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Trans*Identität: Geschlechtliche Vielfalt im Berliner Strafvollzug

16. November 2023

Menschen befinden sich ein Leben lang in Transformation. Beispiele hierfür sind Pubertät, älter werden und gesundheitliche Veränderungen, aber auch das Erlangen mentaler Reife, wie beispielsweise im Umgang mit Ängsten, Liebeskummer und Trauer, sowie Partnerschaft und Sexualität. Es gibt Menschen, darunter Inhaftierte, die sich in ihrer geschlechtlichen Identität transformieren. Die Berliner Justiz hat ihre Haltung zur Zweigeschlechtlichkeit seit etwa zehn Jahren in Frage gestellt und geschlechterpolitische Ansätze, in Form des überarbeiteten Strafvollzugsgesetzes, entwickelt.

Geschlechtliche Identität beschreibt das tief empfundene innere und persönliche Gefühl der Zugehörigkeit zu einem, keinem oder mehreren Geschlechtern. Dieses Gefühl kann mit dem biologischem Geschlecht übereinstimmen oder nicht; das schließt auch die Wahrnehmung des eigenen Körpers, sowie andere Ausdrucksformen des Geschlechts wie Kleidung, Sprache und Verhaltensweisen ein. Weiblich, männlich, trans*, non binär, inter* und queer sind Beispiele für geschlechtliche Identität. Erstaunlich wie viele Beispiele, wenn man bedenkt, dass der historische Justizvollzug lediglich zwischen männlich und weiblich zu unterscheiden wagte und eine strikte Zweigeschlechtlichkeit noch bis vor wenigen Jahren als Norm behandelte. Bemerkenswert vor diesem Hintergrund ist, dass die Berliner Justiz ihre Haltung zur Zweigeschlechtlichkeit bereits seit knapp zehn Jahren in Frage stellt und geschlechterpolitische Ansätze, in Form des überarbeiteten Strafvollzugsgesetzes, aufzeigt.

Individuell empfundene Geschlechtsidentität respektiert

Davon können Menschen, die sich der Zweigeschlechtlichkeit entziehen, durchaus profitieren. So berücksichtigt das Berliner Strafvollzugsgesetz insbesondere in Paragraf 11 und 83 Absatz 3 die besonderen Belange von trans*, inter* und non binären Menschen. Paragraf 11, erst im September 2021 in Kraft getreten, beschreibt die Trennungsgrundsätze hinsichtlich der Unterbringung von Gefangenen mit unterschiedlichen Geschlechtern. Damit respektiert der Gesetzgeber die individuell empfundene Geschlechtsidentität und eröffnet somit neue Wege für eine adäquate Unterbringung. Dies erreicht er durch die Abkehr von der Geschlechterunterscheidung in weiblich und männlich und unterstreicht diese Haltung durch den ergänzten Absatz 2. Demnach können inhaftierte Personen unterschiedlichen Geschlechts seither gemeinsam untergebracht werden, wenn sich eine inhaftierte Person nicht dem in ihrem amtlichen Personenstandseintrag angegebenen, sondern einem anderen Geschlecht oder dauerhaft weder dem männlichen noch dem weiblichen Geschlecht zugehörig empfindet.

Handlungsleitfaden entwickelt

In Paragraf 83 Absatz 3 ist die Durchsuchung von inhaftierten Personen geregelt. Im Unterschied zur Regelung vor April 2016 wurden hier bereits die besonderen Belange von trans*, inter* und non binären Menschen berücksichtigt. So heißt es in Satz 4, dass bei berechtigtem Interesse dem Wunsch der inhaftierten Person entsprochen werden soll, die mit der Entkleidung verbundene körperliche Durchsuchung einem oder einer Bediensteten eines bestimmten Geschlechts zu übertragen. Damit ist festgelegt: Die geschlechtliche Identität kann ein berechtigtes Interesse begründen. Ersten Erfahrungen von Betroffenen zufolge wird dem Wunsch zumeist nachgekommen. Auch außerhalb dieser trockenen Gesetzestexte gibt es hilfreiche Neuerungen, konkret zuletzt die Einführung eines Handlungsleitfadens bei der Haftaufnahme von trans* und inter*Personen sowie Menschen mit dem Personenstand „divers”. Der Handlungsleitfaden unterstützt die Mitarbeitenden in den Berliner Justizvollzugsanstalten in der Aufnahmesituation, welche Kleidung, Sprache und Verhaltensweisen angemessen sind.

