Die Gestalt des heiligen Johannes des Täufers, dessen Geburt die katholischen Kirche liturgisch feiert, hat Bischof Joseph Maria Bonnemain aus dem schweizerischen Bistum Chur liebgewonnen. Johannes der Täufer musste in seinem Leben ein Umdenken vollziehen, das der Bischof in seinem seelsorglichen Denken ebenso vollziehen musste. In einer gottesdienstlichen Feier anlässlich der Alpenländischen Tagung von GefängnisseelsorgerInnen aus der Schweiz, Österreich und Bayern im Kanton Obwalden, erklärt er dies näher.

Papst Franziskus ernannte ihn am 15. Februar 2021 zum Bischof von Chur. Davor war er Bischofsvikar für die Körperschaften des bürgerlichen Kirchenrechtes und für die Kantone.
Bei der Beschneidung von Johannes dem Täufer, fragten sich die Leute im Bergland von Judäa: „Was wird wohl aus diesem Kind werden?“ Ist das nicht eine Frage, die oft gestellt wird, eine Frage, die wir uns oft stellen? Es geht um die Erwartungen von Eltern und Erzieher. Aber auch wir haben bestimmt Erwartungen an uns selber. Manchmal entmutigt es uns, dass wir nicht so werden, wie wir es uns wünschen. Nicht selten und nicht zuletzt ist es unsere Umgebung, die auch Erwartungen an uns hat.
Habe ich mit meiner Geschichte Zukunft
Gerade bei inhaftierten Personen wird diese Frage aus verschiedenen Blickwinkeln virulent gestellt: Was wird aus diesem verurteilten Menschen werden? Sie selber, die Menschen, die sich eine Zeitlang in einem Gefängnis befinden, stellen sich bestimmt die Frage: Was wird aus mir noch werden? Was wird mit mir geschehen, habe ich noch Zukunft? Oder im schlimmsten Fall stellen sie sich diese Frage nicht mehr, weil sie das Gefühl haben, dass ihr Leben keine Perspektive mehr hat. Und wir selber, wenn wir diese Menschen begleiten und uns fragen, was wird aus diesen Menschen werden, antworten wir mit Skepsis? Oder sind wir fähig, auch Hoffnung im Hinblick auf diese Menschen zu entwickeln und ihnen Hoffnung zu schenken? Dies ist nicht zuletzt eine Frage des Glaubens.
Wenn wir überzeugt sind, wenn wir wirklich glauben, dass vor allem Gott angesichts der Geschichte, des Schicksals, der Fehler, des Scheiterns, des Fallens und Aufstehens eines jeden Menschen in ungebrochener Liebe und in beharrlicher Hoffnung sich die Frage stellt: Was wird wohl aus diesem Menschen werden? dann sind wir wirklich Seelsorgerinnen und Seelsorger im vollchristlichen Sinn. Es geht nicht um billigen Trost und fromme Floskeln, sondern um die Überzeugung, dass jeder Mensch Zukunft hat und dass er auch in der Gebrochenheit der Gegenwart in den Augen Gottes wertvoll und kostbar bleibt.
Lernende bleiben
Jeder von uns und jeder Mensch, konfrontiert mit all den verschiedenen Erwartungen, erlebt eine Dynamik, einen Lernprozess, eine Entwicklung. Unsere Vorstellungen und Erwartungen müssen stets redimensioniert, revidiert und umgestaltet werden. Wir verändern uns, wir wachsen, wir entwickeln neue Perspektiven, wir bleiben Lernende bis zuletzt, ja nicht zuletzt bis zuletzt Lernende der Liebe. Im Buch des Propheten Jesaja finden wir Worte über den Gottesknecht, die auch zu Johannes dem Täufer gut passen: “Der Herr hat mich schon im Mutterleib berufen“. Ein Ruf, eine Sendung zuerst für das Volk Israel, aber es heißt weiter, dass das zu wenig wäre. Es gilt: „Ich mache dich zum Licht der Nationen; damit mein Heil bis an das Ende der Erde reicht“. Dieser Auftrag, diese Aufgabe, diese Sendung gilt im Grunde für jede Christin und für jeden Christen. Gott erwartet von uns, dass wir für unsere vertraute Umgebung Frohbotschaft, Evangelium werden und dass wir gleichzeitig mit unserem Leben für die gesamte Welt eine Saat des Guten verkörpern.

