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Todesfälle in Haft: Vermittelnde Tätigkeit der Gefängnisseelsorge

29. Juli 2021

Bundesweit gibt es in Deutschland etwa 180 Gefängnisse, in denen rund 60.000 Gefangene inhaftiert sind. Zwischen 1998 und 2017 starben in deutschen Haftanstalten mehr als 3000 Menschen. Bei knapp der Hälfte dieser Todesfälle wird als Todesursache offiziell Suizid angegeben. 2017 war die Zahl der Suizide in Haft mit 82 auf dem höchsten Stand seit 2005. Sie ging zwischenzeitlich im Jahr 2013 auf 50 zurück ist seither wieder stetig angestiegen (Bundestagsdrucksachen 19/2872 und 19/15291). Einer Statistik des Europarats zufolge ist die Suizidrate in deutschen Gefängnissen überdurchschnittlich hoch. Auf 10.000 Inhaftierte kamen im Jahr 2016 11,8 Selbsttötungen, während der Durchschnitt aller Mitgliedsstaaten bei 5,5 lag.

Aus dem Schreiben der Kleinen Anfrage seitens der Fraktion DIE LINKE zitiert:

Antiknast-Initiativen weisen darauf hin, dass bei Todesfällen in Haft oftmals auch menschliches Fehlverhalten eine Rolle spielt. In vielen Gefängnissen sei die psychotherapeutische und medizinische Versorgung katastrophal. In der Konsequenz komme es immer wieder zu Todesfällen aufgrund unterlassener Hilfeleistung. So starb der 21-Jährige Constantin M. in der Nacht vom 30. auf den 31. August 2014 in der JVA Herford unter großen Qualen an den Folgen einer unbehandelten Bauchfellentzündung. Schon eine Woche vor seinem Tod hatte er über Bauchschmerzen geklagt; eine ausführliche Diagnose und entsprechende Behandlung wurden ihm jedoch verwehrt. Zuvor hatte er sich immer wieder selbst verletzt und mehrere Suizidversuche überlebt. Obwohl ÄrztInnen des JVA Krankenhauses Constantin M. für nicht haftfähig hielten, veranlasste die Gefängnisleitung die weitere Inhaftierung unter Gewaltanwendung wie Isolationshaft und Fixierung.

Im selben Monat, am 9. August 2014, starb der 33- Jährige Rasmane Koala in der JVA Bruchsal. Ab Mitte 2012 war er vollständig von anderen Gefangenen isoliert worden, weil er sich gegenüber VollzugsbeamtInnen aggressiv verhalten haben soll. Ab Februar 2014 soll er die Anstaltsverpflegung verweigert und sich nur noch von Müsli und Wasser ernährt haben. Er magerte immer mehr ab und wog vor seinem Tod bei 1,85 m Körpergröße nur noch 57 Kilo. Als Todesursache stellte die Staatsanwaltschaft Unter- und Mangelernährung fest. Im Nachhinein wurde eine interne E-Mail bekannt, wonach der Anstaltsleiter davon ausging, dass Rasmane Koala an behandlungsbedürftigen „Wahnvorstellungen“ litt. Außerdem hatte er es versäumt, die Essensverweigerung und die fortgesetzte Isolationshaft an das Justizministerium zu melden. Die Staatsanwaltschaft Karlsruhe leitete deshalb ein Ermittlungsverfahren wegen fahrlässiger Tötung gegen den Anstaltsleiter ein, das aber später ergebnislos eingestellt wurde.

Nach Auffassung der FragestellerInnen zeigen diese Todesfälle stellvertretend für viele weitere, dass Menschen in Gefängnissen durch Isolation, Gewalt und unterlassene Hilfeleistung systematisch zermürbt und einem frühzeitigen Tod preisgegeben werden. Dies trifft aus ihrer Sicht selbst auf Fälle zu, die offiziell als Suizid eingestuft werden. So starb der 38-jährige Ferhat Mayouf am 23. Juli 2020 in der JVA Moabit durch einen Zellenbrand. Recherchen der Initiative „Criminals for Freedom“ zeigen, dass der Gefangene minutenlang verzweifelt um Hilfe geschrien hatte, nachdem in seiner Zelle ein Brand ausgebrochen war.  Zwei Bedienstete sollen währenddessen im Gang gestanden haben, ohne einzuschreiten. Irgendwann seien die Rufe verstummt. Als zwanzig Minuten später die Feuerwehr die Zelle geöffnet habe, sei Ferhat Mayouf bereits tot gewesen. Auch bei Amed Ahmad, der im September 2018 infolge eines Zellenbrandes in der JVA Kleve starb, wird berichtet, dass seine Hilferufe ignoriert wurden; weitere ähnliche Fälle sind in der Recherche der Kampagne „Death in Custody“ dokumentiert.

