Draußen schwitzen Mensch und Tier bei 34 Grad im Schatten, hinter den dicken Mauern im Keller von Haus 5 der Justizvollzugsanstalt Wolfenbüttel ist es dagegen angenehm kühl. „Schachraum“ steht auf einem Schild an der Tür – doch gespielt wird hier schon länger nicht mehr. Auf der grünen Tafel stehen Formeln, hier pauken sonst Knackis für ihren Abschluss. Die Tische sind im Quadrat zusammengeschoben. Es braucht nicht viel Fantasie – und man sähe Papierkügelchen durch das Klassenzimmer fliegen. An den Wänden: Landkarten aus aller Welt. Ein deutlicher Kontrast zu den vergitterten Fenstern, die den Blick auf den Freistundenhof prägen. Wer hier reisen will, muss das im Geiste tun.
Herein kommt ein Mann wie ein Bär: mächtiger Vollbart, Totenkopf-Tattoo auf dem Unterarm, fester Händedruck, freundliches Lächeln. Wer es nicht besser wüsste, könnte Mark Haeckel für einen Vollzugsbediensteten halten, einen Sozialarbeiter, einen Lehrer. Doch der 32-Jährige ist Langzeithäftling – und Vater dreier Kinder, die er nur wenige Male im Jahr sehen kann. Knapp zehn Jahre sitzt er nach eigener Aussage bereits ein. Grund genug, mit drei anderen Inhaftierten am neuen Väterprojekt der JVA teilzunehmen: die „Papa-Perspektive“. Alle paar Wochen setzen sich die Knackis zusammen und reden: darüber, wie schwierig es ist, im Knast ein guter Vater zu sein. Wohin sie sich wenden können, wie das deutsche Umgangsrecht funktioniert, welche Pflichten sie haben, welche Entwicklungsschritte Kinder machen und welche Familienmodelle es gibt: Das erklären ihnen zwei Studentinnen und der katholische Gefängnisseelsorger.
32-jähriger ist Langzeithäftling
Drei Termine haben sie schon hinter sich. Heute steht der vorerst letzte an. Vielleicht der wichtigste. Das Thema: Wie bin ich der geworden, der ich bin – und welche Werte will ich weitergeben? Fragen, die auch Mark Haeckel beschäftigen. „Viele Väter im Gefängnis haben kaum Kontakt zu ihren Kindern“, sagt er. Die Mütter trennen sich, die Männer resignieren. „Sie geben auf und sagen: Mein Sohn oder meine Tochter werden sich schon melden, wenn sie erwachsen sind.“ Der falsche Weg, glaubt er. „Man hört ja im Gefängnis nicht auf, Vater zu sein“, sagt Gefängnisseelsorger Markus Galonska, der die Gruppen-Treffen in Wolfenbüttel begleitet. „Genau hier soll das Papa-Projekt ansetzen.“ Haeckel hat das Glück, regelmäßig mit seinen drei Kindern sprechen zu können. „Über Skype“ – denn seine Töchter (17 und 13) und sein Sohn (16) leben mit der Mutter im Nordirak. „Von dort stammen meine Eltern.“ Einmal im Jahr besuchen sie ihn im Gefängnis – wenn es gut läuft. Trotzdem ist es schwer für die Familie. „Sie sagen mir dann: Schade, dass du an meinem Geburtstag oder an Weihnachten nicht da bist. Man verpasst so viel.“ Sie waren schon auf der Welt, als er die Straftaten beging, wegen denen er einsitzt. „Als ich den Blödsinn damals gemacht habe, habe ich darüber nicht nachgedacht. Es ging nur um mich.“
Es ging nicht um Kleinigkeiten
Er schaut nachdenklich. Kein einfaches Thema. Und eines, bei dem man seine Worte wägen muss. Denn: Wer im Gefängnis Schwäche zeigt, macht sich angreifbar. „Man darf nicht vergessen, wo man hier ist.“ Genau deshalb bleibt alles aus der Gesprächsrunde genau dort: „Das ist Teil der Vereinbarung“. Warum er hinter Gittern sitzt? Auch unter Häftlingen eine Frage, die jeden brennend interessiert. Haeckel schaut dem Fragesteller in die Augen, schweigt und schüttelt den Kopf. Die Antwort soll unausgesprochen bleiben. Klar ist: Bei insgesamt etwa 12 Jahren Haft geht es nicht um Kleinigkeiten. Die (Knast-)Öffentlichkeit ist das Eine: Doch welche Antwort gibt man den eigenen Kindern, wenn sie fragen: Warum bist du nicht zuhause, Papa? Als seine Töchter und der Sohn noch jünger waren, sagte Haeckel ihnen: Ich bin arbeiten. Oder im Krankenhaus. „Irgendwann meint meine Älteste: Deine Ausreden ziehen nicht mehr.“ Zunächst tanzte der 32-Jährige um die Wahrheit herum. Sagte, „dass ich etwas gemacht habe, für das ich bestraft worden bin“. Doch die Nebelkerze wird rasch ausgepustet. Wie das bei Kindern so ist: „Da wollte sie es erst recht wissen.“ Und zwar genau. Die Großeltern hätten dann die Vorarbeit übernommen, bis Haeckel mit der ungeschönten Geschichte herausrückt. „Meine beiden älteren Kinder wissen mittlerweile Bescheid.“
Lähmende Hoffnungslosigkeit
Der Knast-Hüne kennt Gruppenarbeit mit Vätern bereits aus seiner Zeit in Vechta, wo er zuvor untergebracht war. Dort ging es um begleitete Besuche: Man bastelte zusammen, aß Kuchen. Haeckel fehlte dabei „das Fachliche“, wie man es ihm in Wolfenbüttel mitgebe. Und außerdem war der Schmerz am Ende nur umso größer: Wenn die Gittertüren sich hinter Papa schließen, während Mutter und Kinder nach draußen dürfen. „Es war schwer, wenn sie dann wieder gingen.“ „Das Fachliche“ schafft eine Distanz, die diese Wunde nicht wieder aufreißt. Außerdem kann er sein Wissen weitergeben. „Was ich hier lerne, hilft ganz konkret. Ich werde schon von anderen Häftlingen angesprochen.“ Mit Fragen danach, welche Rechte im Umgang sie haben. Wohin sie sich wenden müssen. Eine gute Sache, glaubt der 32-Jährige: „Man kriegt das hier in vielen kleinen Schritten erklärt.“ Denn diese lähmende Hoffnungslosigkeit, die manche im Knast befällt, kennt auch er. Zu Beginn seiner Haftzeit „brauchte man mich nicht anzurufen, ich wollte mit niemandem sprechen.“ Es hat gedauert, bis sich das änderte. Etwas mehr als zwei Jahre hat Mark Haeckel nun noch abzusitzen. Dann, so hofft er, kann er seine Kinder wieder in die Arme schließen. In Freiheit.
Erik Westermann | Mit freundlicher Genehmigung: Braunschweiger Zeitung