„Hass jeglicher Art ist Fessel. Freiheit, wirkliche Freiheit ist… die Freiheit zu lieben.“ So schrieb der britisch-jüdische Schriftsteller und frühe Hitlergegner Victor Gollancz. Tatsächlich fesselt der Hass sowohl in der Fixierung des Anderen als den zu verachtenden Gegner, als auch im eigenen Festhalten an eben dieser Gegenwehr; im Hass muss ich den anderen bekämpfen. Vielleicht ist es diese Fesselung, die, so schmerzhaft sie eigentlich ist, doch eine vermeintlich sichere Selbstbehauptung erlaubt, und dadurch den Hass aufrechterhält – getarnt als freiheitliche Selbstverwirklichung.
Grete Minde
Die historische Margarete von Minden, bekannt als Grete Minde entstammte vermutlich einem angesehenen, wohlhabenden Tangermünder Patriziergeschlecht . Sie arbeitete in Tangermünde anscheinend als Hausmädchen, wobei sie, auf sich allein gestellt und noch jung an Jahren, um ihr Erbe kämpft. In dieser Zeit lernt sie den zwielichtigen Antonius (Tonnies) Meilahn kennen, der sie glauben macht, vermögend zu sein. Sie hofft, somit ihren Anspruch auf ihr Erbteil gerichtlich durchzusetzen. Die beiden heiraten im Sommer 1616 in Stendal; nur bringt ihr diese Ehe kein Glück; nicht zuletzt dadurch, weil das jungvermählte Paar über seine Verhältnisse lebt. Allerdings gelingt es ihr, zumindest rein rechtlich ihren Erbanspruch durchzusetzen. Jedoch erfüllt ihr Onkel seine Verpflichtungen nicht: lediglich kleinere Geldsummen lässt er Grete zukommen, für welche sie aber immer wieder wie eine Bittstellerin vorstellig werden muss.
Schließlich wird sie von ihrem Mann verlassen und muss sich fortan selbst, und ab 1617 auch ihren Sohn Balthasar u.a. auch durch Wahrsagerei und Bettelei allein durchbringen. Allerdings fühlt sich hierdurch die angesehene Familie von Minden kompromittiert und betreibt deshalb über den Rat ihre Ausweisung aus Tangermünde, so dass Grete und Balthasar die Stadt verlassen müssen. Sie sucht ihren Mann und zieht dann mit ihm und seinen Kumpanen vagabundierend durch die Altmark. Von August bis Oktober 1617 lebt sie, schwer erkrankt, mit ihrem Sohn bis zu ihrer Genesung in der Familie eines Kuhhirten in Apenburg.
Durch missliche Umstände, die auf ihren Mann und dessen Umfeld zurückgehen, gerät Grete unter den verhängnisvollen Verdacht, ihn und seine Kumpane zur Brandstiftung am 13.09.1617 in Tangermünde angestachelt zu haben; sie wird verhaftet und angeklagt. Durch die unbeeidete Falschaussage des Tangermünder Patriziers Peter Asseburg wird ihr Alibi – ihr durch Zeugenaussagen belegter Genesungsaufenthalt in Apenburg – „vom Tisch gewischt“; unter der Folter legt sie schließlich ein Geständnis ab und wird somit zum Tode verurteilt! 1883, über 200 Jahre später, wird dieser Prozess durch den Historiker und Juristen Ludolf Parisius als „grausamer Justizmord“ entlarvt: Einerseits war Grete der Familie von Minden „ein Dorn im Auge“, andererseits brauchte der Stadtrat gegenüber der vergeltungssüchtigen Bevölkerung einen Sündenbock für den Stadtbrand.
