden, dass es manchmal nur ein wenig Glück ist, nicht selbst im Gefängnis zu landen. Da sind Momente von Unachtsamkeit und Ermüdung, aber auch Zeiten des Gereizt Seins im alltäglichen Unterwegssein, die, wenn es schlimm kommt, erhebliches Unheil bewirken können. Auch wenn Strafprozesse und die Mauern des Gefängnisses die Täter von den Opfern trennen, können wir uns weder aus der einen noch aus der anderen Kategorie völlig ausschließen, immer sind wir auch beides. In der Gefängnisseelsorge konnte ich sogar erleben, wie Menschen mit schweren Straftaten, Sexualstraftäter und Mörder, auf langen und schmerzhaften Wegen beitragen konnten zu Versöhnung. Das geschah nicht oft, aber es geschah: Menschen, die getrennt waren durch unendliches Leid, können der oder dem anderen und sich selbst vergeben und einander leben lassen. Bei schwerer Schuld erwarten wir normalerweise Vergebung nicht nur nicht, wir schließen sie sogar aus. Wie in den Urzeiten von Auge-um-Auge und Zahn-um-Zahn versuchen wir auch heute noch Gewalt mit Gegengewalt zu unterdrücken, denn Rache scheint nach erfahrenem Leid das Gefühl von Stärke zurückzugeben, während Vergebung eher als Schwäche gilt. Wie schwer fällt es uns schon bei kleineren gegenseitigen Ungerechtigkeiten einander zu verzeihen? Immer scheint die Schuldfrage wichtiger als die Bemühung um Versöhnung. So bleiben wir verhaftet in Zuschreibungen und Verurteilungen – und das nicht nur gegenseitig, sondern auch in uns selbst.

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Kreuz bedeutet die Weigerung, zu hassen
Am Christkönigsfest erinnern Menschen mit dem Evangelium von den letzten Worten Jesu und zweier weiterer Personen am Kreuz, alle drei sind hingehängt als Verbrecher und ausgeliefert der Gewalt und dem Spott. Doch inmitten dieser scheinbar ausweglosen Situation wird der Ort der Hinrichtung plötzlich zu einem Ort der Versöhnung. Jesu letztes Zeichen kurz vor seinem Tod ist wie eine Zusammenfassung seiner gesamten Botschaft und zugleich ein Auftrag: in aller Gewalt einander gewaltlos zu begegnen. Der US-amerikanische Franziskanerpater Richard Rohr schreibt: „Das Kreuz bedeutet die Weigerung, jemanden zu hassen oder den anderen unbedingt besiegen zu müssen, denn das würde bloß das immer gleiche Verhaltensmuster fortsetzen und wiederum Gegengewalt auslösen. Am Ende bliebe man gefangen in dem unerbittlichen Kreislauf, den die Welt immer als ‚normal‘ angesehen hat.“
Menschen als vergebende KönigInnen
Zu vergeben ist die eigentliche königliche Würde, die den Menschen auszeichnet. Eine Menschenwürde, die zu leben so wesentlich und im eigentlichen Sinne Not-wendig ist in unserer Welt voller Recht- und Machthaberei und aggressiver Ausgrenzung. Wer vergibt schafft Raum für neue Wege. Mit Jesus, der die gewaltlose Hingabe bis zur letzten Konsequenz in den Tod hinein lebte, feiern wir an diesem Sonntag alle Menschen als Königinnen und Könige, die den Mut haben zu vergeben. Begegnen wir uns im Miteinander und in uns selbst immer wieder neu mit jedem noch so kleinen Schritt der Vergebung wahrhaft königlich!
Christoph Kunz | Lukas 23, 35 b – 43





