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Gefängnisseelsorger in erster Instanz verurteilt

20. Januar 2019

Wegen angeblich sexueller Nötigung an jugendlichen Häftlingen musste sich ein ehemaliger Seelsorger der JVA Rockenberg vor dem Amtsgericht verantworten. Richterin de Nève sah zwei Fälle als ausreichend bewiesen an. Der Gefängnisseelsorger wurde im Juni 2018 zu zehn Monaten Haft auf Bewährung und einer Geldstrafe verurteilt. Es stehe Aussage gegen Aussage. Die undurchsichtigen Vorwürfe zweier Inhaftierter gegen den Gefängnisseelsorger wurden als „glaubhaft“ eingestuft. Die Presse berichtete ausführlich. Dazu eine Rückmeldung an die Redaktion der Zeitung vor Ort.

Ich empfinde die Artikel in der Art und in ihrer Darstellung als menschenwürde-verletzend. Ich kenne den von Ihnen beschriebenen Gefängnisseelsorger über Freunde, nicht persönlich. Und doch bin ich von der konkreten Schilderung Ihres Artikels sehr betroffen. Noch nicht einmal ist seine „Schuld“ erwiesen, da muss er in der Heimat-Presse bereits eine sehr ins Detail gehende Beschreibung seiner Person und seiner angeblichen Tat lesen. Natürlich ist sein Name nicht genannt, aber der Nachbar, die Nachbarin, die Familie, die das lesen werden, wissen genau, um wen es sich handelt. Wie denken Sie, lieber Verfasser, mag dieser Mann sich fühlen und wie kann er überhaupt damit klar kommen? Eine Vor-Verurteilung par Excellence durch die Presse! Ich fragte einen Freund, ob „Er“, der von Ihnen bereits beschriebene vermeintliche „Täter“ gute seelsorglich-psychologische Begleitung habe, weil ich beginne, mir Sorgen um sein Leben zu machen. Denn: die Schilderung der vermeintlichen Straftat ist derartig definitiv beschriebenr, dass es keinen Zweifel gibt, um wen es sich handelt.

Ich empfinde es beschämend. Nicht nur menschenrechts- als auch datenschutzverletzend. WARUM wird ein vermeintlicher Tathergang in der Zeitung so genau beschrieben, obwohl wenig bis nichts bewiesen ist? WARUM muss man den Leser, die Leserin derartig sensationslüstern auf eine Spur setzen, die sich vielleicht in einigen Monaten als falsch erweisen wird, weil beispielsweise das vermeintliche Opfer ganz andere Motive für eine derartige existenziel vernichtende Beschuldigung hatte? Der betroffene junge Hauptankläger ist erst gar nicht erschienen und durch eine polizeiliche Vorführung bei Gericht einfach abgehauen. Nach allem, was ich über Freunde und dem Beklagten gehört habe, könnte die Anschuldigung des vermeintlichen Opfers auch ein Akt der Rache eines Gefangenen sein, der nicht bekommen hat, was er vom Seelsorger verlangt hat. Eine andere Denkmöglichkeit könnte sein, dass es sich um ein Politikum im angestellten Umfeld des Beklagten handeln. In diesem Fall ginge es um ein Mobbing des Seelsorgers, man will ihn loswerden, weil er zu offen ist oder weil seine persönliche Einstellung und sein Leben der Gefängnisleitung nicht passt?!

Zu sehr den Gefangengen zugewandt, Dinge ermöglicht, die eine Leitung nicht befürwortet? Es gäbe viele Gründe, warum jetzt diese Person „geopfert“ werden muss. Genauso bei den Inhaftierten, die bestimmte Erkenntnisse für eine Erpressung des Gefängnisseelsorger ausnutzen können. Warum also, frage ich Sie, schaut eine Presse nach allem „Unbewiesenen“ nicht auf diese Eventualitäten, die nicht weniger bewiesen sind, als das, was dem Gefängnisseelsorger vorgeworfen wird? In der Pressewelt sollte der so genannte Perspektivwechsel möglich sein. Davon wird – wenn überhaupt – nur im Kleinen berichtet. Die Berufungs-Verhandlung wird die Sachlage nochmals klären. Ob von diesem Urteil nach drei Jahren in der gleichen Intensität berichtet wird ist fraglich.

K. Hartmann

Antwort der Redaktion

Sehr geehrter Herr/Frau Hartmann,

vielen Dank für Ihre Mail. Auch wir von der Redaktion sind uns bewusst, dass es für den Angeklagten eine extrem schwierige Situation ist und dass die Berichterstattung in der Zeitung diese sicherlich nicht leichter macht. Allerdings handelt es sich unserer Auffassung nach um einen Fall von öffentlichen Interesse. Deshalb die Berichterstattung über den Prozess. Was den Perspektivwechsel angeht, den Sie anmahnen. Wir berichten über den Prozess und über das, was während des Prozesses von den verschiedenen Parteien geäußert wird. Es ist keine wertende Beschreibung. Es ist vor allem keine sensationslüsterne Darstellung. Wir haben uns bemüht, so wenig persönliche Merkmale wie möglich in den Text einfließen zu lassen. Zum Verständnis sind allerdings einige Informationen nötig. Auf diese haben wir uns beschränkt. Wir als Zeitung führen keinen Prozess gegen den Mann, sondern wir berichten über den Prozess. Natürlich ist es gut möglich, dass der angeklagte Seelsorger unschuldig ist. Das wird der weitere Prozessverlauf zeigen. Auch darüber werden wir berichten. Ohne Vorverurteilung, ohne Wertungen.

Fazit

Das Verfahren war in der Berufungsverhandlung am Landgericht Gießen. Es wurde ein Glaubwürdigkeits-Gutachten des Hauptbelastungszeugen erstellt. Im Berufungstermin urteilte der Richter schließlich am 22. Oktober 2020 für einen vollumfänglichen Freispruch des Gefängnisseelsorgers. 2 Jahre nach der Verurteilung und 4 ½ Jahre nach der Dispensierung des Gefängnisseelsorgers. Der Hauptbelastungszeuge ist inzwischen nach einer weiteren Inhaftierung abgeschoben worden. Die Redaktion berichtet darüber erst Wochen später mit einem Artikel. Dies erfolgte auf die erneute Aufforderung der Verfasserin des Briefes.

 

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