Diese Tarnung ermöglicht es, gelebten Hass in Ordnung zu finden, denn er ist dann die Dynamik, die es braucht, um sich selbst zu verwirklichen. Dass dies gegen den Anderen geschieht und in die Spaltung führt, wird in Kauf genommen. Übrig bleiben Verletzung und Zerstörung. In diesen Tagen, in denen Menschen immer wieder Proteste gegen die Corona-Schutzmaßnahmen nutzen, um ihren Hass auf die Straßen zu bringen, inszenierte das Magdeburger Theater Eugen Engels einzige Oper „Grete Minde“. Es war eine bewegende Uraufführung dieses Werkes des jüdischen Komponisten, der 1943 im Vernichtungslager Sobibor von den Nazis getötet wurde. In Musik und Gesang wird darin die gleichnamige Novelle Theodor Fontanes erzählt, einer Geschichte von menschlicher Ausgrenzung und Rache. Eindrucksvoll wird erlebbar, wie Hass wirklich fesselt – und wie nah dieser doch der Liebe ist. Es scheint, als wäre die große Sehnsucht des Menschen, zu gelten und gewürdigt zu werden, wie eine Gradwanderung zwischen Liebe und Hass. Und ist der Mensch einmal auf die Seite des Hasses geraten, scheint die Rückkehr zur Liebe unmöglich zu sein, so nah sie doch eigentlich ist.
Den Weg aus der Fesselung des Hasses ermöglicht die Freiheit. Auch sie ist eine Gradwanderung: gewöhnlich verstanden als Freiheit des Ichs, das sich durchzusetzt, wirkt sie entsolidarisierend und kann direkt in den Hass führen, verstanden aber als Freiheit, aus eben dieser gewohnten Haltung aufzustehen und in Verantwortung für die Gemeinschaft zu handeln, kann sie befreiend wirken in der verbindenden Kraft des Mitgefühls. Das ist der Weg, den Jesus konsequent gegangen ist und den er mit den Worten „Liebt eure Feinde“ beschrieben hat. Sein absoluter Verzicht auf Gewalt beendet deren zerstörerischen Kreislauf im Hass und löst die Fessel.
Das Liebesgebot Jesu erscheint angesichts der menschlichen Gewohnheit, sich immer wieder selbst gegen andere zu behaupten, als völlig abwegig und unrealistisch. Deshalb wird es gern in der Schublade „Idealismus“ entsorgt. Doch entledigen wir uns so der Möglichkeit, den Hass wirklich zu überwinden. Denn die angebliche Unerfüllbarkeit Jesu Gebotes ist ja bloß eine Sichtweise aus der festgefahrenen Logik des „Wie-du-mir-so-ich-dir“. Viktor Emanuel Frankl, dessen Familie in Ausschwitz ermordet worden ist, und der selbst die Hölle des Hasses überlebt hat, sagte, eigentliche Freiheit ist nicht die Freiheit von etwas, sondern die Freiheit wozu. Was ist der Sinn meines Handelns? Welche Motivation ist darin? Wie komme ich wieder dazu, wirklich Verantwortung zu übernehmen, also ehrlich Antwort zu geben angesichts dessen, was geschieht?
Den Anderen, den Fremden, den Gegner zu lieben ist die überraschende Wendung, die dem Hass den Wind aus den Segeln nimmt. Einfach mal ausprobieren in nächster Gelegenheit: statt im Kreislauf des Ich-gegen-ihn die Haltung des Anderen achten als einen Anteil im bunten menschlichen Miteinander. Ich muss sie nicht übernehmen – aber ich muss mich auch nicht fesseln lassen im Kampf der Selbstbehauptung.
Christoph Kunz | Magdeburg
1 Rückmeldung
Nicht alle Menschen, die auf den Straßen gegen die Corona-Regeln protestieren, sind Menschen, die nur ihren Hass „auf die Straße bringen.“ Es wäre außerdem zu überlegen, ob nicht evtl. die (Un)Art, anders Denkenden jeweils Hass zu unterstellen, selbst eine subtile Form eines beginnenden Hasses ist… In Hunderten von Orten gehen Menschen auf die Straße, und zwar in der ganzen Welt. Auch hier bei uns in Regensburg. Einige von ihnen kenne ich, es sind Eltern, Großeltern, Lehrer und sogar Ärzte, Universitätsprofessoren, Künstler, Klimabewegte oder Linke, Freaks etc.
Meines Erachtens gibt die deutliche Mehrheit ihre Meinung nicht kund aus Gründen eines Hasses, sondern aus Sorge um die Zukunft, nicht zuletzt die Zukunft unserer Demokratie in Deutschland. In vielen Orten beten mittlerweile Katholiken in der Öffentlichkeit. So wird auch in Magdeburg jeden Mittwoch ab 18 Uhr vor dem Dom der Rosenkranz für Land und Gesellschaft gebetet.