Am Eingang des Melchtals befindet sich der sakrale Kraftort St. Niklausen. Dieser liegt oberhalb der Gemeinde Kerns im Kanton Obwalden. Davor ist ein Ordnungsbesen im Eingangsbereich abgestellt.
Nicht Ordnung schaffen wollen
Diese Sendung könnten wir uns aber falsch vorstellen. Einerseits könnten wir denken, dass eine solche Sendung unsere begrenzten Kräfte übersteigt, dass wir überfordert sind.
Ich kann mir gut vorstellen, dass Sie, liebe Gefängnisseelsorgende, in Ihrem Wirken oft eine gewisse Ohnmacht verspüren. Sie sind mit Mächten konfrontiert, die nicht selten Ohnmacht im eigenen Herzen hervorrufen. Andererseits könnten wir zur falschen Vorstellung gelangen, dass, damit in dieser chaotischen Welt, in diesen Abgründen des Bösen, die wir wahrnehmen, Ordnung geschaffen wird, radikale Maßnahmen, äußerst scharfe Verurteilungen, aufsehenerregende und außergewöhnliche Vorkommnisse erforderlich wären, sonst bleibt alles beim Alten. Dies ist aber nicht die Art Gottes zu handeln. Das ist nicht das, was Gott für gewöhnlich von uns erwartet.
Seligpreisungen
Der heilige Johannes der Täufer meinte am Anfang seines Wirkens auch, dass mit all dem, was in der Welt nicht in Ordnung ist, radikal umgegangen werden müsste. Er predigte wie wir wissen: „Ihr Schlangenbrut, wer hat euch denn gelehrt, dass ihr dem kommenden Zorngericht entrinnen könnt? Bringt Früchte hervor, die eure Umkehr zeigen, und fangt nicht an, bei euch zu sagen: Wir haben Abraham zum Vater! „Denn ich sage euch: Gott kann aus diesen Steinen dem Abraham Kinder erwecken. Schon ist die Axt an die Wurzel der Bäume gelegt; jeder Baum, der keine gute Frucht hervorbringt, wird umgehauen und ins Feuer geworfen“.
Geste der Demut
Deswegen war er total perplex und unsicher, als er im Gefängnis vom Wirken Jesu hörte, der nicht so handelte, wie er es erwartet hatte. Er war so erstaunt, dass er seine Jünger zu Jesus schickte, mit der Frage: „Bist du der, der kommen soll, oder sollen wir auf einen anderen warten?“ Die Antwort Jesu kennen wir: „Geht und berichtet Johannes, was ihr gesehen und gehört habt: Blinde sehen wieder, Lahme gehen und Aussätzige werden rein; Taube hören, Tote stehen auf und Armen wird das Evangelium verkündet. Selig ist, wer an mir keinen Anstoß nimmt“. Johannes der Täufer musste tatsächlich seine Vorstellungen über Jesus, seine Erwartung an den Messias total revidieren. Er brachte dies fertig. Seine Erwartungen wurden kleiner und die Erwartungen Gottes in seinem Herzen wurden grösser.
Das, was wir für die Kleinsten tun, ist das, was wir für Gott tun können, ohne Lärm, ohne Aufsehen, ohne Bewunderung. Ein Lächeln von uns, ein tiefsinniges Zuhören, ein Wort der Verzeihung, des Verständnisses, ein Blick der Zuneigung, ein kleiner Dienst, eine Geste der Demut, all das kann die Herzen der Menschen, denen wir begegnen, erreichen und ein Samen im Kleinsten sein, der einen Strom des Guten und der Hoffnung für die ganze Welt entfachen kann. Das Kleinste, das doch gesät und vollbracht wird, erreicht große Dimensionen des Heils. Es ist das, was ich vorher als Schule der Liebe bezeichnete. Es ist der Weg der Seligpreisungen, die nur in der Nachfolge Christi verstanden werden kann. Machen wir uns auf den Weg. Bemühen wir uns mit Hilfe der Gnade Pilgerinnen und Pilger der Hoffnung, Botschafterinnen und Botschafter des Heils in der Welt zu sein.
Joseph Maria Bonnemain | Bischof des Bistums Chur