Durch die zusätzlich entwickelte Checkliste ist sichergestellt, dass alle entscheidungsrelevanten Informationen eingeholt bzw. abgefragt werden und einer Entscheidung zuträgliche Dritte eingebunden sind. Die Person selbst wird ebenfalls beteiligt. Der Handlungsleitfaden und die Checkliste sind im weiteren Vollzugsverlauf anzuwenden, soweit Erkenntnisse auftreten, die dies erfordern. Um das Themenfeld Geschlechtsidentitäten und sexuelle Orientierung von Gefangenen anstaltsübergreifend und strukturell voranzubringen sowie Haftbedingungen für trans*, inter* und non binäre Menschen zu verbessern, wurde im Jahr 2019 eine Fachgruppe gegründet. Sie besteht aus Mitarbeitenden der Justizvollzugsanstalten (Sozialdienst, Psychologischer Dienst, medizinischer Dienst), der Senatsverwaltung für Justiz, der Landesantidiskriminierungsstelle und bei Bedarf auch aus externen ExpertInnen. Aufgrund der Arbeit der Fachgruppe wurde das Angebot der Bildungsakademie Justizvollzug ausgeweitet: Durch ein Fort- und Weiterbildungskonzept für das Themenfeld geschlechtliche Identität soll die Haltung der Bediensteten im Berliner Justizvollzug und bei den Sozialen Diensten der Justiz positiv beeinflusst werden. Das Konzept wurde der
Bildungsakademie Mitte 2022 übergeben, es ist jedoch noch nicht in die Angebotsstruktur implementiert. Das Angebot wird allen Mitarbeitenden offen stehen, die in die Betreuung- und Behandlungsarbeit eingebunden sind.

Beschwerdestelle Diskriminierung

Als nächstes sollen Beratungsstandards der Mitarbeitenden der Justiz erörtert und beschlossen werden. Zusätzlich werden Standards geschaffen, um die Handlungssicherheit während vorbereitender Prüfprozesse für das Einleiten medizinischer Maßnahmen im Transitionsprozess, sprich der Geschlechtsangleichung, herzustellen. Auch das Angebot des Gefangeneneinkaufs, etwa was Kosmetikprodukte und Kleidung betrifft, wird überprüft und bei Bedarf angepasst. Und auch zum Thema Antidiskriminierung zeigt sich die Berliner Justiz vergleichsweise engagiert. So haben die Berliner Justizvollzugsanstalten Beschwerdestellen nach dem Landesantidiskriminierungsgesetz (LADG) eingerichtet. Fühlen sich Menschen diskriminiert, können sie sich an diese anstaltsinternen Stellen wenden. Übergeordnet und nicht an eine Justizvollzugsanstalt oder eine bestimmte Behörde gebunden, agiert die Ombudsstelle der Landesstelle für Gleichbehandlung gegen Diskriminierung (LADS). Auch sie nimmt Hinweise zu oder Beschwerden über Diskriminierung an.

Zudem können sich alle inhaftierten Personen an die für sie zuständige Gruppenleitung, sprich die zuständigen Sozialarbeiter, an die Anstaltsleitung oder an die Senatsverwaltung für Justiz wenden, wenn sie sich durch Vorgänge, Mitarbeitende oder andersartige Gegebenheiten diskriminiert fühlen und/oder sich darüber beschweren wollen. Leider werden diese Anlaufstellen in der Praxis noch zu wenig genutzt. Denn trotz aller Bemühungen kommt es weiterhin vor, dass durch menschenfeindliche Äußerungen, körperliche Gewalt sowie einer fehlenden Eigenverantwortung, die sich in Vorverurteilung und Ignoranz begründet, einzelne Menschen oder auch ganze Gruppen abgewertet und ausgestoßen, grundsätzlich verletzt und einer unsicheren Zukunft überlassen werden. Es vermag dabei völlig gleich zu sein, ob die Diskriminierungsfreiheit leichtfertig und unbedacht oder gar vorsätzlich genommen wird. Eine einzige Diskriminierung ist bereits eine zu viel. Dabei ist es wichtig, dass die Anlaufstellen unbedingt in den geringsten Fällen von Diskriminierung und körperlicher Gewalt aufgesucht werden – sowohl von Opfern als auch von Tätern – damit die Hilfsangebote weder an Relevanz noch an Qualität verlieren.

