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Töten für die Liebe: Der Straffall des Jens Söring

3. August 2020

Die vierteilige ZDF Dokumentation zeigt Videomaterial der Haysom-Prozesse. Die Filmemacher reden mit ehemaligen Ermittlern, besuchen den Richter und begleiten einen Privatdetektiv, der nach mehr als zwei Jahrzehnten neue Beweise sucht.

Sie waren ein eigenwilliges Paar – Jens Söring, der naive, blasse Diplomatensohn, und Elizabeth Haysom, die unnahbare, welterfahrene Tochter eines reichen Stahlbarons. Als Elizabeths Eltern am 30. März 1985 brutal ermordet in ihrem Haus in Virginia (USA) gefunden wurden, war die kleine Stadt Lynchburg in Panik – von Vodoo war die Rede, von einem Serienkiller. Jens und Elizabeth flohen nach Asien, weiter nach Europa, eine ´Folie a deux`. Sie waren jeden Tag, jede Minute zusammen. Am 30. April 1986 war das Spiel vorbei, denn sie wurden als Christopher P. Noe und Lucy T. Noe wegen Scheckbetrugs in London verhaftet.

„Ich bin unschuldig“, sagte er, als er am 4. September 1990 in Amerika zu zwei Mal lebenslänglich wegen zweifachen Mordes verurteilt wurde. Jens Söring sagte, dass er Elizabeth das Versprechen gab, den Mord auf sich zu nehmen, wie der Held in Charles Dickens‘ Roman „A Tale of Two Cities“, der sein Leben gab für die Liebe. So erzählt er es bis heute. Elizabeth Haysom war schlank, trug eine violette Jeans und ein T-Shirt, das einmal weiß war. So trat sie in Jens Sörings Leben. Es war ein Abend im August 1984, ein Orientierungsabend für die Hochbegabtenstipendiaten der University of Virginia. Wie oft hat er in den vergangenen 27 Jahren an dieses verfluchte Treffen gedacht. Es war der Abend, an dem sein Absturz begann.

Der Mensch Jens Söring

Jens Söring war jung, naiv, ein bleicher Typ mit großer Brille. Er war sofort hingerissen von ihrer Arroganz, ihren graublaugrünen Augen, ihrem Blick, so gelangweilt, dass er ihn fast zermalmte. 30 Jahre später sitzt er da, mitten in seiner neonlichtgrellen Gefängniswelt. Er hat noch nie ein Handy benutzt, er war noch nie im Internet, er kennt das Grab seiner Mutter nur von zwei Fotos, er hat seit Jahrzehnten kein Steak mehr gegessen. Als er weggesperrt wurde, hatten die Telefone noch Wählscheiben. Jens Söring ist der Sohn eines deutschen Diplomaten, am 1. August 1966 in Thailand geboren, in Deutschland und Amerika aufgewachsen. Er war ein strebsames Kind, ein eifriger Student, Hochbegabtenstipendium. Alles schien möglich. Bis er an jenem Abend Elizabeth Haysom kennenlernte, die schöne, unwiderstehliche, verwegene Liz. Sie hat ihn einfach überrannt mit ihren Geschichten. Alles an ihr war besonders, der Vater, ein Stahlbaron, das Stipendium, aus Cambridge. Sie sagte ihm, dass sie von ihrer Mutter sexuell missbraucht werde, dass sie in einem Internat in der Schweiz brutal vergewaltigt worden war. Nach ein paar Monaten waren sie ein Paar. Jens Söring konnte sein Glück nicht fassen.

Geschichte einer ehemaligen Liebe

Am 30. März 1985 wurden Elizabeths Eltern in ihrem Haus in Lynchburg, Virginia, brutal ermordet. Der Haysom-Fall wurde zum Mega-Event, er wurde als einer der ersten live im US-Fernsehen übertragen, es war die tägliche Vorführung des „german bastards“, der er für die lokale Presse von Anfang an war. Als Jens Söring am 4. September 1990 zu zwei Mal lebenslänglich verurteilt wird, sitzt Elizabeth bereits seit zwei Jahren nur wenige Meilen entfernt im Gefängnis. Sie wurde zu 90 Jahren wegen Anstiftung zum Mord an ihren Eltern Derek und Nancy Haysom verurteilt. Es ist die Geschichte einer tödlichen Liebe.

Die Filmemacher zeigen in der vierteiligen Dokumentation nie zuvor gesehenes Video-Material der Haysom-Prozesse, sie reden mit ehemaligen Ermittlern, besuchen den Richter und begleiten einen Privatdetektiv, der nach mehr als zwei Jahrzehnten nach neuen Beweisen sucht, um den Fall wieder aufzurollen. Und dann, am 25. November 2019, gewährte das Parole Board von Virginia, eine Bewährungskommission, nach 14 Ablehnungen die vorzeitige Entlassung auf Bewährung von Jens Söring und Elizabeth Haysom. Gouverneur Ralph Northam respektierte die Entscheidung des Parole Boards, lehnte aber eine Unschuldserklärung ab. Am 17. Dezember 2019 wurde Jens Söring nach mehr als 33 Jahren nach Deutschland überstellt – unter der Auflage, nie mehr in die USA zurückzukehren.  Elizabeth Haysom wurde am 23. Januar 2020 nach Kanada überstellt.


Interview mit dem Filmautor

Jens Söring und Elizabeth Haysom, die Tochter eines reichen Stahlbarons, waren ein ungleiches Paar. Den Mord an ihren Eltern nahm Söring lange Zeit auf sich.