Bei der behördlichen Erfassung von Todesfällen in Haft werden die Todesursachen abgesehen von Suizid und Unfall nicht weiter aufgeschlüsselt. In der Gesamtzahl sind somit auch Tote durch Krankheit, hohes Alter, Gewalt durch Mitgefangene oder durch JVA Personal enthalten. Auch Angaben zur Art der Haft, zum Alter, der Staatsangehörigkeit, dem Aufenthaltsstatus oder dem sozioökonomischen Hintergrund der Verstorbenen sowie zur Dauer der Inhaftierung bis zum Tod konnte die Bundesregierung bislang nicht machen (Bundestagsdrucksache 19/15291). Inwieweit von Rassismus betroffene Menschen bei Todesfällen in Haft überrepräsentiert sind, lässt sich ausgehend von den Daten der Bundesregierung ebenfalls nicht beantworten. Die Recherche von „Death in Custody“ kommt für den Zeitraum zwischen 1990 bis heute auf rund 90 Todesfälle von Menschen mit Rassismuserfahrungen in Haft und Abschiebehaft; insgesamt dokumentiert sie mehr als 180 Todesfälle aufgrund von „rassistischer Staatsgewalt“. Die Kampagne geht aber selbst von einer sehr hohen Dunkelziffer aus, weil die Datenlage so schlecht sei.“

Kleine Anfrage der Abgeordneten Ulla Jelpke, Dr. André Hahn, Gökay Akbulut u.a. und der Fraktion DIE LINKE. „Todesfälle in Haft seit dem Jahr 2018“
Bundestagsdrucksache 19/30832, 18. Juni 2021

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2 Rückmeldungen

  1. André Schmitz sagt:

    Ich bin der Vorsitzende und Sprecher des Knastschadenkollektiv’s André Moussa aus Berlin. ✊🖤 Wir kämpfen solidarisch Hand in Hand mit, Rechtsprofessoren/innen, Anwälte, ja selbst eine Anstaltsleiterin (die nicht genannt werden will)auch der ehemalige Anstaltsleiter Dr. Thomas Galli, Prof. Johannes Feest (i.R.) und haben vor 3. Jahren das Manifest zur Abschaffung von Gefängnisse geschrieben, auch ich bin einer der Mitunterzeichner. ✌️ Denn es gehen in Haft, die arm sind.

    Armutsgefangene, Suchtkranke, Bagatellfälle doch schlimmer sind Ersatzfreiheitsstrafen, vor allem diejenigen wegen „fahren ohne Fahrschein“ in Haft kommen. Schäden von 6 Euro werden mit Geldstrafen zu x tausende Euros zu Tagessätzen von 5 Euro geahndet. Allein in NRW kostet ein Hafttag ca. 170 Euro. 😱 Ein Skandal!

    Nein sage ich, ein Verbrechen! Warum? § 265/a Abs.1 vom 8.6.1935(!)ist Heute, 2022 noch in unserem StGB/Strafgesetzbuch. Daher fordern wir Abolotionismus bei Twitter, wir müssen die Justiz auffordern das StGB zu ZERSTÖREN, es ist voll mit Gesetzen aus der dunklen Zeit der BRD. Warum kommt kein Protest? Warum unterstützt ihr uns nicht?

    Wir kämpfen für die Jugendlichen das sie niemals in Haft enden, dort dann zu Straftäter erzogen werden! Daher erbitte ich für unsere Weihnachtsaktion und darüber hinaus um eure Solidarität mit jeder Spende. Kaufen wir den Gefangenen Bücher, Spiele, Abos für Zeitungen gerade für Migranten, die in Abschiebehaft in normalen Gefängnisse sitzen, wo sie nicht ihre Rechte haben! Meine E-Mail Adresse steht unten schreibt uns/mir. Wir garantieren und mit Empfehlungsschreiben von Politikern/innen bis zu unsere Veranstaltungen/Reden, die ich halte wie zuletzt am 13.11.2022 gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit und für Menschen wie sie sich verhalten sollen bei Festnahmen, in Psychiatrischen Kliniken (…) an der Gedenkstätte für Opfer von Rassismus und Polizeigewalt in Berlin.

    ✊🖤Mit sozialpolitische und kämpferische Grüße, HELFT DEN ARMEN GEFANGENEN WÄHREND DER FESTTAGE!

    schmitzandre62@gmail.com

  2. André Moussa Schmitz sagt:

    Ich, André Moussa Schmitz, Vorsitzender und Sprecher des Knastschadenkollektiv’s aus Berlin veranstalten den 8. Gedenktag für die Toten hinter Gittern und ihre Familien. ✊🖤 Jede Spende, Solidarität mit unserem jährlichen Gedenktag ist gerne willkommen – auch die Teilnahme. Es nehmen teil: Deutsche Aids Hilfe (DAH), Die Piraten, vdaa/Verein demokratische Ärzte und Ärztinnen, @BVGWeilWirDichFürchten und noch viele andere. Ich bin Mitbegründer der Gefangenengewerkschaft GG/BO, ehemaliger Landessprecher in NRW und Mitautor des Buches WEGE DURCH DEN KNAST. 30 Jahre aktiv als Anti Knast Aktivist, unter 015166135473 können Sie mich erreichen für Spenden oder Informationen.🤜⚖️ Kämpfen wir für unsere Forderungen!

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