Steffen Kahrels | Quelle: Gefangenen Magazin der lichtblick

 

2 Rückmeldungen

  1. Simeon Reininger sagt:

    Interessant und passend ist auch ein Beitrag von der Dogmatikerin Prof. Julia Knop auf katholisch.de

  2. Bernd Mönkebüscher sagt:

    Es gibt nichts zu verhandeln

    Zwei Reformvorschläge des Synodalen Wegs verstoßen gegen unverhandelbare kirchliche Lehren – schreibt Kardinalstaatssekretär Pietro Parolin den deutschen Bischöfen im Oktober 2023 und bestätigt damit erneut eine Grenzziehung. Der eine Reformvorschlag betrifft das Verbot der Frauenpriesterweihe, der andere die kirchliche Lehre über die Sündhaftigkeit homosexueller Handlungen. „Unverhandelbar“. Gehandelt wurde damals im Tempel in Jerusalem, als Jesus die Tische umstieß. Gehandelt wird an der Börse und an Großmärkten. In der Kirche auch und immer noch? Menschenrechte sind Verhandlungsthemen? Die Gleichbehandlung von Frauen und Männern, von homosexuellen und heterosexuellen Menschen (von asexuellen, bisexuellen und Transmenschen) sind Verhandlungsthemen? Gibst du mir dies geb ich dir das? Kostet das am Ende was?

    Bestraft, wenn öffentlich

    Schon länger hege ich den Verdacht, dass der rote Faden in all diesen „Verhandlungen“ eine „tiefsitzende“ Frauenfeindlichkeit ist. Bestimmte Kreise wollen Frauen nicht in den Weiheämtern – und mit Blick darauf, dass Gesellschaft lange und Kirche vermutlich immer noch bei Homosexualität vornehmlich Männer im Blick hat, wollen diese Kreise auch nur „richtige“ Männer. Immer noch wirkt damit die Sicht aus dem Buch Leviticus: „Wenn jemand bei einem Manne liegt wie bei einer Frau, so haben sie getan, was ein Gräuel ist, und sollen beide des Todes sterben.“ Männer sind Männer und dürfen nicht zur Frau erniedrigt werden. Vertreten werden diese Ansichten kurioserweise von Männern, die sich gern in langen Gewändern kleiden, die vom Ausleben von Sexualität und Zeugung und Manneskraft reden und damit also von Dingen, die sie sich selbst dem Wort nach untersagen. Sie schaffen es sogar, die gleiche „kirchliche Strafe“ anzuwenden für Verbrechen und für Liebe: zumindest bei sexuellem Missbrauch wird ein Priester suspendiert – und genauso wird er es, wenn er sich verliebt (genauer, wenn er es öffentlich macht).

    Gerecht diskriminieren

    Wie groß muss die Angst vor Frauen und vor nicht heterosexuellen Menschen (nochmal: ich werde den Verdacht nicht los, dass hier vornehmlich Männer im Blick sind) sein. Weiterhin besteht offensichtlich der Vatikan darauf, „gerecht zu diskriminieren“ und sieht sich dazu sogar göttlich legitimiert und verpflichtet (die Kirche hat keine Vollmacht, anders zu lehren…) wider besseren Wissens, dass zumindest die Bibel dafür keine redliche Grundlage bietet. Nach wie vor ist dem Vatikan der Blick in die Hose wichtiger als der Blick ins Herz. Die meisten werden hierzulande und vermutlich auch anderswo noch nicht mal mehr müde darüber lächeln (ähnlich wie damals und heute Humanae Vitae keine Rolle spielt, weil Kirche sich hier selbst an den Rand kickt und Realitäten ausblendet – damit aber auch gleichzeitig den Freiraum hat, weiterhin diese Lehren zu zementieren, von denen man sich auch theologisch fragen kann, welch einem Heil sie eigentlich dienen sollen); tief verletzen werden diese „Verhandlungsabsagen“ erneut queere Menschen und Frauen, denen noch an dieser Kirche liegt. Den Glauben an einen Gott, vor dem es weder Juden noch Griechen, Sklaven und Freie, männlich und weiblich gibt, werden sie nicht zerstören. Nein, hier gibt es tatsächlich nichts zu verhandeln.

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