„Warum arbeiten Sie als GefängnisseelsorgerIn?“ Es ist wichtig, sich selbst Rechenschaft zu geben über die Motive: „Was ist es, was mich in das Arbeitsfeld Justizvollzug treibt?“ Die Antworten werden hier so mannigfaltig sein wie die Personen, die sie geben, und sie werden sich auch innerhalb einer Person mit der Zeit ändern. Wichtig bleibt, dass die Frage gestellt wird, denn in dem Maße, in dem ich wachsam bleibe für das, was mit mir geschieht, bleibe ich auch aufmerksam für das, was mit den Menschen geschieht, mit denen ich umgehe.
Sich ein möglichst Reflexes Bewusstsein über die eigenen Motive und die (auch wechselnden) Befindlichkeiten zu verschaffen, wird bei der seelsorgerlichen Arbeit eine enorme Hilfe sein. Welche Erfahrungen von Schuld, Versagen, allein, isoliert, in etwas gefangen, befangen sind, habe ich? Welche Erfahrungen mit Verantwortung, Helfen, Beschützer-Sein habe ich? Für was gebrauche ich die Rolle des Anwalts der Hilflosen? Welche Rolle will ich als Mann bzw. als Frau spielen in einer männlich geprägten Institution? Welchen Zugang habe ich zu meinen Gefühlen, was gestatte ich mir da in einer Institution, die Gefühle unterdrückt? Welche Erfahrungen habe ich mit Autorität/en, in einer Einrichtung, die ausschließlich autoritär geleitet ist?
Die Antwort auf die Frage nach den Motiven prägt unbewusst Wirkungsweise, Auftreten, Rolle und Funktion, die ich als Seelsorger einnehme. Je deutlicher ich weiß, warum ich im Gefängnis arbeiten möchte, desto klarer werde ich meine Rolle als Seelsorger ausüben können. Jede Unklarheit, Verschwommenheit und Unsicherheit wird die Menschen an meinem Arbeitsfeld dazu verleiten, ihrerseits meine Funktion und Rolle zu bestimmen und zuzuweisen. Die Gefahr für eine solche Fremdbestimmung ist im Gefängnis äußerst groß, da es das Wesen einer totalen Institution ist, Menschen ihre Selbstbestimmung zu nehmen.
Einzelseelsorge
Die Einzelseelsorge beansprucht einen erheblichen Teil der seelsorglichen Arbeit. Ihr kommt insofern eine besondere Bedeutung zu, als sie unter dem Schutz der Schweigepflicht steht. Hier kann der Gefangene seinen Gedanken und Gefühlen Ausdruck verleihen, ohne befürchten zu müssen, dass es vollzugliche Nachteile oder Probleme im Zusammenleben mit den Mitgefangenen nach sich zieht. Dieser Schutz ermöglicht befreiende Gespräche aber auch manchmal den ersten Schritt, sich der Tat selbst zu stellen und sich mit ihr auseinander zu setzen.
Gottesdienste
Die Gottesdienste im Justizvollzug haben einen ganz eigenen Charakter. Sie sind dadurch gekennzeichnet, dass die gottesdienstliche Gemeinde eine vollkommen heterogene Gruppe ist, die sich zusammensetzt aus verschiedenen Religionen und Konfessionen, verschiedenen Nationalitäten und Sprachen und höchst unterschiedlichen Motivationen, den Gottesdienst zu besuchen. Denn der Gottesdienst ist nicht nur eine Möglichkeit der Besinnung, der Neuorientierung zu Gott und des Gebets, er ist auch die Möglichkeit, seinen Haftraum zu verlassen, Kontakte zu knüpfen, Nachrichten auszutauschen oder den Seelsorger um etwas zu bitten. All diesen unterschiedlichen Voraussetzungen zu begegnen und auf diesem Boden der Realität das Wort Gottes und seine befreiende Botschaft zu verkünden ist eine besondere Herausforderung. Es setzt eine kreative und zugleich fest verwurzelte Spiritualität voraus und sowohl den Willen als auch die Fähigkeit, durch all die vordergründigen Hindernisse hindurch an die Sehnsucht nach Göttlichkeit zu glauben.
Fachdienste
Der Seelsorger wird im Allgemeinen von Seiten der einzelnen Dienste und der Anstaltsleitung zu den Fachdiensten gerechnet. Der Sozialdienst soll den Gefangenen darin unterstützen seine Schwierigkeiten zu erkennen und zu überwinden. Die Hilfe soll darauf gerichtet sein, den Gefangenen in die Lage zu versetzen, seine Angelegenheiten selbst zu regeln. Zu diesem Zweck helfen sie auch bei der Pflege von Außenkontakten.
Dem Psychologischen Dienst obliegt neben der Hilfestellung in akuten Krisen, auch die gutachtliche Beihilfe zu Entscheidungen,
sowie die Behandlung einzelner Strafgefangener. Dabei befindet er sich in einer Erwartungsspannung zwischen der Organisation,
die in einer Krisensituation die Leistung eines Technikers erwartet und dem Gefangenen, der sich menschliche Zuwendung
wünscht. Beide Dienste sind in die Entscheidungen über die Zukunft der Gefangenen eingebunden.
Die Bediensteten des uniformierten Allgemeinen Vollzugsdienstes (AVD) sind die ersten Ansprechpartner für die Gefangenen. Die Gesellschaft will Sühne, die politisch Verantwortlichen wollen vor allem einen sicheren Strafvollzug, in dem alles ordentlich zugeht und niemand entweicht, einen humanen Strafvollzug, in dem man dem Inhaftierten möglichst viele Freiheiten gewährt, einen erfolgreichen Strafvollzug, in dem Resozialisierungsprogramme durchgeführt werden und der so zu einem Leben in Freiheit ohne erneute Straftat beiträgt. Die in diesen Zielen vorprogrammierten Pannen werden oft, so empfinden es manche Beamten, ihnen angelastet. So vereinigen sie einen schwer erträglichen Gegensatz in sich: aus Sicht der Inhaftierten haben sie die Schlüssel und damit die Macht in den Händen, sich selber aber erleben sie durch wenig Entscheidungsspielraum in der täglichen Arbeit häufig als nicht so wichtig. Und doch sind die Bedienstete ebenso SeelsorgerIn vor Ort, weil sie den Ablauf sicherstellen müssen und damit die Stimmungen als erstes mitbekommen.
Aus: Seelsorge im Gefängnis. Norddeutsche Konferenz