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Strafminderung, wenn Inhaftierte die Bibel lesen?

15. Januar 2021

„Brasiliens Gefangene erhalten Strafminderung, wenn sie die Bibel lesen“. Eine Meldung aus dem vergangenen Jahr. Mehr als die Schlagzeile bleibt nicht hängen. Aber sie bleibt hängen bis heute, als ich mehrere Bibeln in einem Abteilungsbüro des Jugendvollzuges der JVA Herford entgegennehme, die inhaftierte Jugendliche bei ihrer Entlassung zurückgelassen haben. Sie sind unvollständig. Eine beginnt beim 2. Buch Mose, eine andere hat zerflederte Seiten im Mittelteil.

Ein Klassiker in meinem Alltag, die dünnen Seiten Stück für Stück, Zigarette für Zigarette in Rauch aufgegangen. Respektlos, könnte man meinen. Oder: Wie groß muss die Not gewesen sein. Hängen bleibt bei mir letzteres, genauso wie die Strafmilderung durch das Bibel lesen. Am Ende aber bleibt die Frage: Wie gehe ich mit der Bibel um? Ist sie Schall und Rauch, wenn die Not vorbei ist? Oder macht sie mich frei?

Stefan Thünemann | JVA Herford

Bibel lesen = 4 Tage Strafmilderung

Gute Nachrichten für die Gefangenen im brasilianischen Bundesstaat Maranhão: Wer von ihnen die Bibel liest, erhält eine Strafminderung. Neben dem Lesen muss aber auch eine Zusammenfassung über das jeweilige biblische Buch geschrieben werden. Hintergrund dafür ist, dass die Bibel „eine verändernde Kraft“ sei, erklärte Mical Damasceno, ein Abgeordneter, der dieses Gesetzesprojekt vorangetrieben hatte. Bei der Abstimmung über das Projekt stimmten alle anwesenden Abgeordneten des Bundesstaates dafür. Ab sofort müssen nun obligatorisch in jeder Strafanstalt des Staates Maranhão Bibeln vorhanden sein. Die Strafminderung sieht konkret wie folgt aus: Für jedes gelesene Buch der Bibel erhält der Häftling vier Tage Strafminderung, wobei er pro Jahr höchstens zwölf Bücher lesen darf, bzw. höchstens zwölf Bücher angerechnet werden – pro Jahr kann man sich also eine Strafminderung von höchstens 48 Tagen „anlesen“. Und das reine Lesen ist nicht genug: Der Sträfling muss zudem eine Zusammenfassung über das Bibelbuch schreiben, die dann von einer Kommission geprüft wird.

Bibel ist Grundlage für Veränderung

„Die Bibel ist eine verändernde Kraft im Leben der Menschen“, erklärte Damasceno seinen Vorstoss. „Sie ist unser Fundament und dient sogar als Grundlage vieler demokratischer Verfassungen, auch unserer Verfassung von 1988. Das Evangelium von Christus und der Dienst durch das Wort Gottes haben das Leben vieler Gefangener verändert durch die missionarische Arbeit, die in den Gefängnissen durchgeführt wird.“ Deshalb gäbe es nichts besseres, als wenn durch die Bibel Strafen vermindert werden könnten „und sie so zum Mittel der Veränderung wird im Leben derjenigen, die ihr Leben während und nach der Erfüllung ihrer Strafe ändern möchten“.

Ähnliche Strafminderungen durch das Lesen der Bibel waren zuvor bereits in den Bundesstaaten Sao Paulo und Ceará durchgesetzt worden. Während die Bibel hierbei früher als ein einziges Buch angesehen wurde – das Lesen der kompletten Bibel hätte in dem Fall nur vier Tage Strafminderung erwirkt –, gilt sie jetzt als Buchsammlung und das Lesen jedes einzelnen Bibelbuches erwirkt eine viertägige Minderung.

Rebekka Schmidt | Mit freundlicher Genehmigung: Livenet.ch

 

1 Rückmeldung

  1. Sr. Petra Pfaller sagt:

    Glaube nicht instrumentalisieren
    Im Bundesstaat Maranhão ist die „staatliche“ Gefängnisseelsorge etwas anders organisiert, nicht unbedingt von der katholischen Gefängnisseelsorge, sondern mehr von den freikirchlichen Bewegungen mit staatlicher Unterstützung organisiert und zum Teil auch finanziert. Die katholische Gefängnisseelsorge funktioniert nur mit freiwilligen SeelsorgerInnen hat aber deshalb auch mehr Freiheiten um Missstände anzuklagen. Wir von der katholischen Gefängnisseelsorge werden öfters darauf angesprochen ob es möglich ist eine Strafmilderung aufgrund religiöser Aktivitäten möglich ist.

    Wir sind dagegen und in einer nationalen Richtlinie für die Seelsorge (egal welche Kirche) ist dies auch verboten, aber die einzelnen Bundesländern haben doch die Freiheit selbst dies zu Regeln und das hängt auch immer vom jeweiligen Richter ab. Wir sagen, ausgehend von der brasilianischen Realität im Gefängnis, das die Religion, der Glauben nicht instrumentalisiert werden kann, sei es um eine Strafmilderung zu bekommen, oder einen Arbeitsplatz im Gefängnis wegen guter Führung, wie auch nicht als Bestrafung benützt werden darf, z.B. wenn ein Gefangener mit einem Beamten „laut wird“, darf er 2 Wochen lang nicht bei der Veranstaltung der Seelsorge mitmachen.

    Ich persönlich bin nicht für diese Instrumentalisierung des Glaubens, vor allem in unseren Gefängnissen wird das oft benützt um zu überleben im Gefängnis und hat damit nicht viel mit Glaube zu tun. Ich weiß nicht wie es mir ergehen würde in diesen miserablen brasilianischen Gefängnissen, ob ich vielleicht auch bereit wäre zu einer „anderen Kirche“ zu übertreten wenn ich in dieser Lage wäre.

    Sr. Petra Pfaller Koordinatorin Brasilianische Gefängnisseelsorge.kath

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