Die JVA Tegel hat eine schöne historische Pforte. Dahinter – schon von weitem sichtbar – liegt die Kirche mit zwei Türmen in Backsteingotik. Aber dieses angenehme Entree ist ausschließlich den Bediensteten vorbehalten. Als BesucherIn betritt man die Anstalt über Tor 2, einem Behelf. Nach dem Tausch Personalausweis gegen Besucherausweis gibt ein rechts und links durch Gitterzäune begrenzter Gang den Blick frei auf ungepflegte „Grünflächen“, auf denen alle möglichen Baumaterialien ungeordnet ihren Platz gefunden haben.
Anschließend durchquert man ein Gebäude mit Charme einer GÜST (Grenzübergangsstation DDR – BRD); das Ensemble der Gebäude ist epochaler Wildwuchs der Architekturgeschichte des letzten Jahrhunderts, zumeist in stark renovierungsbedürftigem Zustand. Herr Riemer, Leiter der JVA Tegel, ließ wenig Zweifel, dass auch ihm das missfällt. Das Haus für die Sicherungsverwahrten erreicht man zu Fuß nur nach dem Durchqueren über den zentralen Müllplatz der JVA; es fällt schwer, diese Symbolik nicht zu verstehen. Dann vor Ort ist man nach dieser Zuwegung äußerst positiv überrascht. Ein modernes Gebäude ohne die zur Zeit gepflegte architektonische Kühle. Die Gitter markant ersetzt durch Platten mit tropfenförmigen Öffnungen nur vor den zu öffnenden Fenstern. Vier Geschosse, zwei für Wohngruppen mit 60 Plätzen und einer aktuellen Belegung von 45 Verwahrten; ein Geschoss für die Mitarbeitenden, ein Geschoss mit Arbeits – und Freizeiträumen.
Als wir von der ökumenischen Arbeitsgemeinschaft SV vor Ort waren, probte ein Mitglied der Puhdys mit einem Verwahrten im Musikraum. Vier Entlassungen gab es im letzten Jahr, einer davon ließ sich freiwillig wieder aufnehmen. Der Übergang ist und bleibt schwierig bei dieser Klientel. Weitere Berliner Verwahrte sind in einer SoThA, die sich auch auf dem Gelände der JVA Tegel befindet. Der Betreuungsschlüssel ist hoch; fünf PsychologInnen und fünf SozialarbeiterInnen, aber insbesondere bei der erst benannten Berufsgruppe handelt es sich ausschließlich um junges Personal ohne große Berufserfahrung und ohne abgeschlossene therapeutische Ausbildung.
Und wenn sie die dann haben, suchen sie sich oft ein anderes berufliches Umfeld. Man hat die Anforderungen an diese Berufsgruppe absenken müssen, berichtete Frau Becker, die Leiterin des Hauses für Sicherungsverwahrung. Sie arbeitet dort seit Inbetriebnahme des Hauses 2013. Sie benennt offen, was ist und stellt ihre neuste Idee vor. Ein ehemaliges Bedienstetengebäude vor der Mauer, welches aktuell leer steht, soll offener Vollzug für die Menschen aus der SV werden. Die Reintegration soll damit besser gelingen, was angesichts der langen Verweildauern der Männer sehr einleuchtend ist.
Im Kirchraum – noch sehr im historischen Zustand mit aufsteigenden Bänken – kamen wir zu unserem Thema. Henrike Schmidt führte ein aus ihren vielfältigen Erfahrungen aus der Arbeit in dem Justizvollzugskrankenhauses in Baden Württemberg. Ihre zentrale Frage: Wann beginnt Sterben? Und welche Prozesse werden dadurch ausgelöst und können wie von uns begleitet werden? Diese Fragen trafen den Punkt, wie an dem nachdenklichen und intensiven Austausch, der am nächsten Tag noch eine Fortsetzung erfuhr, klar wurde.
Neben Henrike ist vor allem auch Christina Ostrick für die Organisation zu danken. Die erlebte Gastfreundschaft auch von der Anstaltsleitung, sowohl von Herrn Riemer wie auch von Frau Becker, tröstete bestens über den ersten Eindruck bei Eintritt in die Anstalt hinweg. Für das nächste Mal einigten sich die Teilnehmenden auf das Thema: Von den Schwierigkeiten in der SV zu arbeiten. Dazu setzen wir bei unseren eigenen Erfahrungen an. In der Zeit vom 21. bis 22. April 2020 ist das Treffen in der JVA Bützow geplant. Wir hoffen auf viele am Thema “Sicherungsverwahrung” Interessierte!
Adrian Tillmanns | JVA Werl