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„Sie sind der beste Mann“, sagt ein Gefangener zum Seelsorger

29. August 2023

Es geht runter wie Öl. Solch ein Kompliment. Dies bekäme ich in einer Kirchengemeinde kaum so intensiv zurückgemeldet, wie ich es hier als Gefängnisseelsorger höre. „Sie sind der beste Mann“, sagt ein jugendlicher Inhaftierter zu mir. Dies mag ernst gemeint sein, aber in meiner Rolle weiß ich derartige Aussagen zu filtern. Ich sollte mich also nicht „gebauchpinselt“ fühlen.

Stellen Sie sich vor, sie wären inhaftiert. Würden Sie nicht jede kleine positive Bemerkung machen und das Gespräch suchen wollen, das Ihnen in irgendeiner Form Vorzüge und Erleichterung bringen könnte? Die Motivation der Gefangenen zum „Knastpastor“ Kontakt zu knüpfen, ist nicht immer leicht erkennbar. Es gibt bei der Gefängnisseelsorge in der JVA Herford weder Tabak noch Telefongespräche nach draußen. Trotzdem sind die schriftlichen Anträge für ein Gespräch mit dem „Seelenversorger“ sehr hoch. So betiteln einige die Gefängnisseelsorge.

Klingelschilder am Marien-Wallfahrtsort „Trösterin der Betrübten“ im nordrhein-westfälischen Werl.

Vertrauensvorschuss

Wahrscheinlich ist der Wunsch, aus dem Haftraum heraus zu kommen größer, als eine materielle, kurzfristige Befriedigung von bekannten Motiven. Es ist bekannt, dass die Gefängnisseelsorge sich intensiv für die Gefangenen einsetzt. Als Gefängnisseelsorger unterliege ich der Verschwiegenheit. Dies ist ein Vertrauensvorschuss, den der Fachdienst „Seelsorge“ unweigerlich hat. Doch nur, weil ich die „Best Praktik“ zurückgemeldet bekomme, sollte ich mich nicht „gebauchpinselt“ fühlen und womöglich einwickeln lassen. Die Gefahr besteht, dass ich mich über bestimmte vorgegebene Richtlinien hinwegsetzen könnte. Von Seiten der Gefangenen nennt man das „dribbeln“. Hier und da doch etwas erreichen, was normalerweise im Justizvollzug nicht erreichbar ist.

Aus-Genutzt?

Als Gefängnisseelsorger bin ich in einem System tätig, das ausgenutzt werden könnte für bestimmte Zwecke. Dessen bin ich mir bewusst. Auch im Hinblick auf religiöse Verantwortung gilt es, hinter mögliche Motivationen der Inhaftierten zu schauen. Im Zwangskontext der Inhaftierung würden manche Inhaftierte sich taufen oder firmen lassen. „Der beste Mann“ ist einem so zugetan, dass man alles machen würde. Es könnte etwas an der christlichen Botschaft dran sein, „befreit“ zu werden. Das Missverständnis liegt in der Hoffnung, es würde mit dem bezeugten Glauben alles besser im Leben laufen. Die frohe Botschaft den „bösen“ Menschen überzustülpen wäre geistlicher Missbrauch. Als Gefängnisseelsorger höre ich nicht nur zu, sondern ich gebe Rückmeldung. Diese ist nicht unbedingt das, was das Gegenüber hören möchte. „Ich dachte, Sie sind auf meiner Seite“, sagt ein Inhaftierter, als es um die Rettung seiner Beziehung geht. „Nein, bin ich nicht“, aber vielleicht kann ich Worte finden, mit denen der Mensch, der vor mir sitzt, seinen Weg klarer sehen und seine Persönlichkeit kennenlernen kann.

Problem, hinter dem Problem

Im Laufe meiner „Karriere“ als Gefängnisseelsorger kann ich manche Aussagen einordnen und „auf den Boden bringen“, ohne den Gefangenen zu brüskieren oder gar bloßzustellen. Manches Mal „tanze ich mit“, manches Mal kann ich einiges durchschauen ohne mein Gegenüber zu verurteilen. Die Frage ist: „Was ist das Problem hinter dem Problem“. Alles lasse ich nicht mit mir machen. Und so nehme ich oft ein erstauntes Aufhorchen wahr, wenn ich klar meine aktuelle Sichtweise darlege. „So habe ich das noch gar nicht gesehen“, antwortet mir der Inhaftierte. Als Gefängnisseelsorger habe ich nicht die eine, richtige Wahrheit. Diese muss der konkrete Mensch selbst finden und seinen eigenen Weg gehen. Damit das geschieht, kann ich Hinweise geben, aber keine Rat-Schläge. Ich denke, dass Gefängnisseelsorge eine wichtige und gute Institution im Justizvollzug einnimmt. Zuhören, Rückmeldung geben und konstruktiv kritisch hinterfragen, das ist meine Aufgabe als Gefängnisseelsorger. Ist das der beste Mann im Vollzug?

Michael King

 

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