Sie waren in den USA im Gefängnis und haben dort ein umfängliches Interview mit Jens Söring geführt. Wie war Ihr Eindruck damals und wie haben Sie Jens Söring bei seiner Ankunft in Deutschland erlebt?
Wir waren im November 2013 bei Jens Söring im Gefängnis – meine Co-Regisseurin Karin Steinberger, ein kleines Kamera-Team und ich. Es war das einzige Interview, das wir führen durften. Danach war es generell verboten in „Level 3“-Gefängnissen zu drehen. Und Jens Söring war in einem sogenannten „Level 3“-Gefängnis.

Er hatte gleich am Anfang gesagt: „Dreht so viel ihr könnt, man weiß nie, wann es wieder möglich sein wird.“ Er hatte damals vier Stunden lang um sein Leben geredet. Er wollte uns überzeugen, seinen Fall genauer anzuschauen, damit wir seine Unschuld wenigstens in Betracht ziehen. Als wir zurück nach New York fuhren, schwiegen alle im Auto. Niemand von uns fand Worte für das gerade Erlebte. 24 Jahre lang war er damals schon im Gefängnis gewesen. Und ob er das Gefängnis jemals lebend wieder verlassen können würde, war nicht abzusehen.

Wir hatten uns nach dem Interview entschieden, den Film zu machen. Es würde um Themen gehen wie Versöhnung, Rache und die „erste Liebe“. Genau sechs Jahre später, im November 2019, kam Jens Söring dann auf Bewährung frei. Kurz vor Weihnachten landete er in Frankfurt. Mehr als die erste Hälfte seines Lebens hatte er hinter Gittern verbracht.

 

Was haben Ihnen die ehemaligen Ermittler, der Richter und der Privatdetektiv, der den Fall wieder aufrollen will, über Jens Söring berichtet – mehr Widersprüchliches oder auch neue Erkenntnisse im Hinblick auf die Debatte: „Doppelmörder oder Justizirrtum“?

Der Film bewertet ja nicht. Er zeigt auf, dass es berechtigte Zweifel gibt. Abgesehen von Jens Söring, lässt der Film ausschließlich Amerikaner zu Wort kommen. Da gibt es Ricky Gardner, einen der damaligen Sheriffs, der von Jens‘ Schuld zu 100 Prozent überzeugt ist. Dann gibt es seinen Kollegen Chuck Reed, der sagt, dass der Fall nicht über jeden Zweifel erhaben geklärt wurde, und dass dies beim Strafmaß hätte berücksichtigt werden müssen. Gail Marshall, die ehemalige Generalstaatsanwältin von Virginia, ist von seiner Unschuld überzeugt und kämpft seit Jahren für seine Überstellung nach Deutschland. Der Film lässt den Zuschauer selbst entscheiden.

Haben Sie während der Arbeit an der Doku auch in Erfahrung bringen können, was Jens Söring für sein neues Leben in Deutschland besonders wichtig ist?

Ich glaube Jens Söring möchte vor allem der zweiten Hälfte seines Lebens einen Sinn geben, damit nicht alles nutzlos war. Einmal sagte er mir, es sei ihm wichtig, in den nächsten Jahren immer wieder auf die Missstände der amerikanischen Justiz und ihrer Gefängnisse hinzuweisen, und dabei zu helfen, einen gesellschaftlichen Diskurs über Themen wie „Unschuldsvermutung“, „in dubio pro reo – im Zweifel für den Angeklagten“ oder die maximale Länge von Haftstrafen anzustoßen.

Nach 33 Jahren Gefängnis in den USA wird Jens Söring am 17. Dezember 2019 nach Deutschland überstellt – unter der Auflage, nie mehr in die USA zurückzukehren. Fotos: ZDF | Marcus Vetter

Sie zeigen in der Dokumentation Video-Material der Haysom-Prozesse, die bisher noch nicht zu sehen waren. Wie kam es dazu?

Wir haben bei WSET, dem TV-Sender in Virginia, der den Prozess damals gedreht hat, recherchiert und dort das Material gefunden und lizensiert. Es war unglaublich arbeitsintensiv all das Material zu sichten und zu bewerten. Es gab ja zwei Prozesse: Elizabeth Haysoms Prozess 1987 und Jens Sörings Prozess 1990. Als Zuschauer erleben wir in beiden zwei völlig unterschiedliche Versionen des Tages, an dem der Mord geschah: In der einen geht er ins Kino, um jeweils zwei Kinokarten als Alibi zu kaufen, während sie den Mord an ihren Eltern begeht. In der anderen kauft sie die beiden Kinotickets und er ermordet die Eltern. Ein unglaublich spannender Moment.

 

 

1 Rückmeldung

  1. Meine Gedanken sagt:

    Ich finde diesen Bericht wenig objektiv. Dort der ‚blasse Held‘, hier die ‚femme fatale‘. Man sieht Menschen nicht unbedingt an, wie moralisch sie sind (schön wäre das), auch werden sie dies nicht unbedingt offen preisgeben, wenn sie klug sind. Darüber hinaus sehen beide nicht aus, wie brutale Massenmörder. Aber es war ein brutalster Mord, der auf eine extrem skrupellose Haltung schliessen lässt. Ich wäre vorsichtig, einen von den beiden zum Engel und einen zum Teufel zu erklären – was ist, wenn ich mich bzgl. des Täters irre? Möchte ich u.U. damit leben, eine(n) skrupellose(n) Mörder(in) in den Himmel gehoben zu haben?

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